••• Von Paul Hafner
WIEN. Die steigenden Umsätze des Einzelhandels seit der Abschaffung der 2G-Regel verdeutlichen das Ausmaß der Einbußen, mit denen die (Non-Food-)Händler durch den Ausschluss der ungeimpften Bevölkerung via Lockdown (15. November bis 31. Jänner) bzw. 2G-Kontrollpflicht (11. Jänner bis 11. Februar) zu kämpfen hatten. Allein der erste Einkaufssamstag nach dem 2G-Aus, vom Handelsverband zum „Tag des Handels” stilisiert, brachte ein branchenübergreifendes Umsatz- und Frequenzplus von 20%.
Kein Einmaleffekt: Mit dem Ende der Maskenpflicht und dem Ende der G-Regeln in der Gastronomie im Zuge des für 5. März anberaumten zweiten Öffnungsschritts rechnet Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will mit einem weiterem „wöchentlichen Umsatzplus von 50 Mio. Euro für die stationären Geschäfte, denn der Handel als Yin und die Gastro als Yang gehören nun mal zusammen”.
Bekanntermaßen ausbleiben muss die synergetische Symbiose vorerst in Wien; hier sind Ungeimpfte weiterhin von der Gastronomie ausgeschlossen, und auch das Ende der Maskenpflicht ist noch nicht terminisiert. „Das Virus ist in Wien nicht anders als in anderen Bundesländern oder Landeshauptstädten in Restösterreich, daher haben wir in dieser Phase kein Verständnis mehr für Wiener Sonderwege”, kritisiert Will.
Damoklesschwert BA.2
Wenig Verständnis für die konsequente und wenig überraschende Fortsetzung des strikteren Kurses im (rosa-)roten Wien hat auch WKO-Handelsspartenobmann Rainer Trefelik, denn nur ohne Maske sei „das Einkaufserlebnis auch das, was es sein soll. Und gerade für jene Branchen, die nach wie vor stark unter den Auswirkungen der Pandemie leiden, wie etwa der Schuh- und der Bekleidungshandel, ist dies sehr wichtig”. Das kommt nicht von ungefähr: Trotz Konjunkturerholung 2020, die allen Handelsbranchen mit Ausnahme des Elektrohandels (–0,1%) ein kleineres oder größeres Plus bescherte, lagen die Umsätze des Schuh- und Bekleidungshandel 2021 um herbe –26,3% bzw. –19% unter dem Niveau von 2019.
Wie schnell sich der (stationäre) Einzelhandel auf lange Sicht erholen können wird, ist indes freilich von anderen Faktoren als regionalen Verschiebungen abhängig; den Etikettierungen wie „Freedom Day” zum Trotz sind an diesen Tag, der abseits von Wien auch die Öffnung der Nacht- und Stehgastronomie bringt, eher Hoffnungen als Erwartungen geknüpft. Zu groß ist die Sorge, dass der Omikron-Subtyp BA.2 zum eigenständig benannten Schwesternvirus aufsteigen und der großen Öffnung ein jähes Ende bereiten – oder diese gar noch verhindern könnte.
Baldige Klarheit absehbar
Hatten sich bezüglich des Auftauchens von Omikron (BA.1) frühe Sorgen schließlich nicht bewahrheitet und die Mutation als harmloser als die Delta-Variante herausgestellt (welche im Sommer 2021 das Pandemiegeschehen neu anfachte), droht mit dem neuen Subtyp der gegenteilige Fall einzutreten; die bisherige Zahl an Studien ergibt kein eindeutiges Bild, und Infektologen wie Virologen zeigen sich uneins, wie die Pathogenität im Vergleich zu BA.1 einzuschätzen ist. Immerhin: Da die Dominanz der wohl bald eigenständig benannten Variante nur noch eine Frage von Tagen sein dürfte, gilt selbiges auch für eine zuverlässige Einschätzung der Lage.
Paradigmenwechsel
Ungeachtet der wechselnden Dominanz verschiedener Covid-Varianten und um der von Händlern seit zwei Jahren geforderten Planungssicherheit gerecht zu werden, plädiert der Handelsverband seit Längerem für ein „Leben und Wirtschaften mit dem Virus” – und verweist in diesem Zusammenhang gebetsmühlenartig auf die Sicherheit, die beim Shopping gegeben sei: „Der Handel ist kein Corona-Hotspot”, verlautbarte der Handelsverband via Aussendung erstmals im Oktober 2020 – und in der Tat gibt es mittlerweile auch abseits von AGES-Erhebungen eine Reihe internationaler Studien, die diese zum Mantra gereifte Aussage beglaubigen.
Neben epidemologischen Gründen sprechen aber auch wahltaktische Gründe gegen eine Kehrtwendung: Die große Öffnung wurde nicht aus einer Laune heraus verkündet, ihr ging das grüne Licht der Gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (Gecko) voraus, und deren Vorsitzende, Katharina Reich, betonte, der aktuelle Anstieg würde „in eine andere Phase der Pandemie münden”.
Zwar beeilten sich Reich, Kanzler Karl Nehammer und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, die Pandemie (konträr zu ihren Vorgängern) als nicht überstanden zu wissen und wähnen die Schutzmaßnahmen „in einem Standby-Modus” (Reich); doch das Signal ist unmissverständlich, und ein neuerliches Zurückrudern angesichts des zu erwartenden Widerstands von Bevölkerung, Wirtschaft und Ländern ein Himmelfahrtskommando für die Koalition – und damit in weiterer Folge für die Regierungsparteien.
Ärger mit Ausfallsbonus
Jener Phasenwechsel, den Reich für die Pandemie postuliert hat, lässt sich indes auch für den wirtschaftlichen Diskurs feststellen: Während dem lange wenig beachteten Phänomen „Long Covid” nun vermehrt Aufmerksamkeit zuteil wird – die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) spricht von 15.000 dokumentierten Krankenständen –, findet sich parallel dazu mittlerweile auch „Financial Long Covid”, das Pendant auf betrieblicher Ebene, am Tapet.
„Aktuell erfüllen zwei Drittel der vom vierten Lockdown (22. November bis 12. Dezember 2021, Anm.) betroffenen Geschäfte nicht einmal die Voraussetzungen, um den Ausfallsbonus oder Verlustersatz überhaupt beantragen zu können, weil bei der Berechnung des Umsatzausfalls jeweils auf den gesamten Kalendermonat abgestellt wird und nicht auf den Lockdown-Zeitraum”, erläutert Will. Ein Bemessen der Umsatzausfälle könne daher „rein logisch nicht monatsweise erfolgen, sondern muss sich auf den konkreten Lockdown-Zeitraum im November und Dezember beziehen bzw. alternativ von Monatsmitte bis Monatsmitte berechnet werden”. Zudem müsste die Auszahlung des Ausfallsbonus sowie des Verlustersatzes beschleunigt werden, „die Gelder müssen rascher auf den Konten der belasteten Unternehmen ankommen”.
Aller guten Dinge sind drei?
Die Normalität des Handels scheint zumindest vorerst wieder hergestellt, das Frühlingserwachen ist programmiert. Doch wird die warme Jahreszeit ein drittes Mal verschlafen und keine probate Lösung für Betriebe gefunden, droht – parallel zum Auslaufen der Ende der Corona-Wirtschaftshilfen mit Ende März – ein böses Erwachen in Form der sich schon lange ankündigenden Insolvenzwelle – mit oder ohne neuer Variante.