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Dinko Fejzuli und Laura Schott 15.02.2019

Wer hat Angst vor der Digitalisierung?

Die Werbebranche ist im Umbruch. Kein Grund zur Sorge, sagen Angelika Sery-Froschauer und Markus Deutsch.

••• Von Dinko Fejzuli und Laura Schott

Neue Entwicklungen bringen neue Chancen, so lautet das Credo von Angelika Sery-Froschauer, Obfrau des Fachverbands Werbung und Marktkommunikation und im Zivilberuf CEO der traditionsreichen Linzer Agentur sery* brand communications, und ihres Verbandsgeschäftsführers Markus Deutsch im Ausführlichen Brancheninterview mit medianet.


medianet: Frau Froschauer, Herr Deutsch, sieht man sich die Entwicklung der letzten beiden Quartale an, so geht die Kurve leicht nach unten. Muss man sich um die Zukunft der Branche sorgen?
Angelika Sery-Froschauer: Nein, das muss man nicht. Die Werbebranche wächst immer noch, nur das Tempo hat sich verlangsamt. Die Konjunktur hat im Herbst einen Peak erreicht, nun kühlt sie ab. Das ist eine ganz normale Entwicklung. Wir sind also nicht in Krisenstimmung.

medianet:
Die Digitalisierung und neue technologische Entwicklungen haben die Branche stark beeinflusst und werden dies auch in Zukunft tun. Wie hat man die Herausforderungen bisher gemeistert?
Sery-Froschauer: Wir haben in der österreichischen Agenturlandschaft eigentlich keine konzerngeführten Unternehmen, sondern viele kleine familiengeführte. Vor fünf, sechs Jahren haben wir uns schon alle ein bisschen Sorgen gemacht, ob wir es schaffen, mit den Entwicklungen Schritt zu halten. Noch dazu sind damals viele Junge aus der Digitalbranche auf den Markt dazugekommen. Heute wissen wir, dass das überhaupt kein Thema ist. Das Bedrohungsszenario ist für uns keines mehr – im Gegenteil: Wir sind voller Kraft und Chancenpotenzial. Das sage auch ich mit meiner Agentur, die mit 53 Jahren die älteste am Markt ist.

medianet:
Die Angst, dass der eigene Job oder gar das Unternehmen durch die Digitalisierung gefährdet sind, ist also nicht berechtigt?
Sery-Froschauer: Nein, wir verlieren definitiv keine Arbeitsplätze in der Branche. Die menschliche Intelligenz ist immer noch weit über dem, wozu künstliche Intelligenz momentan imstande ist. Unsere Dienstleistungen bestehen zu 99 Prozent aus menschlicher Expertise, KI kann uns dabei helfen, effizienter zu sein und uns vielleicht den einen oder anderen Arbeitsschritt zu ersparen, sie kann uns aber nicht ersetzen. Also keine Angst vor KI, sie wird uns enorm helfen!

medianet:
Welchen Veränderungen steht die Branche gegenüber?
Sery-Froschauer: Wir müssen uns nicht neu erfinden, aber das Geschäftsmodell wird durch die Technologie trotzdem anders. Insbesondere müssen Services und Preisangebote überarbeitet werden. Nach Stunden- oder Zeichensätzen zu verrechnen, wird vielleicht bald nicht mehr möglich sein, weil es etwa die Reinzeichnung gar nicht mehr geben wird, wenn das in Zukunft eine Maschine erledigt. Man wird also schneller, kann aber nicht mehr nach Manntagen oder Zeit abrechnen, weil die Relation von Zeit und Budget in ihrem herkömmlichen Sinn nicht mehr stimmt.

