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Redaktion 22.07.2024

Österreich ist noch nicht Kl-fit

Aktuelles Digital Skills Barometer 2024 in der Sonderedition Künstliche Intelligenz zeigt zahlreiche KI-Gaps der Online­-Österreicher auf.

WIEN. Ganz oben stehen Defizite im Grundlagenwissen zu KI und damit in der Basis für eine kompetente, sichere und selbständige Nutzung von KI-Anwendungen und - Systemen in unterschiedlichen Kontexten - privat, beruflich, als Jugendlicher, als Arbeitnehmender, als Führungskraft. Österreich droht damit den Anschluss an die digitale Zukunftsfähigkeit zu verlieren.

Kl-(Nicht)-Wissen
Der Erhebung liegt der Kompetenzbegriff zugrunde, der das Verständnis und Wissen, die Fertigkeiten und Einstellung dieses Wissen anzuwenden, sowie die eigene Wirksamkeit in der Nutzung von Technologien umfasst. So schätzen die Online-Österreicher ihr KI­ Grundlagenwissen im Durchschnitt als gut ein, d.h. sie gehen davon aus, dass sie über solides KI-Basiswissen verfügen und selbständig - nur mit temporärer Hilfestellung - einfache Kl-basierte Routinearbeiten durchführen können. Tatsächlich erreichen sie durchschnittlich jedoch nur die Stufe des elementaren Basiswissens, d.h. sie benötigen direkte Anleitung zur Durchführung einfacher Kl-basierter Routinearbeiten. Die Studienautoren sehen eine Überschätzung von 50%: durchschnittlich 37 Punkte in der Selbsteinschätzung (= Kompetenzstufe 2); im KI-Wissen nur 19 Punkte (= Kompetenzstufe 1)]. Wollen Frau und Herr Österreicher in Zukunft selbständig und eigenverantwortlich Kl-basierte Aufgaben bewältigen und KI-Anwendungen nutzen, werden zwischen 40-60 Punkte (Kompetenzstufe 3) benötigt.

KI-Gaps & Nutzungsverhalten
Die größten Wissensdefizite herrschen in den Kompetenzbereichen „Grundlagen, Zugang und digitales Verständnis" (9 Pkt), ,,Umgang mit Informationen und Daten" (14 Pkt) und „Sicherheit und nachhaltige Ressourcennutzung" (18 Pkt). Am besten schneiden Online-Österreicher im Kompetenzbereich „Kreation, Produktion und Publikation" (31 Pkt) ab.

Der Digital Skills Barometer 2024 zeigt auch ein KI-Gen(der) und Gen(eration) Gap. Frauen schneiden durchschnittlich in der Selbsteinschätzung und im KI-Wissen schlechter ab als Männer. Die jüngste Altersgruppe, die sog. Zoomer (zwischen 16 und 29 Jahre), schneidet am besten ab, überschätzt ihr KI-Wissen aber mit 35 Punkten auch um nahezu zwei Kompetenzstufen. Korrelationen gibt es mit Blick auf das Geschlecht wiederum - wie bereits in den Digital Skills Barometer der Vorjahre zu allgemeinen digitalen Kompetenzen erhoben - mit der Technologieaffinität. Also in der Bereitschaft, sich mit digitalen Anwendungen, Geräten und Technologien zu beschäftigen: Frauen verfügen über eine geringere Technologieaffinität als Männer, denn nur 29% der Online-Österreicherinnen zeigen eine hohe bis sehr hohe Technologieaffinität. Bei den Männern sind es 54%. Immerhin 57% der Befragten geben an, dass sie selbst aktiv sein müssen, um mit den Entwicklungen rund um KI­ Anwendungen und -Systeme Schritt halten zu können. Ein Wert, der Mut macht und das Potential zeigt! Denn die Ergebnisse zeigen auch, dass 52% der Online-Österreicher keine KI-Anwendungen nutzen. 70% dieser Personen geben an, nur über mangelndes Wissen zu verfügen und auch sicherheitstechnische Bedenken zu haben. 66% geben an, dass sie Datenschutz- und urheberrechtliche Bedenken in der KI-Nutzung haben. Auch die KI-Fertigkeiten fehlen 61% der Befragten. Sie würden allerdings KI-Anwendungen nutzen, wenn sie kostenlosen Zugang hätten (60%), wenn sie in Sachen (Cyber-) Sicherheitsrisiken besser geschult wären (60%) und  die Funktionsweise besser verstehen würden (56%) bzw. sie jemand beim Einsatz von KI-Tools unterstützen würde (55%). Der letzte Wert korrespondiert mit den sehr geringen Ergebnissen im KI­ Wissen (direkte Anleitung notwendig).

