••• Von Martin Rümmele
Die von der Regierung geplante Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern und die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zur neuen Österreichischen Gesundheitskasse sorgt weiterhin für Irritationen. Während der Widerstand innerhalb der Gebietskrankenkassen zunehmend schwindet und stattdessen dem Kampf um die beste Ausgangssituation Platz macht, zeigt sich vor allem Eines: Das System könnte über einen längeren Zeitraum stillstehen.
Regierung will sparen
Ziel der Regierung ist laut Gesetzesentwurf eine Senkung der Verwaltungskosten. Durch die mit der Zusammenlegung der Träger einhergehenden Bündelung der Aufgaben, die Reduzierung der Verwaltungskörper und die Verkleinerung der Gremien – etwa im Hauptverband, den ein verschlankter Dachverband ersetzen soll – werde es zu deutlichen Effizienzsteigerungen kommen, macht die Regierung geltend. Im Zeitraum 2020 bis 2023 werden kumulierte Einsparungen beim Verwaltungs- und Sachaufwand im Ausmaß von 1 Mrd. € erwartet.
Doch schon an dieser Zahl scheiden sich die Geister. Erst in der Vorwoche meldeten anlässlich der 12. Sozialstaatsenquete von Hauptverband und Wifo Experten Zweifel an den Zahlen an. Unklar ist sowohl für Hauptverbandespräsident Alexander Biach als auch für Wifo-Chef Christoph Badelt, wie die Regierung auf die behaupteten Einsparungen kommt. Für ihn stehe fest, dass jede organisatorische Veränderung zunächst einmal Mehrkosten bringe und längerfristig dann Effizienzvorteile haben könne, sagte Badelt – aber: „Eine exakte Berechnung in dieser Größenordnung liegt nicht vor.” Davor hatte etwa der Rechnungshof die Darstellungen recht heftig kritisiert. „Es fehlen transparente und nachvollziehbare Berechnungsgrundlagen”, wurde moniert. Präsidentin Margit Kraker forderte eine Überarbeitung der Kostendarstellung: „Man muss das Spiel mit Zahlen beenden.”
Andere wiederum kritisierten, dass die Fusion mehr als 2 Mrd. € kosten könnte und von den Einsparungen dann wenig übrigbleibt. Dazu kommt, dass die Verwaltungskosten derzeit bei rund 2,8% liegen – das waren zuletzt in absoluten Zahlen 1,7 Mrd. €. In einer parlamentarischen Anfragebeantwortung bezifferte das Sozialministerium zudem die Kosten für die Gremien der Selbstverwaltung auf 0,009% der Gesamtausgaben der Sozialversicherungen. Sitzungsgelder, Funktionsgebühren, Reise- und Aufenthaltskosten für Kassenfunktionäre betrugen im Vorjahr gerade einmal 5,67 Mio. €. Die Bundesregierung hatte bei der Präsentation der Sozialversicherungsreform die hohen Kosten für die Sozialversicherungsfunktionäre beklagt und von einer „Funktionärsmilliarde” gesprochen, die man für die Patienten freischaufeln wolle. In den Sozialversicherungen wirft man der Regierung deshalb Populismus vor.
Fusionskosten sind unklar
In der Beantwortung einer weiteren parlamentarischen Anfrage räumte das Sozialministerium nun selbst ein, dass man nicht sagen kann, was die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger kosten wird. „Die Fusionskosten können zum derzeitigen Zeitpunkt nicht beziffert werden”, schreibt Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) in der Beantwortung. In der Anfrage-Beantwortung verweist das Sozialministerium auf die Fusion der Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und Angestellten, die laut Rechnungshof im Jahr 2004 rund 115 Mio. € gekostet habe. Die Fusionskosten im Bereich der ÖGK seien jedoch mit denen der PVA nicht vergleichbar, weil die PVA erst neun Landesstellen aufbauen musste und einen teuren Sozialplan vereinbart habe. Beides sei bei der ÖGK nicht vorgesehen, schreibt Hartinger-Klein.
Die Folge der Unklarheiten hat nun allerdings bereits spürbare Auswirkungen, die auch alle Akteure innerhalb des Gesundheits- und Sozialbreiches betreffen. Hauptverbands-Chef Biach hatte nämlich berichtet, dass die Krankenkassen noch kein Budget für 2019 erstellt haben, vor allem weil die Kosten für die Fusion derzeit „nicht abschätzbar” seien. Biach bezeichnete das Budget für das nächste Jahr als „besondere Herausforderung”. Eine Prognose, ob man mit einem Defizit oder doch mit einem Plus rechnen könne, wollte er deshalb noch nicht abgeben. Für heuer erwartet der Hauptverband ein leicht positives Ergebnis von 40 Mio. €. Der Hauptverbands-Chef macht dafür die bereits umgesetzten Leistungsharmonisierungen verantwortlich.
Lob für bestehendes System
Das zeige auch die Effizienz des bestehenden Systems und der Selbstverwaltung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, betonte Biach anlässlich der 12. Sozialstaatsenquete. „Unser Ziel als Selbstverwaltung im Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist es, für die in Österreich lebenden Menschen ein leistungsfähiges, finanzierbares und solidarisches Sozialversicherungssystem zu erhalten und auszubauen, damit eine exzellente Versorgung nachhaltig sichergestellt wird”, sagte Biach.
Österreich habe – neben Deutschland – das „einzig echt selbstverwaltete Sozialmodell und zudem eines der leistungsfähigsten der Welt”, sagt Günter Danner, Europavertreter der Deutschen Sozialversicherung. Gerade Systeme in unmittelbarer Staatsregie, sagt Danner, „fallen bei genauer Betrachtung negativ auf”. Gesundheitssysteme unter direkter Staatsverwaltung wie in Großbritannien oder Schweden hätten mit deutlich größeren Problemen zu kämpfen. So ein System einzuführen, würde bedeuten, einen Mercedes wegzuschmeißen und stattdessen einen Dacia zu kaufen: „Spätestens bei der ersten Urlaubsreise gibt das eine Enttäuschung.”
Österreich gibt derzeit fast ein Drittel seiner Wirtschaftskraft für die soziale Absicherung der Bevölkerung aus. Wie die Statistik Austria dieser Tage meldete, ist der Anteil der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung im Vorjahr allerdings auf 29,4% gesunken. Seit der Wirtschaftskrise hat der Bund seinen Anteil an den Sozialausgaben gesenkt – zulasten der Länder. Insgesamt beziffert die Statistik Austria die Sozialausgaben 2017 mit 108,8 Mrd. €; im EU-Vergleich lag Österreich damit an siebenter Stelle. An der Spitze lagen Frankreich mit 33,9% und Dänemark mit 32,3%.
Anteil der Arbeitgeber sinkt
Allein die Altersversorgung mit Pensionen kostet fast die Hälfte der Sozialausgaben (44,3%). Ein weiteres Viertel fließt in die Gesundheitsversorgung (26%), der Rest verteilt sich auf Familien und Kinder (9,5%), Invalidität/Gebrechen (u.a. Pflegegeld und Invaliditätspensionen, 6,2%), Arbeitslosigkeit (5,8%) und die Versorgung von Hinterbliebenen (5,7%). Vergleichsweise geringe Kosten verursacht die viel diskutierte Mindestsicherung mit einem Anteil von 2,5% am Sozialsystem. Der Großteil der Sozialleistungen wird allerdings unverändert von der Sozialversicherung abgewickelt (54,7%). Dabei ist seit 1990 der Anteil der Arbeitgeber um drei Prozentpunkte gesunken, während der Anteil der Versicherten gestiegen ist.