PRIMENEWS
sabine bretschneider 04.09.2015

Verluste schmerzen. Manchmal.

Ein ganz großer Geschichtenerzähler weniger auf dieser Welt. Und 40 Milliarden Dollar haben sich in Luft aufgelöst.

Leitartikel
••• Von Sabine Bretschneider

VERLUST. „Oliver Wolf Sacks war ein britischer Neurologe und Schriftsteller und bekannt durch seine populärwissenschaftlichen Bücher, in denen er komplexe Krankheitsbilder anhand von Fallbeispielen in zwanglos-anekdotischem Stil allgemeinverständlich beschrieb.“ So skizziert Wikipedia den gnadenlos grandiosen Wissenschaftspublizisten, der vergangenen Sonntag verstorben ist. Das beschreibt ihn unzureichend. Wer seine Bücher kennt, trauert. Kaum jemand hat es je geschafft, verkrüppelndste neurologische Defizite mit so tiefem Einfühlungsvermögen zu beschreiben – und das „Anderssein“ so nah heranzuholen, dass es aus der Nähe nicht bedrohlich, sondern wundersam wurde. Und wo „wundersam“ nicht mehr ausreichte, Tragik in traurige Nostalgie zu wandeln.

Wenn er den berühmten „Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ als genialen Musiker beschreibt, der Hydranten tätschelt, weil er sie für Kinder hält und geschnitzte Knäufe an Möbelstücken freundlich anspricht – voller Verwunderung, weil sie nicht antworten –, klingt Zuneigung durch. Eine Zuneigung, die vielleicht auch dessen Frau – an deren Kopf der Mann unsanft zieht, um ihn sich aufzusetzen – dabei unterstützt hat, weiterhin einen sanften, begabten, freundlichen Ehemann zu sehen, der sich mangels interner Visualisierungskonzepte eine eigene Welt konstruiert. Nicht einen Fremden, der abstrus fabulierend immer weiter aus der Normalität stürzt, weil sich die Instanz im Gehirn auflöst, die das Aussehen der Dinge mit Bedeutung verknüpft.
„Oliver Sacks hat die medizinische Fallstudie zur literarischen Kunstform erhoben“, schrieb der Spiegel. Und auch das wird ihm nicht gerecht. Wenn es irgendwann Menschen gebraucht hat, die es verstehen, das Andere, das Fremde, das Nicht-Verständliche mit so ausdauernder Empathie zu beschreiben, dann jetzt.
Ein Verlust.

Kopf und Geld in den Sand

Wussten Sie eigentlich vor den Turbulenzen im chinesischen Aktienmarkt, wie der größte Staatsfonds der Welt heißt? Der Staatliche Pensionsfonds des Königreichs Norwegen jedenfalls, das ist er nämlich, hat in den vergangenen vier Wochen mit seinen Investments mehr als fünf Prozent verloren. Fünf Prozent klingt jetzt auch nicht so tragisch. Allerdings belaufen sich diese fünf Prozent in diesem speziellen Fall auf immerhin 40 Milliarden Dollar. „Wir können nicht alles sicher auf die Bank bringen, wir müssen in Risiko Investieren“, merkte CEO ­Yngve Slyngstad lakonisch in einem Podcast an. 40 Milliarden Dollar in einem Monat in den Sand zu setzen, das muss man sich leisten können.

Was man damit anstellen hätte können? Die öffentlichen Bildungsausgaben in Österreich beliefen sich laut Statistik Austria im Jahr 2013 auf 17,8 Milliarden Euro. Da wäre einiges drin gewesen. Und wenn man, wie in der heutigen Covergeschichte nachzulesen, bedenkt, dass es die Bildung ist, die die Grundlagen für Wohl und Wehe der Menschen legt, dann ist es schon ein bisschen zum Verzweifeln. Ich lasse Oliver Sacks jetzt abschließen, auch wenn das Ende damit ein bissl hinkt: „I was always the youngest boy in my class at high school. I have retained this feeling of being the youngest, even though now I am almost the oldest person I know.“

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