Jene 35%, die KI-Anwendungen nutzen, bauen insbesondere auf Kl-unterstützte Übersetzungstools (40%) oder KI-Textgeneratoren (33%). Am wenigsten werden (noch) Kl­ unterstützte Präsentationsprogramme (87%), Predictive Analytics Anwendungen (86%), aber auch KI­ Bildgeneratoren (75%) verwendet. Die Top-KI-Anwender*innen sind die Zoomers: 72% der 16- bis 29-jährigen nutzen KI-Anwendungen.

Auch wenn über 1/3 bis 51% der Befragten Chancen für die Gesellschaft durch KI-Einsatz sehen (Verbesserungen in der Forschung, Effizienzsteigerung in der Wirtschaft, Optimierung des Verkehrswesens), werden verstärkt hohe bis sehr hohe Risiken beim Einsatz von KI in puncto Cybergefahren (62%), militärische Anwendungen (60%) und Überwachung und Kontrolle (59%) gesehen. In der öffentlichen Verwaltung erkennen 38% der Online-Österreicher*innen eine Chance für Prozessoptimierung, Servicequalitätsverbesserung sowie Kosteneinsparungen.

KI im betrieblichen Kontext
Gemäß letztem Länderbericht Österreich der Europäischen Kommission zur Digitalen Dekade nutzen gerade einmal 11% der österreichischen Unternehmen KI-Anwendungen und nur 24% Data Analytics. Durchschnittlich 50% der Führungskräfte in österreichischen Unternehmen (mit strategischer, Mitarbeitenden- oder Budget-Verantwortung) sehen bei der DSB-KI-Erhebung die Top­ Hemmnisse für den KI-Einsatz in ihren eigenen Unternehmen im „Mangel an Fachwissen" (57%), „unklaren rechtlichen Vorgaben" (54%) und „Akzeptanz der Mitarbeitenden und des Managements" (49%).

Sieht man auf die Mitarbeitenden-Seite, so geben 28% der Arbeitnehmenden an, dass KI-Systeme und -Anwendungen in den kommenden 5 Jahren eine hohe bis sehr hohe Relevanz haben werden, 12% gehen von keiner Relevanz bzw. 20% von geringer Relevanz aus. In der generationsspezifischen Betrachtung nimmt die Relevanz mit steigendem Alter ab. Fast die Hälfte der österreichischen Erwerbstätigen, die sich in der digitalen Welt bewegen, gibt an, dass neue Geschäftsfelder entstehen und sich Jobprofile verändern werden (je 48%). Knapp 40% sehen die Notwendigkeit, interne Kompetenzen und Ressourcen mit KI-Fokus aufzubauen, weil nicht ausreichend KI-Wissen und - Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind. Über 50% würden KI-Anwendungen dann nutzen, wenn dies ihre Arbeit verbessert und neue oder bessere Ideen für die eigenen Tätigkeiten entstehen.

