MARKETING & MEDIA
© Ingo Pertramer

Dinko Fejzuli 08.06.2018

Puls 4: Wegweisendes Urteil gegen YouTube

… just zur Präsentation eines Buchs zum Thema von Corinna Milborn und Markus Breitenecker.

••• Von Dinko Fejzuli

Die gestern zugestellte – nicht rechtskräftige – Entscheidung des Handelsgerichts Wien hat das Potenzial, das Internet zu revolutionieren. Denn das Gericht hat festgestellt, dass YouTube für die auf der Medienplattform von Usern begangenen Urheberrechtsverletzungen direkt haftet.

Puls 4 hatte auf Unterlassung geklagt und verlangt, dass YouTube erst verhindern müsse, dass Dritte urheberrechtsverletzende Inhalte hochladen. Zufällig auch in dieser Woche stellten Puls 4 Infodirektorin Corinna Milborn und Puls 4 Gründer Markus Breitenecker ihr Buch „Change The Game – Wie wir uns das Netz von Facebook und Google zurückerobern” vor, herausgegeben vom Brandstätter Verlag.
medianet sprach mit Milborn und Breitenecker über das Buch, aber auch über das You Tube-Urteil.


medianet:
Sie haben diese Woche Ihr gemeinsames Buch ‚Change The Game – Wie wir uns das Netz von Facebook und Google zurückerobern' präsentiert. Liest man es, könnte man stellenweise das Gefühl bekommen, dass es dafür schon längst zu spät ist …
Corinna Milborn: In der Tat könnte man diesen ersten Eindruck bekommen, denn auch als jemand, der sich viel mit dem Thema beschäftigt, verschlägt es einem die Sprache, wenn man sich ansieht, was die Ziele dieser Monopole sind, nämlich das Betriebssystem für die Menschheit zu liefern. Es ist erschreckend, in welcher Art und Weise das abläuft.
Markus Breitenecker: Genau deshalb muss man Position beziehen, und das ist einer der Gründe, warum wir aufzeigen wollen, welche Gefahr sowohl für Medien, aber auch unsere Gesellschaft hier lauert. Als Gegenmaßnahmen habe wir einige Forderungen formuliert: Erstens muss man beginnen, die Silicon Valley-Giganten als das zu behandeln, was sie sind, nämlich Herausgeber von Massenmedien. Der Facebook-Newsfeed ist ein Massenmedium, und auch der YouTube Autoplay ist eindeutig ein Medium. Durch ein klares Deklarieren dieser Plattformen als Medien würden sehr viele Probleme gelöst werden. Weil sie sich nicht an Regeln halten, entstehen Hate Speech, Urheberrechtsverletzungen, Persönlichkeitsrechtsverletzungen, Nichteinhaltung von Datenschutzregeln oder Verstöße gegen das Mediengesetz. Als ein weiterer Schritt sollte man direkt nach Etablierung eines Level Playing Field damit beginnen, das europäische Mediensystem neu zu ordnen und zu organisieren: Allianzen zwischen Privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern bilden und eigene, digitale Medienprojekte und Mediendestinationen für Europa entwickeln.

medianet:
Neben dieser Kooperation mit den europäischen Mitbewerbern arbeiten Sie aber etwa im Rahmen der DNI oder bei Studio 71 trotzdem auch mit Google zusammen …
Milborn: Derzeit haben wir es mit Monopolen zu tun, die auch dableiben würden, wenn man die Augen vor ihnen verschließen würde. Es gibt derzeit keine Alternative und gerade deshalb gilt es, diese zu entwickeln und bis dahin eine Frenemy-Strategie zu fahren: Wir kooperieren dort, wo es nützlich ist, und bekämpfen sie dort, wo es notwendig ist. Das Problem ist aber, dass bisher viele europäische Medienunternehmen genau darauf vergessen haben, denn sie haben nur den Nutzen gesehen, aber nicht erkannt, dass sie ihren teuer erstellten Content den Giganten praktisch schenken …
Breitenecker: … aber gerade dort, wo öffentliches Geld im Spiel ist, sollte klar geregelt sein, dass künftig diese Inhalte auf Facebook und Google nicht mehr distribuiert werden dürfen. Das gilt für die öffentlich-rechtlichen Anbieter, aber auch für die Privaten für Programme, die mit öffentlichem Geld gefördert werden.

