PRIMENEWS
25.02.2015

Das Internet der Dinge ist immer noch „Neuland”

Industrie 4.0/Internet der Dinge Mit der Digitalisierung der industriellen Fertigung ist es nicht getan

Seit Internetfirmen mit Autos drohen, ist Feuer am Dach; Studien belegen Unsicherheit und Nachholbedarf.

Wien. „Industrie 4.0” und „Internet der Dinge” gelten als die Zauberworte, die – Abrakadabra! – die industrielle Fertigung in Europa mittels innovationsgetriebener Veränderung wieder auf ein wettbewerbsfähiges Niveau heben sollen. Dort, wo wir allein im Vergleich der Lohnstückkosten mit Billiglohnländern längst nicht mehr mithalten können – und dort, siehe USA, wo wir inzwischen hoffnungslos hinterherhinken.

In Deutschland etwa zieht selbst Kanzlerin Angela Merkel („Das Internet ist für uns alle Neuland”) seit einiger Zeit als Botschafterin der Industrie 4.0 durch die Lande und predigt das Konzept einer dringend notwendigen Digitalisierung: „Die nächsten zehn Jahre werden darüber entscheiden, ob wir weiter ein führendes Industrieland sind oder ob wir den Wandel nicht schaffen”, warnte sie.

Smart Cars made by Google

Dabei ist es mit der Digitalisierung der industriellen Fertigung damit längst nicht getan: Wenn Google und Apple ankündigen, unter die Autobauer zu gehen, und China ehrgeizige Pläne für innovative Elektroautos wälzt, ist bei den deutschen Herstellern Feuer am Dach. Dazu kommt, dass schon jetzt 17 chinesische Hersteller von Elektroautos die Importware aus Europa und den USA konkurrenzieren. „Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir in Europa verloren”, zitiert das Nachrichtenmagazin Format („Können Roboter Europa retten”) den Deutsche Telekom-Chef Timotheus Höttges.Accenture sprach in einer unlängst publizierten Studie („Technology Vision 2015”) von einer „180-Grad-Wendung in der Art, wie wir arbeiten und leben”: „Zuletzt konnten wir noch beobachten, wie große Unternehmen durch Digitalisierung Prozesse und Transaktionen beschleunigten und enger an Geschäftspartner und Kunden herangerückt sind”, so Daniel Baur, Managing Director und Technologie-Experte von Accenture Österreich. „Nun aber gilt: Every business is a digital business.” medianet berichtete in letzter Zeit mehrmals über die Krise in der heimischen Druckbranche, die – neben strukturellen Problemen – unter anderem auch durch die Digitalisierung ausgelöst wurde, und insbesondere durch die mangelnde Vorbereitung auf diese Herausforderung.Die Einstellung der Unternehmer lässt nach wie vor zu wünschen übrig: Die Mehrheit der Unternehmen, ergab eine Studie von KPMG (Global Chief Information Officer Pulse 2014), sorgt sich aufgrund der digitalen Revolution – nur wenige sind darauf vorbereitet. Als größte Herausforderung gilt der Mangel an dafür erforderlichem Know-how. „Natürlich kann die digitale Revolution zu einer Bedrohung für das Geschäft werden”, sagt Alexander Lippner, Partner bei KPMG, „Organisationen, die sich mit neuen Technologien befassen und diese auch in ihre Unternehmensstrategie einbinden, gelingt es jedoch, sich von der Konkurrenz abzuheben und langfristig mit der Digitalisierung Schritt zu halten.”Laut Studie verfügen aber lediglich 36% über eine digitale Unternehmensstrategie für einen oder mehrere Geschäftsbereiche. Für ihre gesamte Organisation setzen gerade einmal acht Prozent auf eine derartige Planung. Verschärfend kommt dazu, dass, so eine Erhebung von Capgemini, 56% der österreichischen IT-Leiter den Mangel an IT-Fachkräften beklagen, 46% die fehlende übergreifende Planung und 36% ein mangelndes Budget.

Europa in der Midlife-Crisis

Österreich kommt nach einem Ranking der EU-Kommission – der neue „Digitale Wirtschafts-und Gesellschaftsindex” wurde am Dienstag vorgestellt – nur auf Rang 13 bei der Digitalisierung seiner Wirtschaft. Untersucht wurden in dem Ranking der Internet-Verbindungsausbau, grundlegende und fortgeschrittene Fertigkeiten im Umgang mit digitalen Medien, die Verbreitung von Online-Aktivitäten sowie die Integration von digitaler Technologie in Unternehmen und im Handel sowie in Verwaltung und Gesundheitswesen. Bei einer hochrangigen, vom Wifo und der EU-Kommission organisierten Expertenkonferenz am Dienstag in Brüssel bezeichnete der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Karl Aiginger, Europa als „Erfolgsmodell in der Midlife-Crisis”. Europas Wirtschaftsleistung sei heute geringer als 2008, damit verfehle die EU ihre Ziele für die Wirtschaftsstrategie Europa 2020, konstatierte Aiginger. Europa brauche unter anderem eine stärkere Dynamik, basierend auf Innovation und Humankapital.

„Keine Zauberlösungen”

EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen versicherte, die Schaffung von Arbeitsplätzen nach der Finanz- und Wirtschaftskrise sei eine Priorität der Juncker-Kommission: „Es gibt keine Zauberlösung, aber wir können einen Unterschied machen.” Sie verwies auch auf bevorstehende Vorschläge zur Schaffung einer Energie-Union – und eines digitalen Binnenmarkts, die auch neue Jobs schaffen würden. Peter Dröll von der Generaldirektion für Forschung und Innovation in der EU-Kommission verwies auf einige gravierende Mängel der europäischen Wirtschaftsstruktur: Betrug Europas Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung 2010 noch 29%, so werde dieser im Jahr 2050 auf 17% fallen. Rund 60% der Elektro-Produktion werde dann in China stattfinden. Europa sei an einem Wendepunkt: „Entweder behalten und stärken wir die Rolle als einer der wichtigsten globalen Akteure, oder wir werden ein immer mehr ein irrelevanter Überwuchs des asiatischen Kontinents.”Bei der heutigen Konferenz werden Ergebnisse des Projekts WWWforEurope vorgestellt. Es läuft seit 2012 und soll unter Mitfinanzierung der EU-Kommission zeigen, wie in Europa nachhaltig hohe Einkommen, Beschäftigung und sozialer Zusammenhalt zu erreichen sind.

Gehackt und gescheitert

Nachdem vergangene Woche bekannt wurde, dass der US- sowie der britische Geheimdienst (GCHQ) die Verschlüsselung des weltgrößten SIM-Kartenherstellers Gemalto geknackt und sich Zugriff auf möglicherweise Milliarden von Handys verschafft haben, gilt die EU-Strategie zur Verkehrs- und Industrievernetzung als gefährdet: Die Sicherheit des „Internet der Dinge”-Konzepts beruht ja bekanntermaßen auf SIM-Cards.Die Konferenz von EU-Vizepräsident Andrus Ansip und des zuständigen Kommissars Günther Oettinger zur digitalen EU-Agenda am Donnerstag, in der der Industrievernetzung eine zentrale Rolle zukommt, wird jedenfalls von den GCHQ-Angriffen überschattet sein. (sb/APA)

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