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© ORF/Thomas Ramstorfer

Redaktion 28.06.2024

„Nicht Unterhaltung, sondern Aufklärung”

„ZiB 2”-Anchor Martin Thür führt die Sommergespräche im ORF. Wie er sie anlegt, erzählt er im ausführlichen Talk.

••• Von Dinko Fejzuli

Mit seinen „Sommergesprächen” möchte Martin Thür, der heuer durch das Format führt, vor allem eines: den Wählerinnen und Wählern eine Hilfe zu ihrer Entscheidungsgrundlage für die Wahl liefern. medianet bat ihn zum großen Interview.


medianet:
Herr Thür, heuer führen Sie die ORF-Sommergespräche, doch aktuell werden Sie selbst von Kolleginnen und Kollegen zum Interview gebeten. Welche Fragen können Sie jetzt schon nicht mehr hören?
Martin Thür: Ich kann nichts gegen Fragen haben. Fragen sind mein Job.

medianet:
Und wie fühlt es sich an, jetzt auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen?
Thür: Als Interviewer bin ich nicht der beste Interviewte. Oft fallen mir die besten Antworten erst ein, wenn das Gespräch vorbei ist. Das gehört wohl dazu.

medianet:
Kommen wir zu den heurigen Sommergesprächen im ORF selbst. Wann entscheiden Sie, mit welchem Konzept Sie in das jeweilige Gespräch gehen?
Thür: Das Konzept steht in der Regel ein paar Tage vorher fest. Es kann aber immer passieren, dass ein Großteil des Interviews kurzfristig geändert werden muss, wenn neue Entwicklungen eintreten – gerade in einem Wahljahr ist das sehr wahrscheinlich. Kurz vor der Sendung können neue Themen aufkommen, die wir dann unbedingt integrieren müssen. Der Gesprächsverlauf ist zudem stark davon abhängig, wie der Gesprächspartner auf meine Fragen reagiert. Manchmal schaffe ich es nur, die Hälfte meiner geplanten Fragen zu stellen. Daher ist es wichtig, sich frühzeitig vorzubereiten und verschiedene Szenarien durchzuspielen: Welche Antworten erwarte ich? Muss ich meine Fragen anpassen? Das ist ein entscheidender Teil der Vorbereitung.

medianet:
Sie sagen es richtig, wir sind in einem Wahljahr und de facto mitten im Wahlkampf. Wie werden Sie denn die Sommergespräche anlegen?
Thür: Das stimmt, wir stehen mitten im Wahljahr und das bedeutet, dass das, was wir tun, von großer Bedeutung ist, und die Sommergespräche dienen nicht der Unterhaltung, sondern vor allem der Aufklärung vor der Wahl.

medianet:
Was genau meinen Sie damit?
Thür: Angesichts der aktuellen Krisen und Herausforderungen in Bereichen wie Gesundheit und Sicherheit werden wir weniger auf Showelemente setzen und uns stärker auf klassische, politische Interviews konzentrieren. Die traumhafte Location am Fuße des Traunsteins mit Blick auf den Traunsee nahe dem geografischen Mittelpunkt Österreichs unterstreicht dabei symbolisch unsere Absicht, weg von den Debatten in Wien zu kommen und uns jenen Themen zu widmen, die alle betreffen.

medianet:
Es wird also eher wie die ‚ZiB 2' und weniger ein Sommergespräch?
Thür: Nein, es wird definitiv ein Gespräch bleiben, aber mit einem klaren Fokus auf konkrete politische Inhalte. Angesichts der Fülle an Themen, die vor der Wahl besprochen werden müssen, ist es wichtig, dass wir die tiefergehenden Aspekte beleuchten und weniger oberflächliche Elemente einbringen.

medianet:
Vergleicht man politische Interviews hierzulande mit jenen vor allem im angelsächsischen Raum, so werden sie dort viel härter geführt – hier eher nicht. Weshalb ist das so?
Thür: Ich bin ein großer Fan dieser Interviews und sehe sie mir auch gerne an, glaube aber, dass das Publikum in Österreich eine eher weniger konfrontative Herangehensweise bevorzugt, und in Österreich pflegen wir tendenziell mehr Respekt gegenüber den Beteiligten. Dennoch ist es wichtig, kritische Fragen zu stellen und die politischen Aussagen zu hinterfragen, damit die Zuseherinnen und Zuseher jene Informationen bekommen, die sie unter Umständen für ihre Wahlentscheidung benötigen.

