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Redaktion 19.03.2020

Covid-19-Pandemie bedroht Lieferketten und Versorgungssicherheit

Speditionen und Logistikunternehmen urgieren schnelles Eingreifen der öffentlichen Hand.

WIEN. Der Zentralverband Spedition & Logistik appelliert im Einklang mit dem europäischen Dachverband Clecat, der bundesdeutschen sowie zahlreichen weiteren nationalen Branchenvertretungen an die österreichische Bundesregierung, umgehend Maßnahmen zur Sicherung der europäischen Versorgungsketten zu setzen. Dazu zählten vor allem die Einrichtung eines funktionalen und strukturierten Informationssystems zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission, die (temporäre) Aufhebung von Verkehrsverboten und harmonisierte Verfahren bei Grenzkontrollen.

Die rasante globale Ausbreitung des Coronavirus erweist sich inzwischen als reale Bedrohung für die Gesundheit und Versorgung vieler Menschen. In diesem sich täglich ändernden Szenario wird die Systemrelevanz der Logistik für die Aufrechthaltung von Produktionsprozessen, Beschaffungs- und Absatzwegen bei Industrie und Handel sowie für die Versorgung der Bevölkerung besonders deutlich.

Lieferketten sind bedroht, weil einerseits Produktionsverzögerungen und -ausfälle in den besonders betroffenen Regionen wie China zu Beschaffungslücken für die österreichische und europäische Industrie und den Handel führen, andererseits die Logistik selbst durch territoriale Restriktionen wie Sperrungen und Grenzschließungen gehemmt wird. Die Luftfracht ist zudem massiv durch Flugstreichungen eingeschränkt, durch die ein großer Teil des Frachtraums in Passagiermaschinen entfällt, mit dem vor allem eilbedürftige Waren befördert werden.

Die Unternehmen der Speditions- und Logistikbranche und ihre internationalen Transport-partner sind – unter Einhaltung aller von Behörden empfohlenen und angeordneten Maßnahmen zum Schutz der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Beschäftigten bei Warenabsendern und -empfängern – nach Kräften bemüht, die globalen, nationalen und regionalen Lieferketten trotz Produktionsausfällen und behördlichen Restriktionen aufrecht zu halten. Dennoch sind Lieferketten derzeit punktuell massiv gestört, mit teils gravierenden wirtschaftlichen, teils existentiellen Folgen. Das vollständige Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen wird erst in den kommenden Wochen und Monaten abschätzbar.

Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten müssen mit Hochdruck an einer koordinierten Vorgehensweise zum Gesundheitsschutz arbeiten und mit gleicher Intensität Versorgungsengpässen, gesellschaftlichen Unruhen und einer weiteren wirtschaftlichen Destabilisierung, die den bereits vor Ausbruch der Pandemie drohenden konjunkturellen Abschwung jetzt zusätzlich verstärkt, entgegenwirken. Hierzu gehören operative und finanzielle Unterstützungsmaßnahmen der öffentlichen Hand für die Unternehmen der Logistikbranche.

Deshalb bedarf es folgender Maßnahmen:
1) Aufrechthaltung des freien Warenverkehrs über Grenzen hinweg
Produktion, Warenhandel und Logistik funktionieren international und arbeitsteilig. Trotz aller gesundheitlich erforderlichen Beschränkungen dürfen die EU-Mitgliedstaaten nicht in einer protektionistischen Eskalationsspirale durch weitere Grenzschließungen für Handel und Logistik enden, von denen der freie Warenaustausch, der Handel und die Logistik negativ betroffen sind. Es muss sichergestellt werden, dass Transportmittel, Waren und Fahrpersonal nicht den gleichen Restriktionen wie der Individual- und Reiseverkehr unterworfen werden.

2) Flexibilisierung des geltenden Gewerberechts,
der StVO o. Ä.
Der Zentralverband fordert die Aussetzung bestehender Sonntags- und Feiertagsfahrverbote im Straßengüterverkehr. Zur Aufrechterhaltung der Lieferketten sind folgende Maßnahmen erforderlich:

· Die Sonn- und Feiertagsfahrverbote müssen bundesweit und in einem einheitlichen Zeitraum bürokratiearm aufgehoben werden. Die Zulassung von sonntäglichen Gütertransporten sollte in Form von Allgemeinverfügungen und wortgleichen Erlässen erfolgen, die sich unmittelbar an alle in der Logistikbranche richten. Eine gesonderte Antragstellung durch einzelne Unternehmen oder gar für einzelne Fahrten muss vermieden werden. Dies würde derzeit nur unnötig Kapazitäten bei den Unternehmen und in der Verwaltung binden.

