••• Von Paul Hafner
WIEN. Letzlich ging die im Oktober 2021 verkündete (und medial von der Regierungskrise überschattete) Einführung des Einwegpfands trotz aller vorhergehenden Widerstände friktionsfrei über die Bühne. Harald Hauke, Vorstand der Altstoff Recycling Austria, zählt zu den Befürwortern, plädiert aber für eine umfassende Lösung einschließlich positiver Incentivierung in Form digitaler Anreizysteme.
medianet: Das neue Abfallwirtschaftsgesetz sieht bis 2025 eine verpflichtende Einführung von Einwegpfand auf PET-Flaschen und Dosen vor. Sollte es damit allein gelingen, die EU-Sammelquoten zu erreichen? Bei Plastikflaschen liegt die Vorgabe ab 2029 immerhin bei 90 Prozent …
Harald Hauke: Wir sehen das Einwegpfand als ein Instrument hinsichtlich einer nachhaltigen Wirtschaftsweise in Österreich, jedoch als unzureichende Teillösung zum Erreichen der EU-Recyclingziele im Kunststoffbereich. Während Österreich im Recycling von Verpackungen aus Papier, Glas und Metall die Quoten bis 2030 schon erreicht hat, gibt es im Bereich des Recyclings von Kunststoffverpackungen Aufholbedarf. Jährlich kommen 300.000 Tonnen Kunststoffverpackungen auf den Markt, davon werden aktuell 25 Prozent recycelt. In den nächsten Jahren müssen wir die Quote mehr als verdoppeln. Bis 2030 müssen wir jährlich zusätzliche 90.000 Tonnen Kunststoffverpackungen recyclen. Das Einwegpfand auf Kunststoffgetränkeflaschen bringt dazu bestenfalls 9.000 Tonnen, also rund zehn Prozent der Lücke, die wir schließen müssen. Es braucht dementsprechend eine Gesamtstrategie für Kunststoffverpackungen.
medianet: Der ARA kommt dabei – als Österreichs führendes Sammel- und Verwertungssystem für Verpackungen – eine zentrale Rolle zu. Wie sieht Ihr Beitrag zu einer solchen Gesamtstrategie aus, gerade vor dem Hintergrund der vielbeschworenen Kreislaufwirtschaft?
Hauke: So wie der New Green Deal der EU an der gesamten Wertschöpfungskette ansetzt, berücksichtigt auch die ARA alle Bereiche der Kreislaufwirtschaft – von Produktgestaltung und Produktion, über Konsum zu Sammlung und Verwertung, verbunden mit Digitalisierungsmaßnahmen. Dabei geht es nicht nur um die Erreichung von Sammel- oder Recyclingquoten. Es geht um ein tragfähiges Zukunftsmodell für den Klimaschutz, in dem Ressourcenschonung und Rohstoffsicherheit selbstverständlich sind, in dem die Industrie Investitionssicherheit genießt und in dem es einen funktionierenden Markt für Rezyklate und deren Einsatz in allen möglichen Produkten gibt.
medianet: Unklarheit in Sachen Recycling herrscht vielerorts bezüglich der Zukunft von Gelber Tonne und Gelbem Sack. Soll es sie weiterhin geben oder werden sie angesichts des ab 2025 verpflichtenden und einheitlichen Sammelsystems des LEH in ihrer bestehenden Form gar obsolet?
Hauke: Die Möglichkeit zur Rückgabe von Getränkeverpackungen soll nicht im Handel enden. Ein zukunftsfähiges System muss weiterdenken und den Wandel unseres Lebensstils berücksichtigen, der durch Convenience und Digitalisierung geprägt ist. Die Gelbe Tonne und der Gelbe Sack bieten ein Maximum an Bequemlichkeit und Komfort für die Sammlung von allen Kunststoffverpackungen. Österreichweit stehen den Konsumentinnen und Konsumenten damit rund um die Uhr zwei Millionen Abgabemöglichkeiten für die Sammlung von Kunststoffverpackungen zur Verfügung. Als Pfandrücknahmestellen stehen dem rund 6.000 Lebensmittelgeschäfte nur zu den Öffnungszeiten gegenüber.
medianet: Die Zukunft der bestehenden Systeme zur Sammlung von PET-Flaschen steht also außer Frage.