medianet:
Aber auch zu lockere Interviews kommen beim Publikum nicht gut an. Wie findet man den richtigen Mittelweg?
Thür: Die Herausforderung ist es, einen ausgewogenen Ansatz zu finden. Einige Zuschauer mögen es, wenn Interviewer hartnäckig sind, während andere eine freundlichere Atmosphäre-re bevorzugen. Mein Ziel ist es, eine Balance zu finden, die informativ und respektvoll ist, aber dennoch die relevanten Fragen stellt, die die Zuschauer interessieren.

medianet:
Wie bereiten Sie sich speziell auf diese Gespräche vor, etwa im Vergleich zu einem ‚ZiB 2'-Interview?
Thür: Die Vorbereitung ist intensiv, da ich mich mit einer Vielzahl von Themen auseinandersetzen muss. Ich lese viel und überlege mir, welche Fragen besonders relevant sind. Es geht darum, die wichtigsten politischen Aspekte zu identifizieren und mögliche Widersprüche oder kontroverse Themen anzusprechen.

medianet: Politiker erzählen einem in Interviews manchmal Dinge, die sich im Nachhinein als nicht ganz korrekt herausstellen, aber da sind sie schon unwidersprochen on Air. Was halten Sie von einem Live-Fakten-Check?
Thür: Ein Live-Faktencheck wäre ideal, aber in der Praxis schwierig umzusetzen. Es ist wichtig, dass offensichtliche Fehler direkt angesprochen werden, aber ein umfassender Faktencheck während des Gesprächs würde den Fluss unterbrechen und könnte die Dynamik negativ beeinflussen.

medianet:
Das Publikum scheint es nicht zu mögen, wenn während der Politikerinterviews unterbrochen wird. Manchmal muss man aber einschreiten, um etwa Monologe zu verhindern. Wie entscheiden Sie, ob und wann Sie eingreifen?
Thür: Es ist eine heikle Balance. Bei offensichtlichen Fehlinformationen oder Unwahrheiten muss ich intervenieren. Wenn es jedoch um Meinungen oder weniger relevante Details geht, lasse ich die Politiker ihre Position erklären. Diese Entscheidung muss ich bei jedem Interview individuell treffen.

medianet:
Als Interviewer ist man ja nicht nur Journalist, sondern auch ein Mensch mit einer eigenen Meinung. Wie gelingt es, die professionelle Distanz zu wahren?
Thür: Als Journalist ist es meine Aufgabe, allen Politikern äquidis­tant zu begegnen und den Zuschauern die Informationen zu präsentieren, die sie benötigen, um informierte Entscheidungen zu treffen. Meine persönliche Meinung spielt dabei keine Rolle. Es geht darum, die Sichtweisen der Politiker transparent zu machen und Zusammenhänge verständlich zu erklären.

medianet:
Manchmal wird es vermutlich bei aller Ernsthaftigkeit auch Situationen geben, wo man sich das Lachen kaum verkneifen kann. Wie geht man damit um?
Thür: Ab und zu gibt es absurde Situationen, in denen ich innerlich schmunzeln muss. Auch in solchen Momenten ist es wichtig, die Ernsthaftigkeit der Diskussion zu wahren und die Situation angemessen zu behandeln.

medianet:
Angesichts des nahenden Wahltermins – sind auch die ORF-Sommergespräche politisch gesehen ein Teil des Wahlkampfs?
Thür: Ja, natürlich sind die Sommergespräche Teil des Wahlkampfs. Sie sollen die Positionen der Politikerinnen und Politiker ins Zentrum rücken und ihre Standpunkte hinterfragen. Besonders in diesem Jahr mit so vielen aktuellen Themen und Herausforderungen ist es entscheidend, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren.

medianet:
Apropos informieren. Für manche erstaunlich, könnte der ORF die ‚ZiB 3' als Nachrichtenformat vom TV-Schirm hin zu YouTube verlegen. Wie sehen Sie generell die Präsenz des ORF mit teuer produziertem Content auf Kanälen wie YouTube, TikTok oder Facebook?
Thür: Es ist ein Balanceakt zwischen traditionellen und neuen Medien, den wir sorgfältig navigieren müssen. Aber es ist wichtig, dass der ORF auch neue Medien nutzt, um ein breites Publikum zu erreichen. Egal, wo wir präsent sind, müssen wir sicherstellen, dass wir qualitativ hochwertige Inhalte liefern, die unseren Standards entsprechen.

medianet: Manche finden aber gerade diesen Umstand, nämlich hochwertigen Public Value Content den Tech-Giganten zu schenken, durchaus problematisch. Auf der anderen Seite wird aber auch gefordert, dass der ORF dort ist, wo sein Publikum ist – ein schwieriger Spagat?
Thür: Das ist eine Herausforderung, vor der nicht nur der ORF steht. Alle Argumente sind berechtigt, aber letztlich müssen wir sicherstellen, dass wir unsere Zuschauer dort erreichen, wo sie sind.