medianet:
Ist das Bewusstsein für diese notwendigen Änderungen bei den Mitgliedern schon vorhanden?
Markus Deutsch: Die Jungen, die nachkommen, haben hier überhaupt keine Probleme. Die haben schon ganz andere Gewohnheiten. Und obwohl sich auch die am Markt bereits Etablierten in der Branche schon sehr intensiv mit diesen Dingen auseinandersetzen, ist es wichtig, junge, gut ausgebildete Kräfte in die Unternehmen zu holen. Das ist nicht so einfach, denn wir haben einen hohen Fachkräftemangel in der Branche; es mangelt zum Beispiel an Programmierern. Deshalb setzt die Wirtschaftskammer momentan einen großen Schwerpunkt in puncto digitale Ausbildung.

medianet:
Was hat die Wirtschaftskammer konkret geplant, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Sery-Froschauer: Mit Unterstützung der Ministerin für Wirtschaftsstandort und Digitalisierung, Margarete Schramböck, wurde der aktualisierte Lehrberuf freigegeben, der sich ganz besonders auf die Ausbildung in Multimedia, Technik und Online konzentriert. Aktuell haben wir 380 Lehrlinge. Unser Ziel ist es, diese Zahl mithilfe des neuen Lehrberufs um zehn bis 15 Prozent zu steigern.

Dazu müssen wir aber zuerst die Agenturen motivieren, Lehrbetriebe zu werden. In Wien etwa gibt es die höchste Konzentration an Agenturen, jedoch nimmt kaum eine Agentur Lehrlinge. In den ländlicheren Regionen, wo es viel weniger Agenturen gibt, ist es genau umgekehrt. Hier wollen wir ansetzen.

Deutsch: Die Unternehmer, die ja letztendlich unter dem Fachkräftemangel leiden, haben es in der Hand, ihre Mitarbeiter mit uns gemeinsam auszubilden. Großbritannien und die Schweiz sind für ausländische Arbeitskräfte, statistisch gesehen, die interessantesten Länder, Österreich und Deutschland kommen erst danach. Interessant ist aber, dass Medienunternehmen hier einen sehr guten Ruf bei ausländischen Arbeitnehmern genießen. Auch dieses Arbeitskräfte­potenzial müssen wir für die Kommunikationsbranche vermehrt nutzen.

medianet:
Ein großes Thema ist aktuell auch der Datenschutz. Hindern Regulierungen wie die DSGVO Unternehmen in ihrer Kommunikation zum Kunden?
Deutsch: Die ganze Datenschutzthematik ist ein Entwicklungsprozess; nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Behörden müssen sich darauf einstellen. ‚Beraten statt strafen' ist ein wichtiger Grundsatz, um zu einem Mehr an Rechtssicherheit beizutragen.

Bis jetzt sind nur in vier Fällen Verwaltungsstrafen verhängt worden – und das bei etwa 1.200 Fällen, die bei der Datenschutzbehörde anhängig sind. Die Fülle an Verfahren zu bewältigen, ist ja an sich schon eine Herausforderung. In der Werbebranche hat sich bis jetzt gezeigt, dass die Verordnung recht wirtschaftsorientiert ist. So ist ja zum Beispiel das klassische Geschäftsmodell des Dialogmarketings weiterhin zulässig.


medianet:
Ob Besteuerung von Internetgiganten wie Google oder Facebook oder Regulierungen zum Urheberrecht – rechtlich gesehen, gibt es im digitalen Bereich noch viele Grauzonen. Wo sehen Sie hier Aufholbedarf?
Deutsch: Was wir definitiv noch brauchen, sind Regeln zum Thema Fake News. Auch im Bereich der künstlichen Intelligenz gibt es hier noch rechtliche Grau­zonen.

Mit KI werden bald so viele Dinge möglich sein, deren Ausmaß wir uns noch gar nicht vorstellen können. Aus unserer Sicht reicht zur Bekämpfung von Desinformation Selbstregulierung nicht aus. Hier ist vor allem der europäische Gesetzgeber in der Verantwortung. Das wirtschaftliche und technische Umfeld ändert sich rasant für unsere Agenturen. Gesetzgeber und Rechtsprechung sehen sich mit neuen digitalen Herausforderungen konfrontiert. Die Werbebranche und die gesetzliche Interessenvertretung sind auf diese ‚Zeiten des Wandels' gut vorbereitet.

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