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sabine bretschneider 10.05.2019

Böse Menschen haben keine Lieder

Das Gefahrenpotenzial klassischer Musik auf öffentlichen Plätzen – und andere Dissonanzen.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

ZWIESPALT. Kürzlich im Kurier: Beschrieben wird eine Festnahme am Bahnhof Wiener Neustadt. „Kein Einzelfall”, schreibt der Kurier. Mittlerweile gäbe es Hunderte Amtshandlungen in der Schutzzone Bahnhof. Daran habe auch „ein Projekt von ÖBB und Stadt” wenig geändert.

Mehr Sicherheitspersonal? Mehr Streetworker? Hunde, Zäune, kostenpflichtiges WLAN? Weit gefehlt. Der Bahnhof wird mit klassischer Musik beschallt. „Studien zufolge”, heißt es weiter, „soll die Musik langfristig an den Nerven rütteln und damit Drogendealer und Störenfriede vertreiben”. „Das Beschallen des Vorplatzes mit klassischer Musik ist hier nur ein Mosaikstein von vielen, der zeigt, mit welch großem Engagement wir im Sinne der Sicherheit der Menschen ans Werk gehen”, wird Wiener Neustadts Bürgermeister Klaus Schneeberger zitiert. So hat vor Herrn Schneeberger noch niemand das Abschreckungspotenzial europäischer musikalischer Kultur beschrieben …
Aussagekräftige Studien zur Wirkung der Klassik auf Kriminelle waren nicht zu eruieren. Das „Handbuch Funktionale Musik” (Psychologie, Technik, Anwendungsgebiete, Springer Verlag) beschreibt allerdings eine „kognitive Dissonanz”, die sich aus Sicht von am Bahnhof aufhältigen Obdachlosen aus der Diskrepanz zwischen persönlicher Lebenssituation und akustischer Atmosphäre ergeben könne … Als belegt hingegen gilt ein subjektiv empfundenes höheres Sicherheitsgefühl der mit klassischer Musik bespielten Reisenden. Fazit: Wer Taschendieben einen Startvorteil verschaffen will, entspannt die Fahrgäste mit Streichkonzerten.
Apropos kognitive Dissonanz: Im Vorjahr hat eine von Medienminister Gernot Blümel ausgerufene Medienenquete stattgefunden – als „Startschuss für einen breiten medienpolitischen Diskurs”. „An der Pressefreiheit ist nicht zu rütteln, jede Einschränkung ist inakzeptabel”, hatte Blümel in seinem Statement zum Medienstandort Österreich konstatiert. Wer also erkennt hier rückblickend eine gewisse Diskrepanz?

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