Hauke: Ja. Aber für die zukünftigen Herausforderungen müssen wir noch besser werden, denn wir wollen jede Verpackung fürs Recycling zurück. So wollen und müssen wir die getrennte Sammlung bei den Haushalten weiter ausbauen. Dazu eine Zahl: Als die ARA die getrennte Sammlung vor fast 30 Jahren gestartet hat, waren es 500 Meter bis zum nächsten Kunststoffsammelcontainer, jetzt sind es nur noch 150 Meter. Mittlerweile haben mehr als 60 Prozent der österreichischen Haushalte die getrennte Kunststoffsammlung im Haus. Aber wir wollen noch näher an die Haushalte. Das andere ist eine bundesweit einheitliche Sammlung bei den Kunststoffverpackungen, die wir schon lange einfordern. Bei Glas gibt es zum Beispiel in ganz Österreich Weiß- und Buntglas. Bei Papier haben Sie dasselbe System – nur beim Kunststoff gibt es verschiedene Systeme.
medianet: Sie haben vorhin, im Kontext einer Gesamtstrategie, auch Digitalisierungsmaßnahmen angesprochen. Können Sie das konkretisieren?
Hauke: Ein Pfandsystem muss zeitgemäß und damit vor allem convenient für Konsumenten und Handel ausgestaltet sein. Aus diesem Grund haben wir heuer gemeinsam mit Saubermacher (einem steirischen Dienstleister für die Entsorgung und Verwertung von Abfall, Anm.) und der Unterstützung der österreichischen Getränkewirtschaft die anreizorientierte App digi-Cycle entwickelt, die auch perfekt für ein Pfandsystem eingesetzt werden kann. Es handelt sich dabei um ein digitales Incentive-System für die getrennte Sammlung von Getränkeverpackungen. Mit der Gelben Tonne und dem Gelben Sack nutzen wir die bestehende Infrastruktur mit zwei Millionen Abgabestellen für Kunststoffverpackungen; das bietet ein Maximum an Bequemlichkeit und Komfort. Wir haben digi-Cycle bereits erfolgreich getestet: Im Zuge eines Modellversuchs im steirischen Gnas wurden PET-Flaschen und Getränkedosen ausgegeben, an denen digitale Codes angebracht waren. Zusätzlich wurden die Gelben Tonnen und Gelben Säcke bzw. Blauen Tonnen mit QR-Codes versehen. Interessierte mussten sich nur die App downloaden, nach dem Konsum den Code auf der Flasche oder Getränkedose sowie am Sammelbehälter scannen und konnten bei richtiger Entsorgung Prämien kassieren.
medianet: Wie lautet die Bilanz dieses Testlaufs?
Hauke: Am Versuch teilgenommen haben rund 400 Haushalte, und damit mehr als jeder sechste der insgesamt 2.300 Gnaser Haushalte. Die Umfrageergebnisse nach der dreimonatigen Testphase sind sehr positiv ausgefallen: Die App wurde von den Konsumentinnen und Konsumenten ausschließlich mit Schulnoten von 1 bis 2 bewertet – ein klares Zeichen für die Nutzerfreundlichkeit. Wir sehen uns bestätigt, mit digi-Cycle den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Damit erfüllen wir die Anforderungen an ein Pfandsystem und motivieren gleichzeitig auch dazu, andere Verpackungen zu sammeln, denn wenn ich meine Getränkeverpackungen in die Gelbe Tonne werfe, dann nehme ich andere Kunststoffverpackungen doch auch gleich mit. Und das bringt uns der Erreichung der Recyclingziele für alle Kunststoffverpackungen ein großes Stück näher. digi-Cycle beschränkt sich aber nicht ausschließlich auf Getränkeverpackungen. Es bietet die Möglichkeit, für alle nur erdenklichen Produkte angewendet zu werden, von Food- und Non-Food-Verpackungen bis hin zur Ausweitung auf Batterien oder Elektrogeräten
medianet: Wie könnte eine flächendeckende Implementierung in das Pfandsystem der Zukunft aussehen? Ist eine Ko-Existenz mit dem Einwegpfand, das ja eine Art Negativanreiz darstellt, überhaupt denkbar?
