Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
DENN WAHRLICH … Die nächste Alltagsrevolution steht an: ChatGPT wird jetzt als „GPT-4o” zum multitalentierten Sprachassistenten, der scherzt und singt. Nur tanzen kann er – noch – nicht. Im Netz kursieren schon einige Demo-Videos, die belegen, dass man demnächst mit geschlossenen Augen durch die Welt ziehen kann, sofern man die Handykamera eingeschaltet lässt und sie in die halbwegs richtige Richtung dreht. Der runderneuerte Chatbot nutzt ausgefeiltere maschinelle Lerntechniken, um das kontextuelle Verständnis zu verbessern. Das Modell kann jetzt komplexere Abfragen verarbeiten, relevantere und detailliertere Antworten liefern, was einen neuen Leistungsstandard setzen soll.
Es beschreibt, was es in Echtzeit sieht, kann Text, Bilder, Dokumentdateien und Audio, sogar Mimik, interpretieren, live übersetzen und menschenähnlich interagieren, klingt aufgeregt, aufmunternd, mitfühlend. Das geschliffen anthropomorphe Auftreten wirkt, je nach persönlicher Einstellung dazu, irgendwo auf einer Skala zwischen charmant und grauenerregend. Am Arbeitsmarkt für Übersetzer und Dolmetscher, Fremdenführer, Babysitter und Blindenhunde stehen die Zeichen auf Sturm.
Eine starke Ausprägung des Anthropomorphismus, des Zuschreibens menschlicher Eigenschaften, findet sich in den traditionellen Religionen. Wir werden sehen, ob, nachdem der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters in Österreich die staatliche Anerkennung als Glaubensgemeinschaft verwehrt wurde, demnächst ein neuer Versuch gestartet wird. ChatGPT ist bereits, das belegen einschlägige Studien, recht eindrucksvoll in der Lage, Texte für religionswissenschaftliche Analysen, mit inhaltlichen Verweisen auf Transzendenz und Spiritualität, zu klassifizieren. Schauen wir also, ob die Hürde einer Mitgliedszahl von mindestens zwei Promille der Bevölkerung (daran scheiterten die Jünger des Spaghettimonsters) nicht mit einer patriarchalisch gefärbten KI übersprungen werden kann.