MARKETING & MEDIA
© Martina Berger

Redaktion 03.03.2023

Web, App – oder Karte? Wie 2023 Loyalty gelingt

Ein hochkarätig besetzter Round Table klärt die Frage, ob Kundenbindung on- oder offline besser funktioniert.

••• Von Georg Sander

Wer heutzutage etwas kaufen will, hat fast unendliche Möglichkeiten. Allein im Internet hat jeder Händler seinen Online-Shop, es gibt Vergleichsportale und Social-Media-Werbung, die Käufer und Verkäufer zusammenbringen wollen. Hinzu kommen noch die Apps, die jeder am Smartphone hat. Doch auch in der physischen Welt locken lange Einkaufsmeilen oder riesengroße Einkaufscenter mit Dutzenden verschiedenen Stores. Was die Unternehmen aber natürlich wollen, sind Kunden, die immer wieder kommen, Stammkunden, mit denen man eine Beziehung aufbauen kann.

Lange vorbei sind die Zeiten der Gemischtwarenhändler und der Greißler ums Eck, in denen der Inhaber jeden Kunden persönlich mit Name und Titel anspricht und weiß, was er tagtäglich kauft und was dazu passen würde. Je größer die Shops wurden, desto weniger war das möglich. Druckwerke sollten Abhilfe schaffen. Doch auch diese Dinge gehören der Vergangenheit an. „Kataloge hatten früher eine lange Behaltedauer und eine große Bedeutung, aber wie lässt sich das alles digital substituieren?”, fragt medianet-Herausgeber Oliver Jonke, Gastgeber des Round Tables, eingangs gleichsam allgemein und speziell. Die Geschichten, die man sich früher im Geschäft erzählte, wurden später auf Papier gedruckt, nun geht viel Richtung Online. Wie lässt sich also dieses reale Erlebnis auch im digitalen Zeitalter abbilden? Der Schlüssel heißt Loyalty-Programm – vor welchen Herausforderungen man aktuell steht, haben Branchenkenner beim Round Table erklärt. Also: Welche Unterschiede und Trends gibt es bei der Frage „Kundenbindung online vs. offline”?
Zunächst gilt: Nachhaltigkeit ist ein Gebot der Stunde. Die physische Kundenkarte ist jedoch nach wie vor ein beliebtes Instrument, um nah bei den Menschen zu sein. Eine App ist schnell installiert, der Platz für Kundenkarten im Geldbörsel eher endlich – dennoch wird es sie über kurz oder lang nicht mehr geben. Ikea beispielsweise verabschiedet sich von den Karten und vom Katalog gleich mit. „Wir haben hohe Nachhaltigkeitsziele bis 2030 und jährlich 200.000 Kundenkarten gedruckt”, sagt Maimuna Mosser, Country Commercial Manager bei Ikea Austria. Eine Rolle spielte dabei auch das Ende des beliebten Katalogs: „Für uns war es keine leichte Entscheidung, den Katalog zu verabschieden – die Nutzungsdauer ging zurück, es wurde ein Wegwerfprodukt.” Die Geschichten, die man früher im Katalog erzählt hat, die finden nun online statt; jüngst startete das Möbelhaus auch auf TikTok durch. Allerdings, das ist Mosser ganz wichtig, gebe es kein „Entweder-oder” im Bereich on-/offline.

App oder Karte

Ähnlich sieht das Walter Lukner, Geschäftsführer von Payback: „Wir wollen unseren Kunden eine Breite bieten, sowohl on-, als auch offline. Die Karte ist zwar analog, wir wollen den Kunden aber nicht erziehen.” Die 3,2 Mio. österreichischen Kunden des Bonusprogramms können sich also entscheiden, ob sie mit App oder Karte Punkte sammeln. Das, so der Geschäftsführer, helfe dabei mit, die enorme Reichweite zu erreichen.

