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© Fritz Hausjell privat

Fritz Hausjell

Redaktion 04.10.2024

„Attacke auf Medien hat in der FPÖ Tradition”

ROG-Präsident Fritz Hausjell über die türkis-grüne Medienpolitik und die Folgen der Wahl für Medien.

••• Von Dinko Fejzuli

Die Nationalratswahl 2024 ist geschlagen und je nachdem, welche Regierungskonstellation am Ende herausschaut, wird dies auch Folgen für die künftige Medienpolitik in Österreich haben. media­net bat den Medienwissenschafter Fritz Hausjell um eine Beurteilung der aktuellen Medienpolitik und um einen Ausblick, was nun nachfolgen könnte.

medianet: Herr Hausjell, die Wahlen sind geschlagen, die FPÖ ist auf Platz eins, und bevor wir über die Auswirkungen dieses Ergebnisses auf eine mögliche neue Medienpolitik sprechen: Wie beurteilen Sie die Arbeit der noch aktuellen Koalition in diesem Bereich? Viele haben ihre Hoffnungen vor allem auf die Grünen gesetzt, doch nicht alle sind wirklich zufrieden.
Fritz Hausjell: Die Bilanz fällt insgesamt recht unbefriedigend aus, denn nur weniges ist gelungen. Etliches muss indes als mittlere Katastrophe bezeichnet werden. Beginnen wir bei der Einstellung der republikseigenen Wiener Zeitung. Die in der tagesaktuellen Publizistik ohnedies sehr geringe Medienvielfalt zu verringern und stattdessen einen MediaHub mit gut dotierter Journalistenausbildung in Weisungsnähe des Bundeskanzleramts zu etablieren, hätte frühere grüne Medienpolitiker an den Kopf greifen lassen.

Die Wiener Zeitung als Versuchslabor für die gesamte Branche weiterzuentwickeln, wäre ein Gebot der Zeit gewesen.
Auch Innovationen durch Start-up-Förderungen zu pushen statt viel Geld für die wenig definierte ‚Transformation ins Digitale' den existierenden Medienunternehmen zu geben, hätte gegen die geringe Medienvielfalt geholfen, das wollte die Regierung aber nicht.

medianet: Aber gerade die Wiener Zeitung hat in der letzten Zeit durchaus spektakulär journalistisch den Finger in die eine oder andere Wunde gelegt – trotz der von Ihnen kritisierten Weisungsnähe.
Hausjell: Das ist erfreulich, aber leider strukturell kein Garant des Schutzes von journalistischer Arbeit gegenüber Regierenden, die sich in Zukunft nicht nobel zurückhalten müssen. Journalistische Produkte brauchen rechtlich einen höchstmöglich unabhängigen Raum. Das bietet die derzeitige Konstruktion nicht.

medianet:
Auch die Privatsender und der ORF scheinen eine gewisse Nähe zueinander im Kampf gegen die Techgiganten gefunden zu haben …
Hausjell: Die medienpolitisch verordnete Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichem ORF und privatwirtschaftlichen Sendern halte ich für ein grobe Fehlentscheidung, weil sie die Konkurrenz und Kritik zwischen Medien tendenziell verringert. Eine gesetzliche Erleichterung der Zusammenarbeit der Rundfunkmedien auf europäischer Ebene wäre klüger gewesen – hier muss der ORF nach wie vor mit starken Limits agieren.

Insgesamt war die Medienpolitik der türkis-grünen Regierung weit entfernt von visionären Konzepten. Flicken und Abwehren schien die Devise. Abgewehrt hat man eine gründliche Sanierung des korruptionsanfälligen Komplexes Regierungsinserate durch eine Gesetzesnovelle, die willkürliche Vergabe gegen Gefälligkeitsberichterstattung weiterhin nicht unterbindet.

Abgewehrt durch Nichtstun wurde bisher auch der vom Verfassungsgerichtshof festgestellte demokratiepolitische Konstruktionsfehler bei der Beschickung der Steuerungsgremien des ORF, der zu einem viel zu hohen Regierungseinfluss bei Stiftungs- und Publikumsrat führt. Abgewehrt durch Ignoranz wurde auch die Kritik an der überbordenden Regierungs-PR und dem Einsatz von SNU, also Strategisch notwendigem Unsinn, in der Regierungskommunikation.

medianet: Gibt es nichts Positives in Ihrer Bilanz?
Hausjell: Ja, wo bleibt das Positive in der Bilanz? Ach ja, wir haben endlich – als letzte in der EU – ein Informationsfreiheitsgesetz, das nächstes Jahr in Kraft tritt. Zum Teil positiv ist auch das medienpolitische Kapitel, das den ORF betrifft, zu nennen: Die Haushaltsabgabe ist der Schritt in die richtige Richtung; dafür zugleich ein Hunderte Millionen umfassendes Sparpaket aufgebrummt zu bekommen, macht die erweiterten Möglichkeiten im Digitalen zu einer bitteren Portion, begleitet durch eine Teilkastration im Bereich der Textbeiträge der bei Publikum sehr erfolgreichen ‚Blauen Seite'.

