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© APA/Eva Manhart

Natalie Harsdorf-Borsch, General­direktorin der Bundeswettbewerbsbehörde, bei der Präsentation der Ergebnisse des Untersuchungsberichts.

Redaktion 10.11.2023

BWB-Bericht entkräftet Vorwurf der Preistreiberei

Gewinnmargen im LEH stiegen „nicht systematisch”, doch wird nun ob unlauterer Handelspraktiken ermittelt.

••• Von Paul Hafner

Mehr als ein Jahr nach dem Start der „Branchenunter­suchung Lebensmittel” durch die Bundeswettbewerbsbehörde wurden in der Vorwoche schließlich deren Befunde und Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert. Einen „systematischen” Anstieg der Gewinnmargen im österreichischen LEH konnten die Wettbewerbshüter nicht festmachen; auch die heimische Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft können nicht für unverhältnismäßige Preisanstiege verantwortlich gemacht werden. Erhärtet hat sich dagegen der Verdacht gegenüber internationalen Herstellern, die im Beobachtungszeitraum (2. Hj 2022 bis 2. Hj 2023) in einzelnen Produktgruppen hohe Gewinne eingefahren haben.

Während nun etwa der Handelsverband den LEH von allen Vorwürfen „freigesprochen” sieht und eine Entschuldigung von der Politik einfordert, hat ein anderer Aspekt des Berichts dem LEH erhebliche Kritik eingebracht: Die Anzahl der eingemeldeten unfairen Verhandlungspraktiken von Supermärkten gegenüber Lieferanten sei „sehr beunruhigend”, wie BWB-Chefin Natalie Harsdorf-Borsch betonte.
Der konkrete Vorwurf lautet auf einseitige Vertragsänderungen, Zahlungen ohne eine Verbindung zu Lieferungen und Zahlungen für unverschuldeten Qualitätsverlust. Die Behörde ermittelt nun wegen Verstößen gegen das Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetz und werde laut Harsdorf-Borsch noch heuer erste Anträge beim Kartellgericht einbringen. „Eine Bankrotterklärung für den heimischen Lebensmittelhandel”, kritisiert etwa Sebastian Bohrn Mena, Gründer der Initiative oekoreich.

Eingriff notwendig oder nicht?

In der Tat könnten die Lesarten von Bohrn Mena und Handelsverband Geschäftsführer Rainer Will nicht weiter auseinanderliegen: Während Bohrn Mena den Bericht „einen flammenden Appell der Verwaltung an die Poli­tik” nennt und eine „dringende Notwendigkeit regulatorischer Maßnahmen” festhält, gibt es für den Handelsverband „keine sachliche Notwendigkeit für teure, regulative Eingriffe oder neue Preistransparenzdatenbanken, welche die Endkunden-Preise nicht senken, aber den bürokratischen Aufwand deutlich erhöhen”; der Bericht zeige, dass „der Wettbewerb im LEH gut funktioniert”.

In der Tat konnten die Wettbewerbshüter in ihrer Untersuchung nicht feststellen, dass sich die hohe Marktkonzentration im LEH „kausal” auf die Preisanstiege auswirkte – und auch die Bedeutung von Eigenmarken sei geringer „als Pressemitteilungen im Jahr 2022 vermuten hätten lassen”, wie es im Bericht heißt; tatsächlich liegt der Umsatzanteil von Handelsmarken in Österreich mit 35,9% unter dem europäischen Durchschnitt von 38,1%.

Aufschlag in Rot-Weiß-Rot

Speziell weist die Bundeswettbewerbsbehörde in ihrem Bericht auf einen sogenannten Österreich-Preisaufschlag hin. Es gebe in der Lebensmittelindustrie – besonders bei internationalen Konzernen – den Anreiz, für gleiche Produkte entsprechend ihren Länderstrategien teilweise unterschiedliche Preise zu verrechnen. „Diese Strategien können ein wesentlicher Faktor für unterschiedliche Lebensmittelpreise und damit höhere Preise in Österreich sein”, heißt es in der Branchenuntersuchung.

Die Kalkulationen eines Lebensmittelhändlers zeigen, dass die tatsächlichen Netto-Verkaufspreise – Umsatzsteuer und Promotionen abgezogen – in Österreich um zehn bis 15% über jenen von Deutschland liegen. Harsdorf-Borsch will diese Thematik nun rasch bei der Europäischen Kommission deponieren, weil die Behörde nur für Österreich zuständig ist.
Ein Aktivwerden der heimischen Politik fordert indes Will; neben einer „gründlicheren Beleuchtung der Rolle der globalen Hersteller” macht sich der Handelssprecher auch für ein Verbot territorialer Lieferbeschränkungen in der EU stark.

Ein Fall für die EU?

Klare Antworten im Untersuchungsbericht vermisst indes der freiheitliche Konsumentenschutzsprecher Peter Wurm – es grenze förmlich an „Realitätsverweigerung, 269 Seiten zu füllen und dann zu sagen ‚nix ist passiert, der Kunde in Österreich zahlt halt mehr' und schlussendlich hat, wie immer, die EU Schuld an der Misere”.

Anders sieht das die Arbeiterkammer: Sie nahm den Bericht als Anlass, Minister Martin Kocher aufzufordern, sich auf EU-Ebene für ein Ende der Benachteiligung der österreichischen Konsumenten einzusetzen.

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