KI und Lernen
32% der Online-Österreicher eignen sich ihre KI-Kompetenzen durch regelmäßiges „Learning by doing"und 21% durch ,,Learning on the Job" an. Lernen findet allerdings im KI-Kontext wesentlich weniger statt als im Kontext allgemeiner digitaler Kompetenzen (51% bzw. 42% - Vergleichswerte aus Digital Skills Barometer 2023/2024 - Allgemeine digitale Kompetenzen). Knapp 70% der Online-Österreicher geben an, dass sie in ihrer bisherigen formalen (Aus-)Bildung nicht ausreichend auf KI-Anwendungen vorbereitet wurden und 44% wünschen sich Unterstützung, um mit KI-Anwendungen und -Systemen zurecht zu kommen. Über 40% zeigen sich von den unterschiedlichen KI-Anwendungen und Möglichkeiten verwirrt, aber immerhin 1/3 wäre bereit KI­ Kompetenzen aufzubauen, wenn der Staat oder Arbeitgeber dies finanziert. Nur 13% der Arbeitnehmenden haben sich in den vergangenen 12 Monaten KI-Kompetenzen im Rahmen einer betriebsinternen Schulung angeeignet, über 2/3 nicht.

Personas in der österreichischen KI-Welt
Nur 6% der österreichischen Online-Bevölkerung haben zumindest mehr als 40% der KI-Wissensfragen richtig beantwortet. Diese Gruppe besteht aus überwiegend Männern mit hoher Bildung. Sie sind erwerbstätig und kommen größtenteils aus der Gruppe der MillenialsPLus (30 bis 49 Jahre). Die Gruppe der „KI-Nachzügler" stellen 61% der Online-Österreicher mit unter 20% richtig beantworteten KI-Wissensfragen. Sie sind überwiegend Frauen (56%), in der Gruppe der BoomersPLus (50 bis 69 Jahre) und sind zu 53% erwerbstätig.

Was bedeuten diese Ergebnisse für Österreich?
Breite und Skalierung im Kompetenzaufbau erreicht man durch drei Säulen: Unternehmen, Regionen und Schulen bzw. Fortbildungsinstitutionen. 

1.) Gesellschaft: Von Unwissen, Angst und Skepsis (No-Know) hin zum informierten Diskurs und menschzentrierter Kt-Nutzung (Let's go). Die Bewusstseinsbildung und ein öffentlicher, gesellschaftlicher Diskurs zum Thema KI sind notwendig. Sinnvolle Maßnahmen: Medien-gesteuerte Informationsmaßnahmen zum Themenschwerpunkt „KI und neue Technologien"; Multimediale Informations- und Aufklärungskampagne „Digitaler Humanismus - der Mensch im Mittelpunkt"; Öffentliche Informationsplattform in der KI-Servicestelle

2.) Bildung: Die KI-Evolution und-Revolution ist da und wartet nicht! Kontinuierliche Evaluierung und Qualifizierung auf Basis europäischer und österreichischer Standards ist notwendig, um evidenzorientiert die KI-Skills-Mismatches bei Jung und Älter zu erkennen und rasch, zielgerichtet und flexibel darauf zu reagieren. Sinnvolle Maßnahmen: Anreize für betriebliche und berufsbegleitende Qualifizierung, denn Life-long Learning braucht Anschub; AHS-Oberstufen­ Upgrade mit zusätzlichen Wochenstunden; KI-Bootcamps zu KI-Fokusthemen wie „KI und Cybersecurity", ,,KI und Datenschutz"; KI-Kompetenzaufbau für politische Entscheidungsträger*innen (Bund, Land, Gemeinden)

3.) Unternehmen/Wirtschaft: Digital Turbo Boost von und für die Wirtschaft und Regionen. Kompetenzaufbau durch die Wirtschaft und in den Regionen, u.a. mit Hilfe von wirkungsorientierten Förderungen durch die öffentliche Hand. Sinnvolle Maßnahmen: Etablierung flexibler, niedrigschwelliger und wirkungsorientierter Förderprogramme und Strukturen zum Aufbau von KI­ Kompetenzen; professionelle und niedrigschwellige Impulsberatung und Unterstützung.