medianet:
Gleichzeitig fordern aber auch Sie als Privatunternehmen mit Gebühren finanzierten ORF-Content für Ihre Medienkanäle …
Breitenecker: … nein, Private sollen nicht einfach jeden ORF-Content geschenkt bekommen; was wir vorschlagen, ist, dass heimische Medienkanäle, die Wertschöpfung in Europa schaffen, sowie freie Produzenten und die Kreativwirtschaft hochwertige Public-Value-Inhalte aus dem ORF-Archiv verwenden dürfen, wenn sie damit wiederum Public-Value-Inhalte herstellen und verbreiten. Mit öffentlichem Geld hergestellte Public-Value-Inhalte dürfen jedenfalls nicht an Medien gehen, die sich nicht an die europäischen Mediengesetze und Normen halten – nämlich an Google & Facebook.
Milborn: … und zwar deshalb, weil Facebook und Google diesen Content in einer Art und Weise verwenden, die unsere Gesellschaft zerstört. Es gibt da eine aus meiner Sicht falsche Theorie, die übrigens auch von öffentlich-rechtlichen Sendern verwendet wird, die besagt, dass es doch gut sei, dass zwischen all den Fake News auch echte Nachrichten zu finden sind.

Das funktioniert aber nicht, denn in einem Stream voller Lügen, Hass und Fake News bekommt dieser Stream dank eines zum Beispiel ‚Tagesschau'-Beitrags plötzlich eine Aufwertung.
Und dann passiert noch etwas: Dieser Beitrag hilft dabei, dass das nächste Video, irgendwelche Fake News aus irgendeinem Fake Studio, vom User ebenfalls als wahr empfunden wird, womit dieser ‚Tagesschau'-Beitrag unfreiwillig den ganzen anderen Mist aufwertet. 
Eine weitere Folge dieser Vermischung ist, dass diese Menschen dann dazu neigen, nur mehr diesen einen Kanal, der hauptsächlich aus Lügen, Hass und Hetze besteht, als einzige Infoquelle zu nutzen.
Ich unterstelle hier den beteiligten Verlegern keine böse Absicht, aber zum Teil sehr wohl mangelnde Einsicht, ihren Content hier nicht zur Verfügung zu stellen.


medianet:
Aber auch manche Verleger sehen aus der eigenen Notwendigkeit, sich abzugrenzen, etwa Facebook, nicht als Medium. Welche Folgen könnte hier das YouTube-Urteil haben?
Breitenecker: Mit dieser Entscheidung haben wir einen Meilenstein erreicht. Die Medien, die sich Soziale Netzwerke nennen, werden erkennen müssen, dass sie für die Inhalte, mit denen sie viele Millionen verdienen, auch Verantwortung übernehmen müssen – dass sie eben nicht nur als Host-Provider agieren, die die technische Grundlage bieten. Denn genau auf dieses Host-Provider-Argument beziehen sich Facebook und Co, um keine Verantwortung für die Inhalte übernehmen zu müssen. Gleichzeitig treten sie aber eindeutig als Medium auf, in dem sie durch die Aufbereitung dieser Inhalte sehr wohl bestimmen und auswählen, was in ihren Newsfeeds vorkommt. Sie zensurieren vorab und ranken Inhalte so, dass diese möglichst Likes, Klicks und Reichweite erzielen. Dabei zu behaupten, man sei kein Medium, erschließt sich mir überhaupt nicht. Im Fall YouTube hat uns das Handelsgericht Wien nun in erster Instanz Recht gegeben, und YouTube muss für die auf der Medienplattform von Usern begangenen Urheberrechtsverletzungen direkt haften.
Milborn: Rechtlich betrachtet, gibt es schlicht keine Möglichkeit, sie nicht als Medium zu sehen. Das Mediengesetz gibt die Verantwortung dem Herausgeber, also jenem, der massenhaft verbreitet. Ein Herausgeber ist für den Leserbrief genauso verantwortlich wie für jene Inhalte, den seine Journalisten erstellen. Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob Facebook Inhalte selbst herstellt oder nicht. Das tun sie im Übrigen.

Allein heuer stecken sie eine Milliarde Dollar in Eigenproduktionen. Gleichzeitig behaupten sie aber dreist, nur die Plattform zur Verfügung zu stellen. Wäre dies so, müssten sie einfach den Newsfeed killen, und das ganze Problem der Fake News wäre gelöst.


medianet:
Fake News kann man auch woanders im Netz verbreiten …
Milborn: Ja, aber der Unterschied besteht darin, dass zum Beispiel Facebook eine regelrechte Beschleunigungsmaschine ist, die Inhalte massenhaft verbreitet; deshalb müssen die Gesetze auch für sie gelten.

