••• Von Jürgen Zacharias
Ob die Coronakrise und die dadurch ausgelösten massiven Verkaufsrückgänge im Autohandel den Schritt beschleunigt haben? Möglich. Aber auch vor der Pandemie haben viele etablierte Automobilhersteller bereits intensiv über das Thema Direktvertrieb nachgedacht. Neue Automarken wie Byton, Genesis, Nio oder Tesla zeigen schließlich seit Jahren, dass sich durch einen weitgehenden Verzicht auf echte Händler mit alternativen Vertriebskonzepten enorme Kosten sparen und trotzdem beachtliche Verkaufserfolge erzielen lassen.
Laut einer aktuellen Accenture-Studie liegt das Einsparpotenzial im Direktvertrieb gegenüber traditionellen Vertriebsmodell zwischen acht und 15 Prozent.
Schwedisches Modell
Mercedes-Benz will in Österreich in Zukunft zumindest einen Teil dieses Potenzials ausschöpfen. Vor wenigen Tagen kündigte der deutsche Premiumhersteller jedenfalls an, ab kommendem Jahr nach Schweden (dort erfolgte der Start bereits 2019) auch in Österreich auf den Direktvertrieb von neuen Pkw und Transportern (privat und gewerblich) mit einheitlichen Preisen umzustellen.
Kunden können ihren Wunschwagen dann zwar weiterhin (auch) bei Vertragshändlern kaufen, ihr Vertragspartner wird aber Mercedes-Benz Österreich sein. Der Stuttgarter Konzern nimmt damit die Preisgestaltung für Neuwagen vollkommen in die eigene Hand, die Modelle werden online zum gleichen Preis wie bei allen Händlern angeboten, eine Verhandlung über den Verkaufspreis ist nicht mehr möglich. Bei den Vertragshändlern bleiben Beratung, Testfahrten oder auch der Abschluss des Kaufvertrags.
Vorteile für alle Beteiligten
Laut Mercedes werde es in Zukunft „natürlich” wie bisher spezielle temporäre Preisaktionen geben; diese sollen dann aber „unabhängig von Ort und Kanal überall in Österreich gleich sein”. „Durch eine Neuausrichtung von Rollen und Verantwortlichkeiten können sich die Handelspartner zukünftig noch mehr als bisher um die Kunden und deren Bedürfnisse kümmern, den Kunden noch stärker in den Mittelpunkt stellen und sich damit noch intensiver auf ihr Kerngeschäft fokussieren”, so Mercedes in einer aktuellen Presseinformation.
Man habe mit der Neuausrichtung auf die veränderten Kundenbedürfnisse reagiert, heißt es weiter, das neue Modell biete neben den Kunden auch den Vertragspartnern und Mercedes-Benz viele Vorteile.
Kundenkontakt als Vorteil
Neben den Kostenersparnissen im Vertrieb – die zumindest anfangs wohl durch die Investitionen in den Aufbau und den Betrieb der neuen Vertriebsschiene aufgefressen werden dürften – liegt der wohl größte Vorteil der Direktvermarktung für Hersteller im engen Kundenkontakt. Dieser lag bislang ganz in der Hand der Autohäuser, soll den Herstellern mittel- bis langfristig aber entscheidend bei der Weiterentwicklung ihrer Angebote und Zukunftsdienste helfen. Händler werden im Zuge dieser Rochade von Verkäufern zu Dienstleistern, die im Auftrag der Hersteller Probefahrten anbieten, Kunden beraten, Fahrzeuge übergeben und Reparaturen durchführen.
Direktvertrieb kommt
Ob das Zukunft hat? „In jedem Fall”, ist sich Accenture Strategy-Managing Director Johannes Trenka sicher. „Wer einen Neuwagen kauft, wird dies in Zukunft immer öfter direkt über den Hersteller tun und so als Kunde von einheitlichen Preisen und einer deutlich besseren Nutzererfahrung als heute profitieren. Die Frage ist daher nicht, ob die Hersteller in den Direktvertrieb einsteigen, sondern mit welchen Folgen für den klassischen Autohandel.”
Und die Frage ist auch, wie lange es dauert, bis andere Hersteller nachziehen. Hat Mercedes mit seiner Umstellung in Österreich Erfolg, werden sie wohl auch in anderen Ländern nicht lange auf sich warten lassen.