Patricia Neumann, Vorstandsvorsitzende Siemens AG und Vizepräsidentin fit4internet: "Die Ergebnisse aus dem Digital Skills Barometer zu Künstlicher Intelligenz liefern uns ein fundiertes, evidenzbasiertes Verständnis, in welchen Bereichen konkret angesetzt werden muss, um die Potenziale, die durch den Einsatz von KI möglich sind, auch realisieren zu können. Sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext. KI ist inzwischen ein integraler Bestandteil in vielen Anwendungen und das wird sich über die kommenden Jahre noch verstärken. Es braucht daher mehr Bewusstsein für moderne Technologien wie KI, aber vor allem einen kompetenten, menschenzentrierten Umgang damit. Daher benötigen wir "KI-Stewards" im Bildungswesen und in den KMUs - über Peer-Learning, Lern- und Förderprogramme, Reverse K/-Mentoring etc. - um die Grundlagen für eine sichere Kt-Anwendung zu schaffen."

"Künstliche Intelligenz ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern verändert die Wirtschaft grundlegend. Die Zukunft wird jenen Unternehmen gehören, die diesen Wandel schneller und effektiver vollziehen als ihr Mitbewerb. Dabei sind Investitionen in die Weiterbildung der Mitarbeitenden und die Anpassung von Geschäftsmodellen an die neuen technologischen Möglichkeiten von entscheidender Bedeutung. Nur durch proaktives Handeln und eine offene Innovationskultur können Unternehmen langfristig wettbewerbsfähig bleiben und die Chancen der digitalen (Kl)-Transformation voll ausschöpfen." betont Spartenobmann Ing. KR Martin Heimhilcher, Wirtschaftskammer Wien Sparte „Information und Consulting".

Christoph Becker, Geschäftsführer ETC - Enterprise Training Center: "Unsere Zeit - die der Digitalisierung bzw. der digitalen Transformation - ist geprägt von Schnelllebigkeit neuen Entwicklungen und bahnbrechenden Technologien. Damit einher geht auch die Notwendigkeit des andauernden, !ebensbeg!eitenden Lernens. Eine Notwendigkeit die als Chance begriffen werden muss und mitunter - in Europa - einer positiveren Konnotation bedarf Noch ist das !earning mindset der Österreicher*innen insbesondere im Bereich der Kt-Kompetenzen nicht ready für die Kt-Entwicklungen. Wir sehen darin die Chance als Gesellschaft zu wachsen und mit dem Ausbau unserer (Kl)-Kompetenzen zukunftsfähige( wettbewerbsfähiger und resi!ienter zu werden. Der Dreiklang von Kt­ Selbstwahrnehmung und-Einstellung, Kt-Technologieverständnis und Kt-Grundlagenwissen stellt einen wichtigen Ansatzpunkt dar."

Hans Greiner, Geschäftsführer Cisco Österreich: "Künstliche Intelligenz verändert unsere Lebens- und Arbeitswelt grundlegend. Und das in einem atemberaubenden Tempo. Laut dem Cisco Al Readiness Index sind 84 Prozent der Unternehmen in Europa überzeugt dass KI einen deutlichen Einfluss auf ihr Geschäft haben wird Gleichzeitig sind nur 8 Prozent vollständig auf den Einsatz und die Nutzung von KI vorbereitet. Damit Österreich in Europa und weltweit wettbewerbsfähig bleibt und die Chancen von KI in allen Bereichen nutzen kann, ist dringend ein Fokus auf K/-Ski/!s nötig. Und zwar sowohl im betrieblichen Kontext als auch bei Grundlagenwissen in der breiten Bevölkerung. Ganz wichtig dabei: Ein Fokus auf Sicherheit und ethische Aspekte des Kt-Einsatzes, um das Vertrauen in die Technologie zu stärken, und ein kritische( aber ermutigender Blick darauf wie KI Berufe und Arbeitsbereiche verändert. Der Digital Skills Barometer gibt uns ein erstklassiges Werkzeug an die Hand, um die nötigen Schritte für Österreich zu planen."

Hermann Erlach, Geschäftsführer Microsoft Österreich: "Österreich hat die Möglichkeit durch Künstliche Intelligenz eine führende Rolle in der digitalen Zukunft einzunehmen. Um dieses Potenzial zu realisieren, müssen wir digitale Kompetenzen weiter fördern und eine Kultur der Offenheit und Innovation schaffen. Mit der richtigen Ausbildung und starker Zusammenarbeit können wir die Vorteile der Digitalisierung voll ausschöpfen und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes stärken."

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