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© APA/Helmut Fohringer

Redaktion 08.10.2021

Durchbruch in der Einwegpfanddebatte

Noch heute will Umweltministerin Leonore Gewessler konkrete Pläne zur Umsetzung präsentieren.

••• Von Paul Hafner

WIEN. Als Umweltministerin Eleonore Gewessler im September des Vorjahres ihren Drei-Punkte-Plan gegen Plastikmüll präsentierte, gab es Widerstand von allen Seiten: Wirtschaftskammer und Handelsverband etwa warnten vor damit einhergehenden großen finanziellen und logistischen Herausforderungen, Nah&Frisch-Geschäftsführer Hannes Wuchterl vor einer existenziellen Gefährdung der kleinen Kaufleute – und als Folge davon einer Bedrohung der Ortskerne kleiner Gemeinden am Land.

Wenig mehr als ein Jahr später scheint Gewessler sich durchgesetzt zu haben: Nach ersten deutlicheren Signalen in Richtung Gesprächsbereitschaft von Vorstand Marcel Haraszti beim Tag des Handels bekannte sich die Rewe vergangene Woche gemeinsam mit Hofer und Vorreiter Lidl in einer raren gemeinsamen Stellungnahme zur Einführung eines verpflichtenden Pfands auf Einweggebinde. Dabei wissen die Handelsketten die Getränke­industrie, die sich ihrerseits in den vergangenen Monaten immer offener für neue Lösungen – Stichwort RecycleMich-Initiative – gezeigt hat, beinahe geschlossen auf ihrer Seite.
Mit dem Schulterschluss von drei der vier größten Lebensmittelketten und der Industrie haben sich die Vorzeichen entscheidend geändert: Am Mittwoch war durchgesickert, dass nun auch die Wirtschaftskammer mit an Bord ist und die Einführung eines Pfandsystems für PET-Flaschen und Dosen fixiert ist – die Details sollen noch heute präsentiert werden.

Spätestens ab 2025

Dem Vernehmen nach wird der im April präsentierte Entwurf zur Abfallwirtschaftsgesetz-Novelle, in der das Einwegpfand noch nicht vorgekommen war, gerade neu überarbeitet: Spätestens ab 2025 soll es demnach im gesamten Lebensmittelhandel – mit Ausnahme von Standorten mit weniger als 400 m² Fläche – verpflichtend ein Recycling-System für PET-Flaschen, Dosen und Glas geben.

Der Pfandaufschlag soll mit 20 bis 30 c in einer ähnlichen Höhe ausfallen, wie man sie bisher schon von Mineral- oder Bierglasflaschen kennt.
Als Abtausch für das Entgegenkommen dürfte laut verschiedenen übereinstimmenden Medienberichten die im April festgehaltene Mehrwegquote für den Lebensmittelhandel etwas aufgeweicht und mit diversen Ausnahmen versehen werden.
Ein erstes Entgegenkommen von unvermuteter Seite war noch im Vorjahr von Lidl ausgegangen. Der Diskonter sprach sich im Dezember – drei Monate nach Vorstellung des Drei-Punkte-Plans – als erster heimischer Lebensmittelhändler für eine verpflichtende Einwegpfand-Lösung auf PET-Flaschen aus, und keine zwei Monate später präsentierte Lidl Österreich-CEO Alessandro Wolf medienwirksam gemeinsam mit Gewessler einen Einwegpfandautomaten. Das Branchenecho damals war wiederum verhalten bis negativ, der Handelsverband etwa forderte „konstruktiven Dialog statt Aktionismus”.

Kritik von Nah&Frisch

Wenngleich sich ein Dreivierteljahr später die Vorzeichen geändert zu haben scheinen, scheint es mit dem konstruktiven Dialog nicht weit her – zumindest wenn es nach Nah&Frisch-Geschäftsführer Hannes Wuchterl geht, der abermals ein „Drüberfahren” über die Nahversorger am Land ortet.

„Die Ausnahme kleiner Händler bei der Rücknahmepflicht von Leergut ist keine gelungene Lösung. Im Gegenteil, Kunden werden dort einkaufen, wo sie ihre Plastikflaschen zurückgeben können. Damit wandern weitere Einkäufe von den kleinen Nahversorgern zu den großen Ketten. Das Veröden der Dorfkerne wird in Kauf genommen”, so Wuchterl. Indem man, wie von Rewe, Hofer und Lidl vorgeschlagen, Geschäfte mit einer Fläche von unter 400 m² von der Rücknahmepflicht ausnehme, würden kleine, selbstständige Kaufleute aus dem Wettbewerb „gekickt” – und das könne nicht im Sinne eines „vielfältigen Nahversorgungssystems” sein.

