FINANCENET
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reinhard krémer 14.10.2016

„Die Marktführerschaft weiter ausbauen”

medianet exklusiv: VIG-CEO Elisabeth Stadler über Wachstum, Bedrohungen und Wünsche an die gute Fee.

••• Von Reinhard Krémer

 

Seit 1. Jänner steht Elisabeth Stadler am Steuer des Versicherungs-Riesen Vienna Insurance Group (VIG). Sie ist damit die erste Frau an der Spitze eines ATX-Unternehmens.


medianet: Wie ist das heurige Jahr bisher für die VIG gelaufen – wo gab es die besten Entwicklungen, wo hat es geholpert?
Elisabeth Stadler: Wir sind gut auf Kurs. Die Zielrichtung für das Jahr 2016 ist die Verdoppelung des Vorjahresgewinns auf bis zu 400 Mio. Euro.

Mit dem Halbjahresergebnis von 201 Mio. Euro sind wir somit erfolgreich im Plan. Dies, obwohl sich am Niedrigzinsumfeld, ­welches sich negativ auf die Finanz­ergebnisse einwirkt, nichts geändert hat. Auch die Prämien sind im Halbjahr 2016 gestiegen.
Restriktiv sind wir in der Lebensversicherung mit Einmal­erlägen – ebenso eine Folge der anhaltenden Niedrigzinspolitik. Nach Plan verläuft die Fokussierung auf jene vier Märkte, in denen wir mittelfristig einen Marktanteil von mindestens zehn Prozent erzielen wollen: Polen, Ungarn, Kroatien und Serbien. In Kroatien konnten wir insbesondere aufgrund eines ­positiven Verlaufs des Lebensversicherungsgeschäfts deutlich dazugewinnen und sind nahe unserem Mindestziel von zehn Prozent Marktanteil. In Serbien werden wir durch den Erwerb der AXA-Gesellschaften dieses Ziel sehr bald übererfüllt haben und rund zwölf Prozent Marktanteil ausweisen. Sehr genau beobachten wir die Entwicklung der Kfz-Haftpflichtversicherung in einigen Märkten; hier herrscht ein starker Preiswettbewerb, den wir zulasten der Profitabilität nicht mitmachen werden.
In Rumänien, dessen Entwicklung insgesamt für uns nach schwierigen Jahren in eine positive Richtung zeigt, hat die Regierung jetzt zum Beispiel die Kfz-Haftpflichtprämien für sechs Monate auf einem niedrigen Niveau eingefroren. Wir werden uns genau ansehen, wie sich das auf unsere Profitabilität auswirkt, und gegebenenfalls Maßnahmen setzen.


medianet: Wo sehen Sie das größte Wachstumspotenzial?
Stadler: Die VIG ist die größte Versicherungsgruppe in Österreich und CEE. Diese Marktführerschaft wollen wir beibehalten und weiter ausbauen, vor allem in unseren CEE-Märkten. Hier verbessert sich die Lebensqualität kontinuierlich, was mit einer steigenden Nachfrage nach Versicherungslösungen einhergeht. Die Versicherungsdichte ist rund zehnmal niedriger als bei uns – dieses Potenzial gilt es zu nutzen. In einigen dieser Märkte verzeichnen wir daher auch zweistellige Wachstumsraten. Produkt- und serviceseitig werden neue Schwerpunkte in Richtung Digitalisierung gesetzt.

Innerhalb unserer Gruppe gibt es bereits viele innovative Serviceleistungen und Angebote. Wir prüfen, ob und wie diese Potenziale von mehreren Gesellschaften genutzt bzw. auf mehrere Märkte übertragen werden können. In vielen Ländern werden die Gesundheitssysteme und deren künftige Finanzierbarkeit diskutiert. Daher legt die VIG in Zukunft unter anderem einen starken Fokus auf die Krankenversicherung.


medianet:
Haben Sie nach der Übernahme Ihres Amts strategische Änderungen vorgenommen?
Stadler: Ich habe klar kurz nach meinen Antritt der neuen Funktion bekräftigt, die bisherigen strategischen Eckpfeiler, lokales Unternehmertum, Mehrmarkenstrategie, konservative Veranlagungs- und Risikopolitik und Multikanalvertrieb, beizubehalten, aber etwas zu schärfen. Was Zeit in Anspruch nimmt, ist unser Plan, die Märkte vom Baltischen bis zum Schwarzen Meer zu screenen. Denn wir wollen Wachstumspotenziale analysieren und dafür konkrete Aktivitäten definieren. Wachstum planen wir dort, wo es ökonomisch Sinn macht.; als Basis dient uns eine sehr solide Eigenkapitalstruktur. Die sich auf Gruppenebene der börsenotierten VIG errechnete Solvency II-Quote liegt bei 196 Prozent.