medianet:
Bleiben wir bei den digitalen Plattformen. Auf Twitter, ein besonders für die heimischen Journalisten- und Kommunikationsbubble wichtiger Raum, haben Sie aktuell rund 166.000 Follower und zählen damit zu einer festen österreichischen Größe auf dieser Plattform. Wie ab und an zu sehen ist, gehen Sie dort mancher öffentlichen Konfrontation durchaus nicht aus dem Weg, sondern stellen sich dieser. Twitter ist ein hochemotionales Medium. Wo ist für Sie die Grenze, die Sie als ORF-Journalist nicht überschreiten, sprich, wie bleibt man da sachlich und ruhig?
Thür: Es gelingt mir sicherlich nicht immer zu 100 Prozent. (lacht) Ich versuche auch dort, die Fakten in den Mittelpunkt zu stellen. Besonders, wenn Diskussionen von der Realität abweichen, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, worum es wirklich geht.

medianet: Wie weit ist es ein Problem, dass man etwa Junge mit klassischem TV gar nicht mehr erreicht und sie eher auf TikTok & Co. mit oftmals dubiosen Inhalten konfrontiert werden. Wie erreicht man solche Menschen, insbesondere mit einem Format wie den Sommergesprächen?
Thür: Es ist wichtig, Kanäle nicht nach Altersgruppen zu trennen. Das Nutzungsverhalten ändert sich ständig, und Medien müssen sich anpassen. Die Sommergespräche und die ORF-Information erreichen breite Teile der Bevölkerung an den Orten, die sie frequentieren. Unsere Aufgabe ist es, sie mit relevanten Informationen dort zu erreichen, sei es auf Instagram oder in einer traditionellen Pressestunde.

medianet:
Was Sie mit den Sommergesprächen erreichen wollen, haben Sie bereits erklärt; sie sollen die Menschen etwa informieren oder ihnen eine Grundlage für ihre Entscheidungen liefern. Was wäre auf der anderen Seite das Worst-Case-Szenario?
Thür: Das Worst-Case-Szenario wäre, wenn die Gespräche ihre Relevanz verlieren würden. Relevanz ist die wichtigste Währung für uns Journalisten.

medianet:
Erwarten Sie, dass es beim Sommergespräch bei dem einen oder anderen Kandidaten eher rund geht? Ich stelle mir einen Herbert Kickl so kurz vor der Wahl im Studio eher schwer einzufangen vor …
Thür: Jeder Kandidat kann schwierig werden, nicht nur Herr Kickl, denn jeder Kandidat hat seine eigene Art, und es liegt an mir, hinter die Rhetorik und die Punkte, die wir schon mehrmals gehört haben, zu blicken und herauszufinden, was wirklich hinter den Aussagen steckt.

Mein Job wird sein, den berühmten Stehsätzen auszuweichen und woanders hinzugehen mit ihnen. Und das wird eine Challenge mit allen Fünfen.


medianet:
Gibt es einen Angstgegner, etwa doch Herr Kickl?
Thür: Ich sehe Herbert Kickl nicht als Angstgegner. Schwieriger finde ich es, beispielsweise den Bundespräsidenten zu interviewen. Da besteht ein erhebliches Gefälle – er ist 80 und ich bin 41. Dieser Altersunterschied erfordert eine besondere Form von Höflichkeit und Respekt, ohne dabei unkritisch zu sein. Das ist eine ganz andere Herausforderung als bei anderen Interviews.

Generell gilt: Jeder Gesprächspartner bringt seine eigenen Besonderheiten mit, auf die man sich einstellen muss. Manche Interviews gelingen gut, andere weniger, aber das gehört dazu.


medianet: Sind Sie mit einem der Studiogäste per Du?
Thür: Nein.

medianet:
Wie halten Sie es generell mit dem Du-Wort bei Politikern?
Thür: Es gibt ein paar wenige Politiker, vielleicht drei, vier, mit denen bin ich per Du. Die sind vor allem in meinem Alter und waren damals keine bekannten Politiker, sondern Pressesprecher oder Ähnliches, als wir uns kennengelernt haben.

medianet:
Frage zum Schluss – hat schon einer der aktuellen Politiker-Pressesprecher angerufen, um zu intervenieren, damit etwa keine Enten oder Elefanten im Hintergrund zu hören sein werden?
Thür: (lacht) Nein es hat sich noch niemand wegen möglicher Enten beschwert, die es angeblich auch noch nie gab. Aber wir sind ja am Traunsee, haben keine Angst vor Enten und sollten sie doch kommen, werden wir es aushalten.

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