medianet:
Werfen wir einen Blick auf mögliche Koalitionen – was wäre denn je nach Variante für die Medien und die Medienpolitik zu erwarten?
Hausjell: Für die journalistischen Medien ist jede neue Regierungskonstellation zunächst einmal ein Gewinn, weil das Interesse beim Publikum etwas gesteigert ist. Ein Fortsetzung der bisherigen Türkis-Grün-Konstellation ist ja aufgrund des Wahlergebnisses ausgeschlossen. Blickt man auf die Medienpolitik-Kapitel der Wahlprogramme, so überwiegen die positiven Versprechen. Denen sind freilich die Aussagen exponierter Parteipolitiker in Richtung Medien und Journalisten hinzuzufügen – dann tun sich bei manchen Parteien, vor allem bei Blau und Türkis, deutlich problematische Perspektiven auf.

Was in einem Koalitionsabkommen bei großen Unterschieden zwischen den medienpolitischen Positionen dann tatsächlich fixiert wird, werden wir sehen. Was wir lange – fürchte ich – nicht sehen werden: Was in den künftigen geheimen Sideletters zum Koalitionspakt stehen wird.

medianet: Nun zum Wahlergebnis und insbesondere dessen möglichen Folgen, falls vor allem die FPÖ einer neuen Regierung angehören sollte. Die Blauen attackieren vor allem den ORF, aber insgesamt framen sie alle anderen außer den eigenen Kanälen als ‚Systemmedien'. Welches Kalkül steckt hinter dieser Rhetorik?
Hausjell: Das Kalkül ist klar und simpel – die FPÖ hat sich erfolgreich eigene und ihr verbundene Medienkanäle aufgebaut. Seit Jahren werden von der FPÖ systematisch journalistische Medien attackiert, mit Vorwürfen, sie wären ‚Lügenpresse', ‚links' oder samt und sonders ‚Systemmedien', bei einem Teil des Publikums mit dem Ziel madig gemacht, doch zur ‚unzensurierten' Publizistik der FPÖ zu wechseln. Unter Jörg Haider waren die Angriffe auf Medien immer dann, wenn diese für die FPÖ oder Haider selbst unangenehme Dinge erfolgreich thematisierten. Heute sind die Angriffe nahezu permanent.

medianet:
Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Attacken von Peter Westenthaler gegenüber dem ORF. Er ist gleichzeitig selbst Stiftungsrat und sollte eigentlich die Interessen des ORF vertreten …
Hausjell: Diese Situation hatten wir bereits einmal vor einem Vierteljahrhundert. Ich empfehle den Blick in die Medienarchive. Westenthaler war von 1999 bis 2002 Mitglied des ORF-Kuratoriums, so hieß damals das gewichtige Steuerungsgremium des ORF, das wir heute unter Stiftungsrat kennen. Zugleich war er zwar nicht Polit-Analyst beim TV-Sender oe24 und Kolumnist der Tageszeitung Österreich – beides gab es damals noch nicht –, dafür aber Obmann des FPÖ-Parlamentsklubs.

Er hat öffentlich vehement vor allem ORF-Journalisten kritisiert. Erst eine im profil veröffentliche lange Liste seiner Interventionsversuche und Drohgebärden hegte Westenthaler etwas ein. Wer sich nicht ausreichend wehrt, ermutigt Angreifer. Es liegt jedenfalls an der ORF-Führung und den ORF-Stiftungsräten, die Grenze zwischen Kritik und Beschädigung des Unternehmens zu ziehen und entsprechend zu handeln.

medianet: Da Sie auch den ehemaligen Kärntner Landeshauptmann erwähnen – insgesamt haben Angriffe auf die Medien eine lange Tradition in der FPÖ. Auch Jörg Haider drohte, dass, wenn er im Bund an die Macht käme, ‚mehr Wahrheit in den Schreibstuben' Einzug halten würde. Heute, mit dem abschätzigen Begriff ‚Fake News', scheint diese Strategie generell bei vielen in der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden zu fallen. Welche Folgen könnte das für die traditionellen Medien haben?
Hausjell: Es hat längst Folgen. Der Rückgang der Glaubwürdigkeit und der Nutzung klassischer journalistischer Medien muss der demokratischen Gesellschaft mehr als Warnung sein. Die Medienpolitik hätte in der Qualitätsjournalismusförderung Mittel für einen neuen Medienjournalismus bereitstellen sollen.