„Es hängt nicht am Kanal”, weiß zudem Ernst Gittenberger, der an der JKU Linz die Leitung des Centre of Retail and Consumer Research innehat. Nicht nur, aber auch weil eine App eine von vielen sei, das Wort „App-Friedhof” fällt. Es gebe eben noch immer viele Menschen, die die Karte benutzen. Sowohl App als auch Karte sollen Kundenbindung erreichen. Doch schon an diesem Wort stößt er sich: „Ich würde mehr von Loyalität sprechen, weniger von Bindung.” Egal ob es nun Loyalty oder Kundenbindung sei, es gibt zwei verschiedene Ansätze bei derartigen Programmen: transaktions- oder beziehungsorientiert. Und hierbei gibt es – wie eingangs erwähnt – eine doch klare Präferenz. „Alle wollen in die Beziehungsorientierung, man möchte, dass sich der Kunde mit den Produkten identifiziert. Das beste Beispiel ist Apple: Man hat eine eigene Welt geschaffen. Es gibt zwei Kategorien, die Apple-Jünger und alle anderen.” Ikea, so der Experte, würde diese Art von Beziehung ebenfalls sehr gut herstellen können. Das weiß jeder, der schon einmal in einer Filiale war. In anderen Ländern gehen Firmen sogar noch einige Schritte weiter. So gebe es in England, je nach Einkommen, ganze Tes-co- bzw. Sainsbury’s-Welten. Die Kunden bekommen vom Einkauf der Grundnahrungsmittel bis hin zu Versicherungen alles aus einem Haus.

Wo findet man den Kunden?

In Österreich sei das etwas anders. Im Lebensmitteleinzelhandel gibt es ein riesiges Angebot an verschiedenen Marken, quasi an jeder Ecke ist ein Supermarkt. Da müsse man mehr transaktionsbasiert arbeiten, zumindest wird das in der Stadt so gemacht. Wo es mehr Möglichkeiten gibt, ein und dasselbe zu kaufen, geht man über den Preis. Das löst aber noch immer nicht die Frage, ob die Kommunikation on- oder offline besser ist. Was wollen die Kunden?

„Mehr als die Hälfte nutzt die digitalen Angebote, stationär gibt es sie aber ebenfalls noch”, so Lukner. Er wirft auch die Frage auf, ob eine reine Zweiteilung sinnvoll ist. Etwa, ob Kunden als digitalaffin gelten, wenn sie die App nutzen oder den Webshop. Es gebe also Abstufungen.
Nicht so bei Ikea: Für Mosser ist die Karte eher ein „Überbleibsel. Sie hat ihre Gültigkeit, aber wir können mit den reinen Kartenhaltern kaum kommunizieren. Es gibt für die Kunden alle Vorteile, aber unter Einhaltung der DSGVO gibt es wenig Möglichkeiten, dies aktiv zu tun”. Also muss man beim Einkauf ungesteuert kommunizieren. Das tut Ikea Standort-bezogen. „Es gibt unterschiedliche Ebenen. Zunächst ist da die globale Ikea-Family-Standard-Ausführung mit dem verlängerten Rückgaberecht oder der Transportversicherung. Das gibt es überall. Es gibt aber auch schon individualisierte Angebote. Am Westbahnhof haben wir eher eine jüngere Zielgruppe, bieten dort Influencer, DIY oder Kochkurse an. In anderen Stores gibt es mehr Angebote für Familien für die rund zwei Millionen Familymembers.”
Im Internet ist die Sachlage schwieriger. Payback ist auch Otto-Partner. Lukner registriert, dass es bei derartigen reinen Online-Angeboten nicht so einfach ist, Treue aufzubauen. Während im Shoppingcenter oder auf der Einkaufsstraße schlichtweg eine Distanz zurückgelegt werden muss, um zu schauen, was ein Produkt woanders kostet, ist der Preisvergleich im Netz nur einen Klick entfernt. Was also tun? „In unserer langfristigen Zusammenarbeit mit Otto achten wir darauf, eine Konstanz hineinzubringen.”
Was sagt die Wissenschaft zur Online-Treue? Gittenberger: „Online funktioniert es vor allem bei großen Anbietern, beispielsweise Amazon Prime.” Das könne ein kleinerer Händler nicht wirklich. Eine gute Nachricht für alle Retailer hat er aber: Jüngere geben ihre Daten bereitwilliger her als ältere. Dann wäre da noch der Faktor Pandemie. Die letzten drei Jahre, da sind sich die beiden Unternehmen einig, wären wiederum ein Gamechanger gewesen, da in der Pandemiezeit Menschen mit Online-Shopping – und somit Loyalitätsprogrammen – in Berührung gekommen sind, die es zuvor nicht waren.