 

medianet: Doch selbst dort, wo man rechtlich die Möglichkeit hat, sich dagegen zu wehren – und das zeigen auch einige Beispiele in Ihrem Buch –, ist es de facto unmöglich, dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen.
Milborn: Richtig, wir führen im Buch einige Beispiele an – vom Fall Max Schrems gegen Facebook bis zu dem Fall Eva Glawischnig gegen Facebook, wo wir zeigen, dass Facebook ganz bewusst Verfahren so lange bekämpft und in die Länge zieht, dass es de facto unmöglich ist, sein Recht effektiv durchzusetzen. Dazu kommt, dass die Plattformen behaupten, nicht unter die Mediengesetze zu fallen, sondern reine Host-Provider zu sein, was schlicht falsch ist.

medianet:
Warum ist das überhaupt möglich?
Milborn: Weil Facebook und Co viel Geld in Lobbying stecken und die Politiker davon überzeugen, dass sie die coolen neuen Jungs sind, die man toll finden muss, um dabeizusein. Da steckt schon viel Strategie dahinter, während es auf der anderen Seite viel zu wenige gibt, die im Detail erklären können, was hier das Problem ist.

medianet:
Welche Hoffnung legen Sie hier in die heute zu Ende gehende Medienenquete als Initialzündung?
Breitenecker: Wenn der Medienminister Gernot Blümel sagte, er möchte eine Mediendiskussion auf ein neues Qualitätsniveau heben, dann glaube ich ihm das.

Der Grundansage von Blümel, nämlich sich gemeinsam auf die evidente Bedrohung der Silicon Valley-Giganten zu konzentrieren, statt sich sinnlos im Land Konkurrenz zu machen, stimme ich zu.


medianet:
Wie könnte diese Allianz aussehen
Breitenecker: Die Grundidee dieser Allianz ist es, zu sagen, wir wollen öffentliches Geld, also die Rundfunkgebühr, aber auch die Medienförderung nicht dafür verwenden, uns gegenseitig bei kommerziellen Inhalten Konkurrenz zu machen, sondern wir wollen dieses öffentlich-rechtliche Geld dazu verwenden, um auf allen europäischen Medienkanälen Public-Value- Inhalte bzw. alternative Digital-Angebote zu erstellen.

medianet:
Damit verplanen Sie aber Mittel, auf die Sie gar keinen Zugriff haben, denn die gehören dem ORF. Welchen Beitrag leisten die Privatsender selbst?
Breitenecker: Wir wollen Teil dieser Public-Private-Partnership sein und eigene europäische digitale Projekten mitentwickeln. Es gibt auch schon erste Ansätze dazu.

So hat unsere Gruppe gemeinsam mit Channel 4 und TF 1 und der Mediaset eine Allianz gebildet und die European Broadcast Exchange (EBX) ins Leben gerufen. Auch in Deutschland sind einige Projekte entstanden, wie die European Net ID, die ein gemeinsames Log-In-System für alle Publisher in Europa entwickelt.


medianet:
Und in Österreich?
Breitenecker: Hier gibt es die Consent Allianz Austria, wo es bereits beim Thema DSGVO eine gemeinsame Initiative gab. Ein anderes Beispiel ist auch unsere erfolgreiche Streaming-App Zappn, auf der derzeit zwar nur unsere Programme laufen; wir sie aber gern und jederzeit auch für Programme der RTL Gruppe oder auch des ORF offen – und weil dann gleich die Frage aufkommt, wem diese Plattform dann gehört, könnte man sie in Form einer Genossenschaft organisieren.
Milborn: Es ist wichtig, zu verstehen, dass es nichts nützt, wenn jedes Medium versucht, sein eigenes Angebot zu entwickeln. Denn aufgrund der sogenannten Netzwerkeffekte, also dass alle dorthin rennen, wo die meisten Menschen oder die eigenen Freunde sind und aufgrund der Systematik, wie Digitalwirtschaft funktioniert, wo sich am Ende nur eines durchsetzen wird – und da haben sich Facebook Google und YouTube derzeit durchgesetzt –, muss man reagieren und als Konsequenz eine eigene, europäische Plattform entwickeln. Denn es bringt nichts, sich gegenseitig zu zerfleischen. Diese Chance dazu hat man übrigens beim anstehenden technologischen Sprung etwa beim Thema AI und Blockchain.

medianet:
Wie realistisch sind solche Ideen aber am Ende des Tages?
Milborn: Aus meiner Sicht ist das EU-Wettbewerbsrecht ein echter Hebel, um die Monopolisten zurückzudrängen, wodurch allein schon viel bewirkt wäre, denn dann würden für alle die gleichen Regeln gelten.

In manchen, kleineren Bereichen wird man eventuell eingreifen müssen. Einige Teile muss man vielleicht wie eine Infrastruktur regulieren und den Zugang für alle sicherstellen. Derzeit können Sie zwar eine Mail von gmail zu gmx senden, aber aus dem Facebook Messenger heraus kann keine Nachricht an einen anderen Dienst geschickt werden, weil es geschlossene Systeme sind, die versuchen, die User möglichst lange an sich zu binden; genau hier muss man sie dazu zwingen, sich zu öffnen und einen fairen Wettbewerb herzustellen.

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL