RETAIL
© APA/AFP/John Thys

Redaktion 29.05.2020

85 Prozent der Händler erwarten Umsatzeinbruch

Not macht innovativ: Unternehmen setzen auf digitalen Vertrieb, Online- statt TV-Werbung und Regionalität.

••• Von Paul Hafner

Alles neu macht der Mai – zu Beginn des Monats durften sämtliche Geschäfte wiedereröffnen, seit nunmehr knapp zwei Wochen ist auch die Gastronomie von ihrer Sperre erlöst. An die Maskenpflicht hat man sich gewöhnt, Personenbeschränkungen stellen nur selten ein Problem dar, und das Abstand halten wird zumindest in Warteschlangen einigermaßen beherzigt. Im Handel ist für Kunden auf den ersten Blick wieder so etwas wie Normalität – die neue Normalität? – eingekehrt.

Aus Sicht der Händler gestaltet sich die Situation freilich anders: Ein Gros potenzieller Gäste aus dem Ausland fällt aufgrund noch intakter Reisebeschränkungen weg; viele Geschäfte und Branchen klagen über geringe Kauf- und Konsumlust; und schließlich herrscht auch große Verunsicherung, was die Zukunft bringen wird.
85% der heimischen Handelsunternehmen gehen jedenfalls für 2020 von Corona-bedingten Umsatzeinbußen aus, auch für 2021 hält sich der Optimismus in Grenzen: Während die Hälfte mit einer Rückkehr zum Vorkrisenniveau (25%) oder zumindest einer Verbesserung gegenüber 2020 (27%) rechnet, erwartet die andere Hälfte Stagnation (29%) oder eine weitere Verschlechterung (19%) – so das Ergebnis einer Umfrage unter den Mitgliedern des Handelsverbands.

Planungsunsicherheit

Von Umsatzeinbußen sind die Händler unabhängig von ihrer Vertriebsart (online, stationär, beides) gleichermaßen betroffen. Unterschiede gibt es nach Branchen: Während in den Segmenten Haushalt/Textilien/Möbel, Fahrrad/Sport/Camping und im Schuh- und Bekleidungshandel sämtliche Händler Einbußen erwarten, trifft dies „nur” auf 64% der befragten Händler im LEH zu, wo 23% sogar mit einer Umsatzsteigerung rechnen. Ein differenzierteres Bild zeigt sich auch im Kosmetik- und Drogeriehandel (71% erwarten Umsatzeinbußen, 14% ein Plus) und in der Elektronikbranche (75% vs13%).

Unterm Strich rechnet in allen Branchen die große Mehrheit mit deutlichen Einbußen – und zwar im Schnitt von heftigen 32%. Am stärksten dürfte es kleine Händler und reine Onlinehändler treffen; am optimistischsten für 2021 zeigen sich LEH und Möbel- und Textilienhandel, am geringsten ist die Zuversicht unter den Elektronikhändlern.
„Viele Handelssparten wie Fashion, Inneneinrichtung oder Sportgeschäfte haben mit teils massiven Umsatzeinbußen zu kämpfen. Jeder Sektor steht vor eigenen Herausforderungen – manche waren bereits vor der Corona-Pandemie sichtbar, andere formten sich von heute auf morgen”, analysiert Martin Unger, Partner, Strategy Leader und Leiter Konsumgüter und Retail bei EY Österreich.
Als kleiner Rettungsanker habe sich E-Commerce erwiesen: Zwar stand für die Mehrheit der Händler (57%) die Kostenoptimierung an erster Stelle, dahinter folgten aber schon unterschiedliche Maßnahmen im Bereich des Onlinevertriebs. So gaben 46% der befragten Handelsverband-Mitglieder an, im Zuge der Krise ihren eigenen Onlineshop ausgebaut zu haben bzw. ausbauen zu wollen; jeder Dritte (33%) hat die Präsenz auf Onlinemarktplätzen gestartet oder verstärkt bzw. plant dies.
Unger dazu: „Vor allem für viele Unternehmen mit unter zehn Mitarbeitern waren die letzten Wochen ein Weckruf, dass ein professioneller Web-Auftritt mit digitalen Leistungen, sofern möglich, ein wirkungsvolles zweites Standbein darstellt. Der Sprung ins kalte Wasser ist erfreulicherweise vielen geglückt – auch denen, die sich jahrelang vor dem Online-Handel gescheut haben”, so Unger.

Faktor Staatshilfe

Damit das viel zitierte Hochfahren der Wirtschaft nicht nur ein Schlagwort bleibt, sind weitere staatlich induzierte Hilfsmaßnahmen gefragt. Mit der bisherigen Abwicklung der Staatshilfen zeigt sich eine Mehrheit von 57% allerdings nicht zufrieden, ein Drittel der befragten Händler bewertet es gar mit einem „Nicht genügend”. Besonders unzufrieden zeigen sich kleine Händler mit Umsätzen von bis zu einer Mio. €.

49% der Unternehmen haben die Corona-Kurzarbeit in Anspruch genommen; jene EPU und Unternehmen mit bis zu neun Mitarbeitern, die die Bedingungen für die Inanspruchnahme der Unterstützungsleistung nicht erfüllten, beantragten häufig (41%) Hilfe durch den Härtefall-Fonds. Fast die Hälfte der Händler (48%) hat bereits um Steuerstundungen angesucht, ein Viertel (25%) plant einen Antrag für den Corona-Hilfsfonds, 19% haben diesen bereits gestellt.
Die von der Regierung beschlossenen Hilfsmaßnahmen sind sehr gefragt; wie Handelsverbands-Geschäftsführer Rainer Will betont, sind aber sowohl eine effizientere Umsetzung bzw. Abwicklung als auch weitere Maßnahmen notwendig, denn: „Mittlerweile ist bereits ein Drittel aller österreichischen Einzelhändler von der Schließung bedroht.” Wiederholt hat der Handelsverband in den vergangenen Wochen Helikoptergeld in Form von „Österreich-Schecks” und das Vorziehen der paktierten Steuerreform eingefordert.

Neustart mit Online-Fokus

Erfreulicherweise seien Nachfrage und Kaufbereitschaft im Allgemeinen derzeit etwas größer als erwartet, heißt es seitens des Handelsverbands. Gute Frequenzen an den ersten Tagen der kompletten Geschäftsöffnung dürften aber nicht von der „strukturell prekären Situation” ablenken: Mehr als 588.000 Menschen in Österreich sind arbeitslos, weitere 1,2 Mio. in Kurzarbeit – die Verbraucher müssen folglich mit weniger Einkommen auskommen.

Während 28% der Unternehmen Kunden mit Vergünstigungen in die Geschäfte locken wollen, möchte die Hälfte (50%) auf Preisaktionen verzichten. Statt Rabattschlachten zu schlagen, sparen Händler lieber beim Werbebudget – und stecken finanzielle Mittel vermehrt in Social Media-Kanäle anstelle von TV-Schaltungen.
Der Zukunftsfokus der Händler liegt richtigerweise auf dem Online-Geschäft: „Drei Viertel der Händler gehen künftig von zunehmenden Onlinebestellungen aus, was den Druck, digitale Investitionen zu tätigen, erhöht. Ein merklicher Shift der Konsumenten hin zu Regionalität und Nachhaltigkeit geht damit einher. Das gilt es nun abzubilden, um die Kunden in der Krise zu halten”, bilanziert Rainer Will.

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