„Politischer Abtausch”

In die gleiche Kerbe schlug erst vor wenigen Tagen noch Christian Prauchner, Obmann des Lebensmittelhandels in der WKÖ. Punkto Steigerung der Sammelquoten für PET-Flaschen spreche man sich „für ein ganzheitliches Kreislaufkonzept aus, das nicht nur für große Unternehmen, sondern auch für die Tausenden kleinen, selbständigen Kaufleute in Österreich tragfähig ist”. Die Einführung eines „teuren und komplizierten Einwegpfandsystems im stationären Handel wäre insbesondere für kleine, selbstständige Lebensmittelhändler mit massiven Mehrbelastungen und Wettbewerbsnachteilen gegenüber großen Mitbewerbern verbunden”, so Prauchner. Einem politischen Abtausch auf Kosten kleiner Händler werde man daher „so nicht zustimmen”. Angesichts der berichteten Wende der WKO ist daher von einem Entgegenkommen auszugehen.

Einen „Öko-Schmäh” ortet indes Christof Kastner, geschäftsführender Gesellschafter der Kastner-Gruppe. „Viele Konsumentinnen und Konsumenten, die ein Pfandsystem befürworten, glauben, dass die Plastikflaschen wie beim Glas wiederbefüllt werden. Das stimmt nicht. Denn nur ca. 9.000 Tonnen Plastik können durch ein Pfand auf Einwegplastikgebinde zusätzlich recycelt werden. Bis 2030 müssen wir aber ca. 90.000 Tonnen Plastikverpackungen aller Art dem Recycling zuführen”, rechnet Kastner vor. „Wenn Bundesministerin Leonore Gewessler ein Einwegplastikpfand fordert, wird sie die Plastikflasche für Jahrzehnte im System einzementieren. Statt nur eine grüne ‚Pfand-Religion' zu vertreten, sollte sie den Ausstieg aus Plastik organisieren.”
Auch Marktführer Spar plädiert für eine Gesamtlösung und verwies bereits in einer ersten Reaktion auf den Vorstoß der Konkurrenz in der Vorwoche auf seinen Einsatz für eine hohe Mehrwegquote im Lebensmittelhandel.
Wie von Greenpeace bestätigt, hat Spar das größte Mehrweg-Getränkesortiment im heimischen LEH. „Da jedoch eine hohe Mehrwegquote von anderen Händlern und den Getränkeherstellern weder erreicht noch gewünscht wird, treten diese nun für niedrigere Mehrwegquoten und dafür für ein Einwegpfand ein”, folgert Spar in seiner Aussendung. Ein Pfandsystem sei „für die Konsumenten unpraktisch” und darüber hinaus teuer.
Andersartige Bedenken äußert Werner Hochreiter, Umweltexperte der AK Wien. Zwar befürwortet er die Einführung eines Einwegpfands, tritt aber für Unabhängigkeit „von jeglichem Einfluss vom ARA-Verpackungssammelsystem und von den Großformen des Lebensmittelhandels ein”. Es dürfe nicht „so wie in Deutschland passieren, dass der Handel zum Eigentümer der zurückgenommenen Pfandflaschen wird und somit mit dem Einwegpfand Millionenprofite machen kann”, warnt Hochreiter – ansonsten wäre jede Handelskette ein Monopolist, von dem die Abfüller, die das Recyclat ja wiedereinsetzen sollen, „dann teuer abkaufen müssten”.
Ein System müsse im alleinigen Einfluss der Abfüller sein – wer Dienstleistungen für das System erbringen wolle, habe in dem System als Teilnehmer nichts verloren. Dass der Handel für die Rücknahme in den Geschäften eine Kostenabgeltung bekommen soll, sei ohnedies klar.

Und der Konsument?

Eines scheint angesichts der vielen ungeklärten Fragen – allen voran jene nach der Zukunft der Nahversorger, denen ein möglicherweise entscheidender Wettbewerbsnachteil zu entstehen droht – und kritischen Stimmen aus verschiedenen Richtungen klar: Dass die Debatte um das Einwegpfand mit ihrer mutmaßlich heutigen Fixierung eher kein Ende finden und sich vom primären Branchengespenst zum öffentlich diskutierten Politikum erheben wird.

Umfragen der letzten Jahre attestieren dem Einwegpfand eine hohe Zustimmung von teilweise über 80%. Ob diese unverbindliche Zustimmung auch mit einer genuinen Bereitschaft zu Mehraufwand beim Recyclen einhergeht, darf durchaus infrage gestellt werden – immerhin liegt die Sammelquote österreichweit bei gerade einmal 70%, in Wien bei nur 34%.
Gewessler, der es gelungen ist, in zwölf Monaten so manch mächtigen Gegner auf ihre Seite zu ziehen, hat es jedenfalls eilig: „Mein wichtigstes Ziel ist, dass wir rasch zu einer Lösung kommen.” Das sei die Aufgabe von Politik und Wirtschaft. „Und genau das erwarten die Menschen in Österreich von uns.”

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