HEALTH ECONOMY
Ina Schriebl 23.01.2015

Ärzte-Arbeitszeiten: „Das System fährt an die Wand”

Gesundheitsreform Verkürzung der Arbeitszeiten treibt Ärzte auf die Straße und zur Forderung nach Gehaltserhöhungen

Jungmediziner wandern zunehmend ins Ausland ab, Engpässe können kaum geschlossen werden.

Wien. Die von der EU geforderte Verkürzung der Arbeitszeit von Spitalsärzten von 72 auf 48 Stunden pro Woche treibt die Ärzte zunehmend auf die Barrikaden. Weniger arbeiten bedeutet auch weniger Gehalt. Viele fürchten bis zu 30% an Einbußen und fordern einen Lohnausgleich. Die Länder als Spitalseigentümer wiederum haben dafür kein Verständnis – vor allem aber haben sie kein Geld. Und so wird seit Jahresbeginn in den meisten Kliniken Dienst nach Vorschrift gemacht.

„Unzumutbare Situation”

Die Verhandlungen über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen laufen zäh, im Spitalsbetrieb machen sich erste Versorgungsengpässe bemerkbar. Für Wien Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres war es in den letzten Jahrzehnten „schlichtweg unzumutbar sowie auch unseren Patienten gegenüber kaum vertretbar, mehr als 60 Stunden oder gar 72 Stunden pro Woche zu arbeiten”. Die Praxis zeige allerdings, dass das Gesetz letztendlich zu kurzfris-tig verabschiedet wurde, um den Spitalsbetrieb im Vorfeld erfolgreich zu akkordieren. Als logische Konsequenz fühlt sich die Spitals-ärzteschaft mit den neuen Rahmenbedingungen überfordert und ortet große Mankos hinsichtlich Arbeitsorganisation, Arbeitszeit und Gehalt. Allerdings: Die Arbeitszeitrichtlinie der EU, die die Debatte ausgelöst hat, ist fast zehn Jahre alt. Seit Wochen verhandelt die Ärzteschaft mit den jeweiligen Betriebsleitern – bisher konnte nirgendwo noch eine endgültige Lösung gefunden werden. „Wir stehen derzeit im engen Kontakt mit den Spitalskollegen und beobachten, dass die Stimmung von Tag zu Tag schlechter wird”, so Szekeres. Für ihn ist es bereits „fünf vor zwölf”. Wenn die Verhandlungen nicht bald zu einer Einigung führten, könnten vorübergehende Maßnahmen wie temporale Betriebsvereinbarungen oder Durchrechnungszeiträume die bedrohliche Situation in den Spitälern nicht mehr kaschieren, „und dann sind großflächige Versorgungsengpässe für die Patienten eine sichere Tatsache”, warnt der Ärztekammerpräsident; dann fahre das System an die Wand.Die Arbeitszeiten sind aber nicht das einzige Problem: Weil die Ausbildungsreform der Mediziner über Jahre stockte und auch hier andere EU-Länder wesentlich fortschrittlicher sind als Österreich, wandern viele Jungärzte in Ausland ab. Es fehlen also jene Ärzte, die jene Lücken füllen, die durch die Arbeitszeitverkürzungen entstehen.

Nachwuchs wandert ab

Laut Schätzungen der Ärztekammer verliert Österreich von rund 1.300 Absolventen jährlich rund die Hälfte der Jungmediziner an das Ausland oder einen anderen Beruf. Der Steuerzahler verliere pro abhanden gekommenem Arzt 400.000 €, die seine Ausbildung gekostet hat, rechnet Spitalsärztevertreter Harald Mayer. In Summe sind das jährlich rund 250 Mio. €. Fragt sich, ob sich der Staat diese Fehlentwicklung leisten will und kann. „Die Spitalsträger, die politisch Verantwortlichen und die Rektoren der Medizinischen Universitäten sind nun gefordert; sie müssen so rasch wie möglich attraktive Arbeitsbedingungen und konkurrenzfähige Gehälter für Spitalsärzte schaffen”, sagt Mayer. Zentral seien die Entlastung der Ärzteschaft von überbordenden Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben, mehr Zeit für Medizin und Patienten, ein sinnvoller Einsatz des Personals entsprechend der Qualifikation, eine effektive Entlastung vom Zustrom zu den Ambulanzen durch Angebote im niedergelassenen Bereich.

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