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Josef Seethaler, Waltraud Kaserer, Silvia Kaupa-Götzl, Rudolf Melzer, Michaela Ernst, Madlen Stottmeyer, Hans-Peter Siebenhaar.

Redaktion 16.09.2024

IFWK-Studie: Von Faktenorientierung zu interpretativem Journalismus

WIEN. Bei der Enquete „Wie mächtig ist der Wirtschaftsjournalismus?“ des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK) wurden Auszüge aus der neuen weltweiten Studie „Worlds of Journalism“ präsentiert. Nach der Studie prägt in Österreich ein verändertes Verständnis der Bevölkerung die Arbeit der Wirtschaftsjournalisten: „Das Publikum geht weg von der reinen Faktenorientierung. So zeigt sich auch ein Wandel im Wirtschaftsjournalismus vom objektiven Faktenjournalismus hin zu einem interpretativen, auf Transparenz bedachten Journalismus“, hob Josef Seethaler, Abteilungsleiter des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), einen Aspekt hervor. Außerdem nehme die Bekämpfung von Desinformation in Wirtschaftsressorts mittlerweile eine große Rolle ein. Nachgelassen hätten hingegen interventionistische Ansichten, die aktiv Einfluss auf Öffentlichkeit und Politik ausüben möchten.

Das Thema „Macht von Journalisten“ aus dem Blickwinkel einer Top-Managerin beleuchtete die langjährige Vorständin der Österreichischen Postbus AG Silvia Kaupa-Götzl, die davor Prokuristin bei den ÖBB war. „Ich habe bei den ÖBB gelernt, dass wichtige Entscheidungen gemeinsam mit der Kommunikations- und PR-Abteilung transparent und nachvollziehbar aufbereitet werden müssen“, bestätigt Kaupa-Götzl das in der Studie erwähnte Verlangen der Bevölkerung nach transparentem Journalismus. Schlimm finde sie, wenn Geheiminformationen aus Sitzungen in Medien auftauchen oder Verhandlungspartner mit einem „Gang zu den Medien“ drohten.

Die Vertreter der Medien sehen das anders. „Meine Aufgabe als Journalistin ist es, hinter die Kulissen zu schauen und Dinge rauszukriegen“, betonte die Wirtschaftsjournalistin Hedi Schneid.

Verantwortung des Bundeskanzlers
Madlen Stottmeyer aus der Wirtschaftsredaktion der „Presse“ stellte fest, dass sie und ihre Kollegen im Wirtschaftsjournalismus einer „aussterbenden Berufsgruppe“ angehörten. Anhand von Beispielen wie Wirecard oder Signa skizzierte die Redakteurin, was Journalismus leisten kann, beziehungsweise könnte. Beim Beispiel Signa verwies sie darauf, dass Olaf Scholz damals Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) war und zuvor Hamburger Bürgermeister, als der Elbtower-Deal unterzeichnet wurde: „Da stellt sich die Frage, warum er nie zur Verantwortung gezogen wurde und immer noch Bundeskanzler ist?“, sagte Stottmeyer.

Journalisten zwischen Macht und Ohnmacht
Auf dieses Wechselspiel zwischen Macht und Ohnmacht eines Journalisten, ging Hans-Peter Siebenhaar ein. Der langjährige Redakteur des Handelsblattes, Konzernsprecher der OMV und jetzt in der Chefredaktion von Focus Money tätig, sagte: „Die Eigenwahrnehmung ist laut der vorliegenden Studie, dass sie gar nicht so viel Macht haben. Aber natürlich haben sie Macht und die ist umso größer, je börsennotierter ein Unternehmen ist. Umso kleiner so ein börsennotiertes Unternehmen von seiner Marktkapitalisierung her ist, umso anfälliger ist es natürlich auch gegenüber der Berichterstattung und der Analyse, die von den Medien kommt.“

Schwache Wirtschaftsberichterstattung
Zur Situation in Österreich meinte Siebenhaar, dass es traurig sei, dass das Wirtschaftsblatt eingestellt wurde: „Eine Volkswirtschaft im Herzen Europas verdient eine eigene Wirtschaftszeitung liberaler Art, die nah an den Unternehmen ist. Ich bedauere auch, dass der ORF als einer der ganz wenigen öffentlichen Rundfunkanstalten keine Börsenberichterstattung am Abend, also z.B. in der ZiB2 hat. Ökonomisch autarker Journalismus wäre gut für die Öffentlichkeit, das dient auch zur Ökonomisierung von Denken und Handeln.“

Auf die im Vergleich zu den Redaktionen viel stärker besetzten Kommunikationsabteilungen der Unternehmen ging Waltraud Kaserer ein. Sie arbeitete nicht nur im Bankenbereich und direkt an der Börse, sondern auch als Journalistin beim "Standard" und der „WELT am SONNTAG“. Außerdem war sie auch als Kommunikationschefin in der Politik sowie bei börsennotierten Unternehmen wie der Lenzing AG tätig. „Für das Ungleichgewicht zwischen großen Kommunikationsabteilungen und Redaktionen sind die vielen Social-Media-Kanäle verantwortlich. Die Unternehmen stehen dort einem riesigen Bereich an unregulierten Absendern gegenüber, der rund um die Uhr ohne Gatekeeper posten. Und wenn ein Shitstorm erst losgetreten ist, ist es wahnsinnig schwierig, ihn wieder einzufangen“, so Kaserer. Die klassischen Medien haben bei zu vielen Zielgruppen ihren Zugang und ihre Deutungshoheit verloren, die Macht der Wirtschaftsjournalisten ist nur mehr bei einem Teil der Medienkonsumenten groß.

Paradoxe Berichterstattung
In der Diskussion wies Josef Herget, Direktor des Excellence Instituts, auf ein Paradoxon hin: „Mantra-artig wird nach jeder Wahl Bill Clinton zitiert „It´s the economy, stupid!“. Dennoch kommt der Verknüpfung von Politik und ihren ökonomischen Konsequenzen für das Alltagsleben in der Berichterstattung kaum Relevanz zu. Madlen Stottmeyer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass etwa Politiker-Interviews hauptsächlich von Innenpolitik-Redakteuren durchgeführt werden und die ökonomischen Aspekte schlicht unter den Tisch fallen würden.

Lücken in der Bildung
Einen zentralen Raum der Tagung im Wiener Raiffeisenhaus nahm weitgehend fehlende Finanzbildung ein, „16-jährige Lehrlinge haben oft keine Ahnung, wie sich die auf ihrem Gehaltszettel ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge zusammensetzen, von Themen wie Zinsen oder Zinsdeckel gar nicht zu reden“, gab Karl Koczurek, Landesdirektor der Österreichischen Beamtenversicherung (ÖBV) zu bedenken.

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