Dieser neue Medienjournalismus sollte zum einen in spannenden Storys die Unterschiede zwischen Journalismus und anderen Medieninhalten, die der Strukturwandel der Öffentlichkeit massig hervorgebracht hat, analysieren und vermitteln.  Dazu gehört auch die journalistische Bearbeitung von Fake News, die heftig viral gehen, im Sinne einen Medienkonsumentenschutzes. Da ist man zwar dann immer erst als Zweiter an der – vermeintlich – großen Story dran, aber die eigentliche Story, die es dann zumeist zu erzählen gibt, ist, dass diese Geschichte sich weitgehend in Luft auflöst.

medianet: Aber wie befähigt man Menschen, Fake News & Co auch als solche tatsächlich zu erkennen?
Hausjell: Die Bürgerinnen und Bürger zu befähigen, auf nichtjournalistischen Medienkanälen gesehene tolle Storys als nutzlose, ablenkende oder irreführende zu erkennen, dazu braucht es diesen neuen Medienjournalismus. Die Schulen vermitteln allmählich mehr Medienkompetenz, aber die Gesellschaft besteht überwiegend aus Nichtschulpflichtigen. Also ist das stark Aufgabe des Journalismus, wenn er überleben will.

medianet:
Da gibt es aber möglicherweise ein Problem, diese Menschen auch zu erreichen, denn gleichzeitig haben mehrere Parteien, wie Sie vorhin erwähnt hatten, eigene Medienkanäle aufgebaut. Am erfolgreichsten ist hier die FPÖ. Sehen Sie überhaupt noch eine Chance, Menschen, die sich bevorzugt dort informieren, wieder für klassische Medien zurückzugewinnen?
Hausjell: Der eine Schritt ist die vorhin skizzierte Medienkompetenzvermittlung und der Medienkonsumentenschutz durch journalistische Medien. Wie kommt das zu FPÖ-Anhängern, die klassische Medien gar nicht mehr nutzen? Durch die Debatten, die wir im Alltag zum Glück ja auch noch führen, am Würstel- oder Dönerstand, am Arbeitsplatz, in der Ver­wandtschaft und auf den Sportplätzen.

medianet:
Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht Whistleblower-Plattformen? Hier ist ja ein Entwurf aus der ÖVP aufgetaucht, in dem Journalisten sogar mit Haft bedroht werden sollten, wenn sie über diverse Missstände oder Interna aus Verfahren berichten. Die ÖVP wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer künftigen Regierung angehören. Sehen Sie die Gefahr, dass sie versuchen könnte, diese Pläne etwa mit einer FPÖ als Partner zu verwirklichen, um Journalisten stärker an die Kandare zu nehmen?
Hausjell: Whistleblower-Plattformen werden an Bedeutung zulegen. Dazu braucht es auch Einrichtungen wie den jüngst gegründeten Verein ‚Ans Licht!'. Denn mutige Whistleblower brauchen auch fachliche Unterstützung, damit sie am Ende nicht die Loser sind.

Der ÖVP-Entwurf zum umfassenden Zitierverbot samt Strafandrohungen, der Anfang des Jahres an den grünen Koalitionspartner gerichtet wurde, offenbart Abgründe. Die Freunde der Medienfreiheit sind bei den zwei Parteien, die als stärkste aus dieser Wahl hervorgegangen sind, offensichtlich nicht mehrheitsfähig, außer in Sonntagsreden und in Wahlprogrammen. Journalisten und Medien sind gut beraten, zum einen sich mehr professionelle Distanz zur umgarnenden Politik zu verschaffen.  Zum anderen sind Wehrhaftigkeit, sich Kümmern um die Medienpolitik und Allianzen mit den medienkompetenten Teilen innerhalb der Bürgerschaft wohl Gebot der Stunde.

medianet:
Apropos ‚Ans Licht!'. Sie standen hier selbst kürzlich in der Kritik, weil Sie als ROG-Präsident einerseits dem SPÖ-Kandidaten als Berater zur Seite standen und andererseits zusammen mit Ibiza-Aufdecker Julian Hessenthaler eben diesen Verein zur Unterstützung von Whistleblowern gegründet haben. Wie passt das mit Ihrer Funktion als Präsident von Reporter Ohne Grenzen zusammen? Einige Ihrer Vorstandskollegen sind sogar aus Protest aus dem ROG-Führungsgremium zurückgetreten.
Hausjell: Ich bedauere den Austritt, weil wir Stärke und gemeinsames Agieren brauchen. Der Verein ‚Ans Licht!' ist jedenfalls aus meiner Sicht keine Konkurrenz zu ‚Reporter ohne Grenzen', vielmehr eine notwendige Ergänzung. Temporäres politisches Engagement und Arbeit an exponierter Stelle einer Medien-NGO sind für mehr Menschen als ich dachte ein Widerspruch, etwas das sich ausschließt. Wir entwickeln daher gerade entsprechende vorstandsinterne Regeln, die wir bald kommunizieren werden.

medianet: Am Montag dieser Woche gab es hierzu eine Gremiensitzung. Was war das Ergebnis?

Hausjell: Die Generalversammlung hat beschlossen, dass das Büro strukturell gestärkt wird, genaue Complianceregeln entwickelt werden, und ich wurde wieder zum Präsidenten gewählt.

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