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Kraus: Im ORF-Gesetz ist von „Unabhängigkeit als Recht und Pflicht” die Rede.

Redaktion 11.11.2022

Pflicht zur Unabhängigkeit

Daniela Kraus, Presseclub Concordia, im Interview über Chats zwischen Journalisten und Politikern und mögliche Wege aus der Vertrauenskrise.

WIEN. Die Causa Schmid und die aufgekommenen Chats ziehen weitere Kreise und haben nun auch ORF Chefredakteur Matthias Schrom und Presse Chefredakteur Rainer Nowak, die dort ebenfalls in fragwürdigen Konversationen mit Schmid & Co. auftauchen, ihre Jobs gekostet und werfen auch auf Medien und deren Verantwortliche ein äußerst schiefes Licht.

medianet bat aus gegebenen Anlass Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia, um ein paar Antworten zu möglichen Auswegen aus der Vertrauenskrise, in der heimischen Medien gerade stecken.


medianet:
Frau Kraus, aktuell ist die Aufregung in der medialen Causa prima sehr groß, aber muss man in Wahrheit nicht sagen, dass es die nun veröffentlichten Vorgänge schon immer gegeben hat, sie nur jetzt durch die Chats eben auch schwarz auf weiß zu sehen sind?
Daniela Kraus: Das mag sein. Aber das relativiert die Sache nicht: Es gibt kein Gewohnheitsrecht auf Unrecht. Immerhin haben wir es nun schwarz auf weiß. Dafür können wir – gerade wenn es das schon immer gegeben haben sollte – dankbar sein, denn jetzt können wir konkret über die Sache reden. Und ‚die Sache' ist höchstgradig unprofessionelles Benehmen, das jedem Ethikkodex und jeder Standesnorm widerspricht. Dass wir jetzt erkennen und öffentlich diskutieren, was hier falsch läuft, ist der erste Schritt zur Besserung.

Wir müssen gleichzeitig ganz klar sagen, dass es nicht nur um Individualethik geht. Es geht um strukturelle, institutionelle und kulturelle Probleme. Die ganze Branche muss mitarbeiten. Die Medienunternehmen sind in der Pflicht, ganz besonders alle Menschen in Führungspositionen, egal ob im Management oder in Redaktionen; ebenso die Verbände, die Medienpolitik, die Parteien. Und natürlich auch die einzelnen Journalisten und Journalistinnen in den Redaktionen: Ihre Aufgabe sehe ich jetzt vor allem darin, in den Medienunternehmen und im öffentlichen Diskurs professionelle Rahmenbedingungen einzufordern.
Das betrifft im ORF ganz besonders die Gremienstrukturen – der Stiftungsrat gehört endlich entpolitisiert.
Das betrifft auch die Institutionenethik, also Compliance, Redaktionsstatuten, interne Strukturen zum Schutz vor Packelei, das betrifft aber genauso gesetzliche Rahmenbedingungen und ethische Selbstverpflichtungen in der Politik. Es ist ja nicht so, dass in diesen Chats die Politiker als besonders ehrenwertes Gegenüber in Szene treten.


medianet:
Die Vorgänge betrafen sowohl private Printmedien wie auch den ORF – wiegt beides gleich schwer, oder sind jene im ORF schwerwiegender zu beurteilen?
Kraus: Beides ist aus meiner Sicht ohne Zweifel ein Verstoß gegen professionelle ethische Regeln. Der Unterschied ist: Der ORF hat strengere verpflichtende Vorgaben. Im Gesetz ist von ‚Unabhängigkeit als Recht und Pflicht' die Rede, im Redaktionsstatut steht, dass alle politischen, wirtschaftlichen und sonstigen interessensmäßigen Verquickungen, die geeignet sein könnten, Zweifel an der Unabhängigkeit aufkommen zu lassen, zu vermeiden sind. Das ist schon recht deutlich, jetzt ist nur dafür zu sorgen, dass das auch gelebt – und bei Verstoß geahndet wird.

Stellt sich bloß die Frage, wie das ein Stiftungsrat und eine Direktion zustande bringen können, die selbst zwar nicht notwendigerweise persönlich, aber durch den Vorgang ihrer Bestellung ‚verquickt' sind.
Auch das ist ein Problem auf struktureller Ebene: Selbst wenn Sie unabhängig handeln, es bleibt doch das Faktum, dass der Bestellvorgang ein politischer ist und nicht ein glasklar transparenter, öffentlicher Auswahlprozess. Deshalb haben wir zur Stärkung und Sicherung der Unabhängigkeit des ORF ja auch im Juni 2022 mit viel prominenter Unterstützung bei der Regulierungsbehörde KommAustria eine Popularbeschwerde eingereicht.
Bei der Presse wundert man sich, warum nicht früher Compliance-Richtlinien gegriffen haben. In beiden Fällen wird wohl das Vertrauen der Redaktionen zu ihren Führungskräften in Scherben liegen.


medianet:
Und was müssen Ihrer Meinung nach nun nicht nur die Medien, sondern auch die Politik tun, insbesondere den ORF betreffend?
Kraus: Sich selbst beschränken, den ORF-Stiftungsrat entpolitisieren und zu einem richtigen Expertengremium machen, in allen Medien- und Journalismusförderungen ethische Richtlinien, Redaktionsstatute und regulierte Selbstregulierung, wie den Presserat, zur Grundbedingung machen und die Pläne für ein Wiener Zeitung-Media-Hub als dem Bundeskanzleramt unterstellte, hochdotierte Journalistenausbildung aufgeben. (fej)

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