Hauke: digi-Cycle ist als Teil eines multimodalen Pfandsystems gedacht, bei dem die Konsumentinnen und Konsumenten entscheiden, wann und wo sie ihre Getränkeverpackungen zurückgeben: via digi-Cycle bei der Gelben Tonne oder dem Gelben Sack, über die Rückgabeautomaten in den größeren Filialen des Lebensmittelhandels oder an den über 1.000 Recyclinghöfen. Als attraktivste Methode, um in Zukunft noch mehr Getränkegebinde zu sammeln, wurde von den Teilnehmern im Rahmen der Nachbefragung übrigens die Abholung direkt beim Haus mit Gelber Tonne und Gelbem Sack plus Incentivierung bewertet. Nur neun Prozent haben gemeint, dass sie die Rücknahme über den Handel mit einem Einwegpfand zu mehr Sammlung veranlassen würde.
medianet: Niedrige PET-Sammelquoten werden üblicherweise mit dem urbanen Raum assoziiert. In Wien liegt die Quote weit unter dem aktuellen Bundesschnitt von rund 70 Prozent und den bis 2025 angepeilten 77 Prozent. Verhält es sich mit den anderen Landeshauptstädten ähnlich oder ist Wien ein Spezialfall?
Hauke: Der urbane Raum mit seiner Anonymität und dem Weg zur Sammelinsel ist eine Herausforderung für die getrennte Sammlung, besonders in Wien. Aber hier tut sich viel, um die Sammelquote zu steigern. 2019 wurde die Sammlung umgestellt, es gibt seither nur noch einen gemeinsamen Sammelbehälter für Plastikflaschen, Getränkekartons und Metallverpackung (Fusion von Gelber und Blauer Tonne, Anm.). Der Konsument hat es nun bequemer, er muss weniger getrennt halten. Seit der Systemumstellung hat sich die Sammelmenge um rund elf Prozent erhöht. Bei den PET-Flaschen gibt es ein Plus von 26 Prozent, bei den Getränkedosen beträgt es 24 Prozent und bei Getränkekartons 30 Prozent. Wir müssen mit der Sammlung auch in den Städten näher zu den Bürgerinnen und Bürgern. Für Wien heißt das: Wir müssen in die Wohnhausanlagen. Daran arbeiten wir bereits mit einem Pilotversuch in Favoriten, bei dem aktuell 10.000 Menschen die Gelbe Tonne für ein Jahr direkt im Haus haben. Außerdem wollen wir den Gelben Sack, der direkt beim Haus abgeholt wird, weiter ausbauen.
medianet: Welche Konsequenzen hat es, wenn Müll falsch getrennt wird, zum Beispiel etwa eine Glasflasche in der Gelben Tonne landet oder eine PET-Flasche im Glascontainer?
Hauke: Grundsätzlich muss man einmal sagen, dass wir in Österreich zu den besten Sammelnationen in Europa und zu den besten weltweit gehören. Auch bei den Umfragen schneiden wir in Österreich gut ab. Mehr als 90 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher finden die getrennte Sammlung gut oder sehr gut. Mehr als eine Million Tonnen Verpackungen und Altpapier werden jedes Jahr von den österreichischen Haushalten getrennt gesammelt, rund 90 Prozent der Verpackungsabfälle werden recycelt. Gesammelte Verpackungen sind eine wertvolle Ressource. Sie werden zu Sekundärstoffen und wieder für die Produktion neuer Produkte und Verpackungen eingesetzt. Das spart Rohstoffe, Energie und klimaschädliche CO2-Emissionen. Werden Verpackungen nicht getrennt gesammelt und im Restmüll entsorgt, dann sind diese Wertstoffe für das Recycling verloren.