Loyalität als Wert

Wie ein Kunde langfristig gewonnen werden kann, ist also eine Herausforderung. Ikea, so Mosser, habe sich für die Emotionen als Zugang entschieden, schon von Anfang an: „Wir haben einen sehr visionären Gründer, der Loyalty als Wert erkannt hat. Manche Dinge waren damals ja gar nicht Usus. Der Wert von Kundenbindung, Rückgaberechten, Aktivitäten im Store, das war neu. All das hat uns in die gegenwärtige Situation geführt.”

Payback wiederum muss einen anderen Ansatz wählen, ist man schließlich keine Stand-alone-Marke, sondern in ein Umfeld integriert. Lukner vergleicht das etwa mit der Goretex-Technologie oder dem Claim „Intel inside”. Das soll auch so erkannt werden, etwa durch die Chamäleon-Funktion, mit der die Payback-App zur Kunden-App wird, wenn man in den entsprechenden Store geht. Auch, dass man so viele Partner hat, helfe. Aber man müsse den möglichen Kunden bei einem emotionalen Moment erwischen, eben an der Kassa, wenn er sich ein gewünschtes Produkt gekauft hat: „Online ist das schwierig abzubilden.” Er und Gittenberger sind sich einig, dass das ein geeigneter Moment für ein Loyalty-Programm wäre. Emotionen im Internet herzustellen, geht und folgt demselben Muster: Eben an der virtuellen Kassa. „Wir sprechen immer nur von on- oder offline, aber es gehört zusammen”, stellt Gittenberger klar. Die Konsumenten unterscheiden nicht aktiv zwischen digitaler und physischer Welt, auch wenn es im Web preisbasierter zugeht. Aber weil so gut wie alle Privathaushalte einen Internetzugang haben und zwei Drittel der Menschen online shoppen, empfiehlt es sich, die physische und die digitale Welt zu verschränken – aus dem Grund, den man sich denken kann. Denn den Boost durch die Pandemie kann er auch an Zahlen festmachen: „Es gab im Jahr 2020 Online-Wachstumsraten von 17 Prozent, 2021 ein paar Prozent, schon 2022 einen Rückgang. Jetzt ist man auf dem Niveau von 2020, das ist aber auch höher als davor.”
Der zentrale Aspekt werde letztlich immer das Vertrauen sein. Das erzeugt Commitment, daraus folgt Loyalty. Nur die Kommunikation werde mehr und mehr online stattfinden. Die zielgruppenspezifische Ansprache mit allen Daten via App und E-Mail, on Demand, sei wichtig und das bietet auch Chancen. Aber, so Gittenberger: „Wir haben eine hohe Internetpenetration, und eine Studie zeigt uns: Die Digitalisierung geht den Menschen etwas auf die Nerven.” Der Handel muss also so vorgehen, dass der Kunde die Ansprache nicht so mitbekomme.

Es gehört zusammen

So viel zur Theorie. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Wie schätzen Payback und Ikea die Zukunft ein? „Ein Loyaltyprogramm wird durch emotionale Komponenten physisch zum Leben erweckt. Es ist von Inspiration getragen. Man sieht schön eingerichtete Räume, es gibt nette Aktivitäten wie Kinderschminken gemeinsam mit der Familie oder eben Workshops”, weiß Maimuna Mosser. Und: „Grundsätzlich wird der Kunde die Indikation geben, wie wir uns mitzuentwickeln haben.” Die Instrumente dazu werden mehr und mehr online abgebildet.

„Die Digitalisierung der Kundenbindung schreitet voran”, meint Walter Lukner abschließend. „Fast alle haben eine App und machen Kundenbindung. Wir werden viele Apps sehen, es wird sich bereinigen.” Irgendwann aber werde der Kinoeffekt eintreten: Wenn einer aufsteht, stehen auch andere auf. Also: Man behält immer nur die allerloyalsten Kunden. Und die gilt es zu binden – egal, ob on- oder offline.

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