· Die Aussetzung der Sonn- und Feiertagsfahrverbote muss sich auf sämtliche Warengruppen beziehen. Auch wenn die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medizinprodukten vordringlich ist, ist nicht nur die Belieferung des Handels, sondern auch die Aufrechthaltung der dem Handel vorgelagerten Produktionsprozesse von Waren für die tägliche Bedarfsdeckung der Wirtschaft und der Bürger essenziell.

· Bestehende gesetzliche Regeln über Lenk- und Ruhezeiten müssen an die Aussetzung des Sonn- und Feiertagsfahrverbots angepasst werden, damit verfügbares Fahrpersonal auch eingesetzt werden kann.

· Die multimodale Verknüpfung aller Verkehrsträger, d. h. Zu- und Ablaufverkehre zu Flug-, See- und Binnenhäfen und deren Umschlagsterminals muss weiter aufrechterhalten werden können.

3) Flexibilisierung des geltenden Arbeitsrechts
Vorsorge- und Quarantänemaßnahmen sowie Erkrankungen werden für unbestimmte Zeit dazu führen, dass Personalressourcen knapp werden. Ein geändertes Bestellverhalten des Handels führt zudem zu außergewöhnlichen Auftragsspitzen, die flexibel bedient werden müssen. Während für kaufmännische Tätigkeiten und andere Bürotätigkeiten teilweise Voraussetzungen für dezentrales Arbeiten durch Homeoffice geschaffen werden können, bestehen diese Möglichkeiten für gewerblich Beschäftigte, insbesondere für Lkw-Fahrer und Beschäftigte in Logistikanlagen, Lägern, Umschlagsterminals, etc. nicht.

Der Zentralverband begrüßt die grundsätzliche Verständigung zur allgemeinen Versorgungssicherheit. Hierzu muss das Gewerbe- und Arbeitsrecht so geändert werden, dass

· die Voraussetzungen für die Anmeldung von Kurzarbeit gelockert werden,

· Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch generelle Anpassung des Arbeitszeitgesetzes deutlich flexiblere Arbeitszeiten ermöglicht werden,

· transportierte Waren im Anschluss an einen Transport auch sonntags empfangen, entladen, kommissioniert und weiter verteilt werden können.

4) Finanzielle Unterstützungen und Beihilfen
Durch Produktionsausfälle der verladenden Wirtschaft, durch behördliche Anordnungen und hohe Krankenstände können Speditions- und Logistikunternehmen in existentiell bedrohende Finanznotlagen geraten. Dies gilt für Konzernspeditionen gleichermaßen wie für klein- und mittelständische Logistikbetriebe. Der Zentralverband begrüßt das Maßnahmenpaket zur Abfederung der Auswirkungen des Coronavirus, insbesondere geplante vereinfachte Kreditvergaben, steuerliche Liquiditätshilfen sowie konjunkturfördernde Investitionen. Um die Liquidität der Speditionsbranche zu sichern,

· muss ein mindestens einjähriges Belastungsmoratorium zur Verhinderung weiterer Steuererhöhungen, zusätzlicher Bürokratie und Eingriffe in die unternehmerische Freiheit eingerichtet werden,

· muss eine zinslose Stundung von Steuervorauszahlungen und Zahlungen der Voranmeldungen gewährt werden,

· muss die Insolvenzantragsfrist für Unternehmen ausgedehnt werden,

· muss die Umsatzsteuer schnellstmöglich von der Soll- auf die Ist-Besteuerung umgestellt werden,

· müssen Banken die Kredit- und Bürgschaftsentscheidungen deutlich beschleunigen.

Zentralverband: Interessensvertretung und Service
Der Zentralverband Spedition & Logistik ist die unabhängige und verkehrsmittelneutrale Interessensvertretung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Er ist Mitglied der Clecat (European Association for Forwarding, Transport, Logistics and Customs Services) um die Brancheninteressen der heimischen Logistik in der EU bestmöglich zu positionieren. Daneben vertritt der Zentralverband auch die internationale Logistikorganisation FIATA (International Federation of Freight Forwarders Associations).

11.000 Unternehmen des österreichischen Logistik-Wertschöpfungskerns beschäftigen unmittelbar 160.000 Personen. Spediteure, Transport-Umschlag-Lager-Logistik-Anbieter und Logistik-Technologie-Anbieter schaffen einen direkten Umsatz in Höhe von 33,6 Mrd. €. (red)

 

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