Unsere Solvabilität liegt damit im Spitzenfeld international tätiger Versicherungskonzerne; damit kann ich ruhig schlafen und sehe uns für unsere weiteren Schritte gut aufgestellt.


medianet:
Worin sehen Sie die größte Bedrohung für Versicherer in Europa?
Stadler: Die aktuellen Herausforderungen drehen sich um die nun schon jahrelang anhaltende Niedrigzinssituation – sie ist mittlerweile sozusagen unser tägliches Brot geworden. Vor allem in der Veranlagung von Neuverträgen stellt sie eine Herausforderung für die Lebensversicherungen dar.

Die Versicherungen haben sich darauf eingestellt und Maßnahmen gesetzt. Das geht in Richtung Schärfung der Kostenstruktur, aber auch in Richtung neuer Produkte. Das heißt, Lebensversicherungen ohne Garantieverzinsung oder neue fondesgebundenen Lebensversicherungen.
Man muss schon klar sagen, dass jeder in der Versicherungsbranche unter der Niedrigzinspolitik der EZB leidet, und die EZB bislang ihre Ziele, die europäische Wirtschaft zu beflügeln, damit noch nicht nachhaltig erreicht hat. Die Kehrseite sind die Verluste bei den Sparern und den Vorsorgewilligen. Angesichts der Notwendigkeit der Eigenvorsorge in ganz Europa halte ich diese Geldpolitik für eher kontraproduktiv.
Ich persönlich rechne auch nicht mit einem baldigen Zinsanstieg, zumindest nicht in den kommenden drei Jahren, und wenn, dann liegt dieser sicher eher auf einem niedrigen Niveau von zwei bis drei Prozent.


medianet: Gibt es noch weitere Challenges?
Stadler: Eine zweite Herausforderung sehe ich in der Digitalisierung. Die könnte zur Bedrohung werden, wenn sie von der Branche nicht ernst genommen wird. Versicherungen sind traditionell sehr stark vergangenheitsorientiert.

Unsere Berechnungen basieren größtenteils auf Erfahrungswerten und Statistiken und wir berufen uns auf unsere jahrhundertelange Expertise. Gleichzeitig sehen wir unsere langfristige und auf Sicherheit basierende Geschäftsausrichtung als unsere Erfolgsfaktoren.
Das ist sicher korrekt und langfristig wirtschaftliches Denken, Stabilität und Nachhaltigkeit gehören auch zu wichtigen Werten der VIG. Aber die rasche Technisierung, mit der wir alle mitwachsen, ist eine Tatsache, sprich das Verhalten und die Ansprüche unserer Kunden verändern sich damit; darauf gilt es zukunftsorientiert zu reagieren.
Die Wettbewerber von morgen sehe ich durchaus zum Beispiel in Google, Apple und Amazon. Wir verfolgen derzeit den Weg einer produkt- und serviceseitigen Digitalisierung. Neben der Wiener Städtischen, die im Zeichen einer noch besseren Kommunikation mit den Kunden seit dem Vorjahr unter anderem auch auf Videoberatung setzt, können eine Reihe weiterer VIG-Konzerngesellschaften mit digitalen Innovationen aufwarten.
So hat eine polnische VIG-Gesellschaft einen Automaten entwickelt, an dem in wenigen Minuten eine Kfz-Versicherung abgeschlossen werden kann. Eine VIG-Tochter in Ungarn wiederum bietet Reisenden die Option an, per SMS eine Reiseversicherung abzuschließen. Wir dürfen aber nicht außer Acht lassen, gerade in einer stark personenbezogenen Branche wie dem Versicherungswesen eine gesunde Balance zwischen klassischen und digitalen Vertriebswegen zu finden.


medianet: Was würden Sie sich von der guten Fee in Bezug auf Gesetzgebung und Regulative wünschen?
Stadler: Wünsche an die Politik werden seit Jahren kontinuierlich gestellt; vielleicht könnte die gute Fee sie etwas rascher erfüllen. Wir haben sehr schwierige wirtschaftliche und regulatorische Rahmenbedingungen. Da wäre mehr politische Unterstützung, vor allem hinsichtlich der privaten Altersvorsorge, ein oft geäußerter Wunsch.

Ich wünsche mir daher ein klares Bekenntnis zur zweiten (betrieblichen) und dritten (privaten) Säule der Altersvorsorge. Es ist nicht nur sinnvoll, die zweite und dritte Säule mit steuerlichen Förderungen zu stützen; es würde damit nicht zuletzt auch dem staatlichen Pensionssystem geholfen.
Die gesamte Finanzbranche war und ist weiterhin von vielen Faktoren der Veränderung betroffen, wie Auswirkungen der Kapitalmarktturbulenzen, wirtschaftlich schwache Konjunktur, gesellschaftliche Veränderungen und natürlich auch regulatorische Neuerungen. Dies alles führt in Summe zu einer generellen Adaptierung von Geschäftsprozessen, Positionierungskonzepten und Managementstrategien, mit der sich die Branche derzeit aus­einandersetzt.
Ich erwarte, dass die zunehmenden Regularien, Stichwort Solvency II, zu einem weiteren Konzentrationsprozess in der internationalen Versicherungsbranche führen. Wir beobachten als Vienna Insurance Group genau, ob sich dadurch für uns die eine oder andere wirtschaftlich sinnvolle Chance für Erweiterungen ergibt.

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