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18.12.2015

„Die hohe Konzentration führt zu hohen Preisen”

BWB-Chef Theodor Thanner anlässlich der zum Verkauf stehenden Zielpunkt-Filialen über die Konzentration im LEH und ihre Folgen.

••• Von Christian Horvath

Auf die stattliche Summe von über 174 Millionen Euro belaufen sich die Geldbußentscheidungen in Österreich seit 2002. Der Lebensmittelhandel (LEH) hatte ebenso wie die Produzenten daran einen erklecklichen Anteil. Jüngstes Beispiel: Spar wurde vom Obersten Gerichtshof (OGH) wegen vertikaler Preisbindungen zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Mio. Euro verurteilt. Es habe ein Gesamtsystem gegeben, um für den Einzelhändler die Spanne sicherzustellen, heißt es im Urteil des OGH. Dessen Beschluss sei als Signal zu sehen, dass bei Kernverstößen mit hohen Geldbußen zu rechnen ist, betonte die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) in einer Reaktion. Deren Chef, Generaldirektor Theodor Thanner, hat aber derzeit nicht nur viel Arbeit mit der Untersuchung von Preisabsprachen – auch die Konzentration im Einzelhandel ist für die BWB Untersuchungsgegenstand. Derzeit besonders intensiv, da im November einer der Player im Markt – Zielpunkt – Insolvenz anmelden musste. Wie der LEH post Zielpunkt in Österreich aussehen könnte, was zur Wiederbelebung des Wettbewerbs getan werden könnte und ob die Wettbewerbsgesetze in ihrer jetzigen Form ausreichend sind, erläutert Thanner im medianet-Interview.

medianet: Herr Thanner, die Handelskette Zielpunkt ist insolvent, die Konzentration im Lebensmittelhandel wird daher weiter zunehmen. Welche Punkte stehen unter diesen Aspekten für Sie derzeit auf der Tagesordnung?
Theodor Thanner: Unser Job ist ein nachrangiger. Wir prüfen bei einer möglichen Übernahme durch andere Lebensmittelketten etwa Fusionstatbestände – Umstände, die einer Prüfung zu unterziehen sind. Das würde etwa der Fall sein, wenn die wesentlichen Player im Markt – Rewe, Spar, Hofer oder Lidl – Filialen in den vier Bundesländern, in denen Zielpunkt vertreten war, übernehmen wollen. Hier ist von uns allenfalls zu prüfen, ob eine Marktbeherrschung entsteht oder noch verstärkt wird. Bei diesen Prüfungen gibt es dann drei Möglichkeiten: Sollte so eine Beherrschung nicht entstehen, geht die Übernahme in Ordnung, zweitens könnte dieser Übernahme unter bestimmten Auflagen zugestimmt werden oder drittens wird der Fall von uns, sollten wir Bedenken haben, zum Kartellgericht weitergereicht. Die Schwierigkeit ist: Wir wissen zwar jetzt, wo die Filialen sind, aber wie es sich im Hinblick auf die Umsätze auswirkt, wissen wir erst dann, wenn wir konkrete Übernahmepläne kennen. Wir sind hier bereits im Gespräch mit dem Masseverwalter.

medianet: Wie kam es Ihrer Meinung nach zu der aktuellen Situation im Lebensmittelhandel insgesamt?
Thanner: Der Umbruch kam Mitte der 1990er-Jahre, als Konsum pleiteging und Meinl 2000 seine Lebensmittelkette verkauft hat. Klar ist: Unternehmen mit einem hohen Marktanteil bringen eine hohe unternehmerische Leistung, andererseits führt die hohe Konzentration zu höheren Preisen. Ich verweise auf die Preisvergleiche Österreich-Deutschland. Da gibt es andere Faktoren auch noch – aber: je höher die Konzentration ist, umso wahrscheinlich ist es, dass die Preise höher sind. Und je geringer die Zahl der Abnehmer ist, umso schwieriger wird es für die Lieferanten. Und sie sehen sich mit der Gefahr der Auslistung konfrontiert.

medianet: Glauben Sie, dass man den LEH stärker kontrollieren sollte? Und wie könnte diese Kontrolle aussehen?
Thanner: Ich glaube, dass es sinnhaft ist, wenn man generell über eine Belebung des Wettbewerbs im LEH nachdenkt. Man wird den Lieferanten vor der Auslistung schützen müssen, man könnte verstärktes Preismonitoring machen, die Zusammensetzung der Preise untersuchen, und ich glaube auch, dass man all diejenigen in die Pflicht nehmen muss, die an der Produktionskette sitzen: den Agrarsektor und die Industrie. Im Sinne der Konsumenten wird es vernünftig sein, sich so etwas zu überlegen. Ein endgültiges Konzept zur Lösung einer derart komplexen Situation liegt jetzt nicht in meiner Schublade, aber ich glaube, dass sich all diese Fragen durch die ­Situation rund um Zielpunkt noch einmal weiter verschärft haben.

medianet: War die Insolvenz von Zielpunkt aus Ihrer Sicht absehbar oder ist das überraschend gekommen?
Thanner: Zielpunkt war schon vor drei Jahren in Schwierigkeiten. Es hat dann letztlich mit Pfeiffer ein heimisches Familienunternehmen die Kette übernommen. Bei einem Familieunternehmen ist es üblich, dass sie ihre Investitionen ganz genau planen. Insofern war es nicht vorhersehbar. Im Nachhinein ist man aber auch immer klüger. Es ist jetzt leicht zu sagen, Zielpunkt hatten keine Corporate Identiy oder bot kein Einkaufserlebnis.

