Gastkommentar ••• Von Franz-Josef Lackinger
WIEN. Die meisten Menschen, die sich im Internet tummeln, haben längst mitbekommen, dass es sich um Künstliche Intelligenz handelt, die bestimmt, was sie zu hören oder lesen bekommen, was ihnen zum Einkauf oder wer ihnen für ein Date vorgeschlagen wird. Abgesehen davon konnte sich der durchschnittlich ambitionierte Laie in der Beschäftigung mit KI bislang vor allem an Spekulationen über demnächst obsolet werdende Berufsbilder schaurig ergötzen (Bürokaufleute, Controller, Anwälte, gar Ärzte …). Mit der seit November frei verfügbaren Anwendung ChatGPT hat nun eine „KI für jedermann” quasi über Nacht die bisher eher in Expertenkreisen geführte Diskussion in die allgemeine Öffentlichkeit getragen.
Aufregung im Bildungswesen
Für wirkliche Aufregung sorgt ChatGPT jedoch im Bildungswesen. Denn mit ChatGPT ist KI durch die Hintertür, sprich die Endgeräte von vor allem Oberstufenschülern, in die Klassenzimmer eingezogen. Jene Schüler, die über Equipment und Know-how verfügen, freuen sich – und hoffen auf eine praktisch hausübungsfreie restliche Schulzeit. Ansonsten sind die Reaktionen gemischt: Die anekdotische Evidenz – eine systematische gibt es noch nicht – reicht vom Verbot an den Schulrechnern des New Yorker Bildungsdistrikts, über Krisensitzungen des Lehrkörpers an heimischen Schulen bis zur entspannten Aufforderung der hiesigen Bildungsbehörden, man möge mit den Schülern Möglichkeiten und Chancen des Tools diskutieren. Bemerkenswert ist die sarkastische Freude des renommierten Bildungswissenschaftlers Stefan Hopmann im ORF: Nun werde das Schulwesen gezwungen sein, sich vom zusammenhanglosen Abmühen an insgesamt 7.000 Einzelbildungszielen im Laufe einer Schülerkarriere endgültig zu verabschieden.
Und die Reaktion darauf?
Tatsächlich haben ChatGPT und seine Nachfolger das Potenzial, ein nicht nur durch Corona ohnehin verunsichertes Bildungswesen in seinen Grundfesten zu erschüttern. Viele schulübliche Aufgabenstellungen, die nicht kontrollierterweise ad personam zu erbringen sind, scheinen damit obsolet – zumindest für den Zweck, durch selbsttätiges Üben Wissen reproduzieren bzw. in Fertigkeiten umwandeln zu können.
Wenn selbst die Entwickler von ChatGPT eingestehen, mit all ihren Möglichkeiten in nur 26 Prozent aller Fälle feststellen zu können, ob ein Text von Mensch oder Maschine erstellt wurde, kommt auf alle Lehrenden in unserem Bildungswesen eine ziemliche Herausforderung zu. Im Bildungsressort nimmt man das zur Kenntnis, schreibt von besonderen „(prüfungs-)didaktischen Herausforderungen” und davon, dass „die derzeitige Diskussion, ob Hausübungen überhaupt noch sinnvoll sind, sich wohl auch noch auf andere Bereiche ausweiten” werde. Gut getroffen, doch was folgt daraus? Wie lange wird es dauern, bis Lehrpläne, deren neueste Generation erst ab Herbst in Umsetzung gelangt, auf diese Entwicklung Rücksicht nehmen, bis pädagogische Hochschulen ein entsprechendes Fortbildungsangebot anbieten und ausrollen? Und wer berät die Eltern, wenn sie auf die Frage, ob es Hausübungen zu erledigen gibt, die Antwort bekommen: „Das hat ChatGPT schon gemacht.”
„Gründe einen Arbeitskreis”
In Kenntnis der Schwerfälligkeit des Bildungswesens werden wir auf institutionelle und einigermaßen flächendeckende Antworten auf diese Fragen noch warten müssen. Einstweilen werden die bewährten österreichischen Unterrichtsprinzipien „Trial and error” und „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott” das Kind schon schaukeln. Und an der Einrichtung einer Taskforce zum Thema wird ja im Bildungsministerium wohl schon gearbeitet, oder?