MARKETING & MEDIA
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Philipp Ikrath Philipp Ikrath wurde 1980 in Wien geboren. Seit 2005 ist er Studienleiter bei tfactory Hamburg, seit 2007 in deren Geschäftsleitung sowie seit 2012 auch Gesellschafter der tfactory sowie der wissenschaftliche Leiter und Vorsitzende von Jugendkulturforschung.de e.V.

Michael Fiala 30.06.2017

„Massive ­Schleichwerbung”

Philipp Ikrath spricht über problematisches Jugendmarketing und dreistes Product Placement.

••• Von Michael Fiala

WIEN/BERLIN. Im Interview mit medianet spricht Philipp ­Ikrath über Chancen und Gefahren des Jugendmarketings.

medianet:
Die Jugend wird vor Gefahren wie Alkohol oder Drogen über Gesetze mehr oder weniger geschützt. Wie beurteilen Sie den Einfluss von Jugendmarketing auf die Jugend?
Philipp Ikrath: Der Einfluss von Marketing ist überhaupt allumfassend, nicht nur auf die Jugend. In einer Lebensstilgesellschaft wie unserer drücken alle Menschen ihre Einstellungen in erster Linie auf der ästhetischen Ebene, das heißt vor allem über den Konsum von Produkten und Dienstleistungen, aus. Ökologisches Gewissen über den Einkauf im Biosupermarkt, Kosmopolitismus über das Reisen an exotische, unerschlossene Destination, einen gehobenen, genuss­orientierten Lebensstil, indem man stundenlang in einer mit Hightechgeräten vollgeräumten Küche raffinierte Abendessen für Freunde zubereitet. Natürlich ist der Einfluss des Marketings auch auf die Jugend gewaltig, etwa auf Jugendszenen, die sich sehr stark über ihr Äußeres definieren. Die sind natürlich für Szenemarken eine interessante Zielgruppe. Werden dabei moralische Grenzen überschritten? Ich finde, diese Frage ist in einer Gesellschaft, in der alle Lebensbereiche, von der Kinder- bis zur Altenbetreuung über das Bildungssystem, das immer mehr im Hinblick auf den Arbeitsmarkt ausbildet usw., marktförmig organisiert sind, schwer zu beantworten. Denn natürlich müssen auf Märkten sowohl private als auch staatliche Leistungen auch beworben werden. Das kann man befürworten, man kann darin aber auch eine Situation erkennen, die an und für sich schon eine totale Grenzüberschreitung ist.

medianet:
Welche Beispiele können Sie nennen?
Ikrath: Als besonders problematisch, weil hier ganz eindeutig ständig Grenzen überschritten werden, sehe ich die YouTuber- und Instagram-Szene, in der massive Schleichwerbung die Regel ist. Hier werden scheinbar objektiv Produkte getestet; dass diese ‚Tests' oft bezahlt sind oder zumindest durch die Zuverfügungstellung von Produkten ‚unterstützt' werden, kann man, wenn überhaupt, irgendwo im Kleingedruckten lesen. Das ist schon sehr dreist.

medianet:
Die Jugendkultur ist – so scheint es – einem rasanten Wandel unterlegen. Was heute ‚in' ist, kann schon in ein paar Wochen wieder ein ‚alter Hut' sein. Wie sehr lässt sich die Jugendkultur über Marketing steuern?
Ikrath: Dieser Eindruck täuscht. Natürlich gibt es ständig irgendwelche kurzfristigen Mode­erscheinungen wie gerade die Fidget Spinner, die nach ein paar Monaten wieder verschwunden sind. Andererseits gibt es aber auch die eine ‚Jugendkultur' nicht, deswegen auch nicht das eine Veränderungstempo. Auch die Jugend ist eine Altersgruppe unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Und sie ist ausnehmend heterogen. Man darf nicht davon ausgehen, dass alle so sind wie die ‚Generation Y', die in den Medien so gern erwähnt und beschrieben wird, die aber gar nicht existiert, sondern bestenfalls ein Zerrbild der Realität ist oder ein Wunschtraum. Das sind bestenfalls ein paar Prozent der Arbeitsmarkteliten – urban, gut gebildet, kosmopolitisch, flexibel, an moralischen Fragen uninteressiert. Die sind eben so, wie man sich den idealen Arbeitnehmer heute vorstellt bzw. wie sich der Arbeitsmarkt die Jugend eben wünschen würde. Nur spielt die da nicht mit. Manche Gruppen unterliegen dem Einfluss des Marketings deswegen sehr stark, andere sind diesbezüglich dafür aber sehr kritisch. Die Frage lässt sich pauschal also nicht beantworten.

medianet:
Dreht sich die Spirale der Jugendkultur heutzutage schneller als noch vor ein paar Jahren, als Social Media noch kein Thema war?
Ikrath: Sicher gibt es einige Bereiche, gerade wenn es um Technologien geht, in denen das Veränderungstempo heute viel größer ist als früher. Aber gehen Sie heute mal auf ein Musikfestival. Da sind die Bands, die dort als Headliner, also quasi als Hauptprogrammpunkt, auftreten, immer noch die gleichen wie vor zehn Jahren. Beim ‚Rock in Vienna' spielen unter anderem die Toten Hosen oder Deichkind zu den Hauptzeiten; das sind alles Bands, die es schon mindestens seit den 2000er-Jahren gibt. Hier ist das Veränderungstempo sogar langsamer als früher.

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