medianet
: Bei einer Handelsabdeckung von 85 Prozent durch drei Unternehmen muss es sich konsequenterweise doch ausschließen, dass Rewe, Spar oder Hofer auch nur eine einzige ehemalige Zielpunkt-Filiale übernehmen kann.
Thanner: Man wird sehen, wie allenfalls konkrete Pläne aussehen. Was wir machen, ist, uns so gut wie möglich vorzubereiten.

medianet: Was sagen Sie zu den Meldungen von politischer Seite, wonach das Wettbewerbsrecht aufgeweicht werden soll, damit Rewe, Spar oder Hofer Zielpunkt-Filialen übernehmen können?
Thanner: Aus der Übernahme der Zielpunkt-Filialen an sich ist noch gar nichts gewonnen. Das muss man von der Frage nach den Arbeitsplätzen trennen. Wo würde stehen, dass jenes Personal, das bislang in der Filiale gearbeitet hat, mit übernommen wird? Ich glaube, dass das geltende Gesetz ausreichend Möglichkeiten bietet.

medianet: Wie weit muss die BWB europäisches Recht übernehmen und wie viel staatlicher Einfluss ist noch gegeben?
Thanner: Es gibt im Kartellrecht drei wesentliche Bereiche: das ist zum Einen die Fusionskontrolle, das Zweite sind die Kartellabsprachen und das Dritte ist der Marktmachtmissbrauch. Diese drei Bereiche werden national vollzogen – entweder aufgrund von Vorgaben der EU-Kommission oder einer nationalen Behörde. Es gibt – fast nie – ein Sowohl-als-auch. Die nationalen Rechtsvorschriften sind im ­Wesentlichen den europäischen nachgebildet. Der einzige Unterschied etwa zu Deutschland ist, dass es dort einen anderen Instanzenzug gibt.
medianet: Wie wird Ihrer Meinung nach der LEH in etwa fünf Jahren aussehen? Wird es noch höhere Marktanteile für drei Unternehmen geben?
Thanner: Das wünsche ich mir nicht. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es mehr regionale Anbieter gibt. MPreis und Sutterlütty sind in ihren Regionen starke Player. Man wird Nischen suchen müssen.

medianet: Was werden jetzt die nächsten Schritte sein?
Thanner: Zielpunkt hat jetzt Priorität. Was dann kommen muss? Ein Wettbewerbsbelebungs-Paket ­Lebensmittel etwa, das ist sicher ein Punkt, der auf der Agenda steht.

medianet: Kommen wir zum Thema Bußgelder: Mit Rewe gibt es einen Vergleich über 20,8 Millionen, Die Strafe gegen Spar beläuft sich auf 30 Millionen. Wie ist diese Differenz erklärbar?
Thanner: Da müssten wir für Details das Gericht fragen. Bei Rewe war es ein Settlement mit Gerichtsbeschluss, bei Spar waren es in erster Instanz drei Millionen, die der OGH dann auf 30 Millionen erhöht hat. Da war vor allem die lange Dauer der Preisabsprachen ausschlaggebend, diese gingen über mehr als zehn Jahre. Und die Buße bezog sich allein auf den Bereich Molkereiprodukte.


medianet: Es werden 16 weitere Sparten untersucht. Welche?
Thanner: In den Bereichen Bier, Mehl und antialkoholische Getränke liegen die Beweismittel schon bei Gericht, bei allen anderen sind die Unterlagen noch versiegelt. Wir hoffen, dass das Kartellgericht die Unterlagen bald freigibt.

medianet: Das würde bedeuten, dass, ausgehend von dem Molkereiprodukte-Präzedenzfall, auf Spar noch einige Millionen an Strafen zukommen?
Thanner: Das kann man jetzt noch nicht prognostizieren. Jedenfalls hat der OGH im jüngsten Urteil festgehalten, dass vertikale Preisabsprachen ein schwerer Verstoß sind.

medianet
: Wo ist die Grenze zwischen legitimen Preisverhandlungen zwischen Handel und Produzenten und verbotener Absprache?
Thanner: Dazu gibt es sowohl auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene ausreichend Regeln und Judikatur. Preisabsprachen können sich auf zwei Ebenen bewegen: entweder horizontal, also zwischen Unternehmen gleicher Produktionsstufe, oder vertikal, also zwischen Handel und Produzent. Der Punkt ist: Reden über die Einkaufspreise ist okay, über die Verkaufspreise jedoch nicht. Wir haben festgestellt, dass es diesbezüglich viele Unsicherheiten gibt, deshalb haben wie diesen Leitfaden erarbeitet (Anm.: Im Juli 2014 hat die BWB einen „Standpunkt zu vertikalen Preisbindungen” aufgelegt). Es gibt für die Unternehmen und deren leitende Mitarbeiter jede Menge Informationsmöglichkeiten. In jedem Fall sind sowohl horizontale als auch vertikale Preisabsprachen verwerflich und nach europäischem und nationalem Recht verboten. Und es ist faszinierend, was in Verfahren alles als Rechtfertigung für die Preisverhandlungen herangezogen wird. Es gab etwa schon Fälle in Bußgeldverfahren, wo die Beschuldigten meinten, die Preisabsprachen hätten dem Wohl der Konsumenten gedient.

medianet: Glauben Sie, dass das OGH-Urteil gegen Spar eine abschreckende Wirkung haben wird?
Thanner: Davon gehe ich definitiv aus, ja.

medianet: Und dass die Lieferanten selber jetzt aufmerksamer werden? Immerhin wird auch seitens der BWB doch immer wieder betont, dass auch ein bloßer Mitläufer, formal gesehen, einen Verstoß begehe.
Thanner: Wir sehen seit Rewe und Spar und den Verfahren, die wir geführt haben, dass es nicht mehr so einfach möglich ist, den Lieferanten mit E-Mails zu steuern.

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