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Redaktion 03.04.2020

Ein starker Jahrgang für Antiseptika

Wo bisher Gin und Whiskey gebrannt wurden, wird neuerdings auf die Herstellung von Desinfektionsmitteln umgerüstet.

••• Von Paul Hafner

Desinfektionsmittel sind gefragt. Während unverschämte Angebote von Privatpersonen, die „Anti-Coronavirus-Sets” zu Wucherpreisen auf eBay, willhaben und Co. zum Verkauf anbieten, schon vor Wochen Schlagzeilen gemacht haben, stellen Engpässe vor allem im medizinischen Bereich ein großes Problem dar.

Ob aus wirtschaftlichem Kalkül, als Solidaritätsmaßnahme oder einer Mischung aus beidem: Viele Unternehmen, die bisher nichts oder nicht viel mit Desinfektionsmitteln am Hut hatten, stellen nun ihre Pro-duktion teilweise oder sogar ganz um – und produzieren Antiseptika.
Früh die Initiative ergriff etwa der deutsche Konsumgüterkonzern Beiersdorf (u.a. Nivea, Hansaplast, Eucerin), der rasch die technischen Voraussetzungen für die Produktion von Desinfektionsmitteln an seinen Produktionsstandorten schuf und kürzlich mit der Serienproduktion startete; in einem ersten Schritt wurden 500 t Handdesinfektionsmittel für zentrale öffentliche Einrichtungen in Deutschland und Spanien sowie für Einsatzkräfte zur Verfügung gestellt.
Der Chemiekonzern BASF zog nach und begann in den vergangenen Tagen ebenfalls mit dem Probebetrieb der Herstellung von Antiseptika; weil nicht nur die Produktion ein Problem darstellt, sondern es auch bei der Zulieferung der Rohstoffe zu Engpässen kommt, beliefert wiederum der heimische Zuckerkonzern Agrana per Ausnahmegenehmigung des Umweltministeriums die Industrie mit Bioethanol, das eigentlich für Treibstoffe gedacht ist.

Destillerien erfinderisch

Nicht nur große Konzerne machen sich den erhöhten Bedarf an den Entkeimungsmitteln zunutze, auch Brennereien satteln zunehmend um.

„Unsere Maschinen laufen seit Kurzem auch für die Produktion von Desinfektionsmitteln. So können wir die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter sichern und gleichzeitig die Engpässe bei der Desinfektion reduzieren”, erklärt etwa Florian Mückstein von der Wiener Destillerie Gautier-Mückstein. Die Abfüllung erfolgt in Großgebinde wie Kanister, die an verschiedene Unternehmen, Lebensmittelproduzenten sowie Apotheken geliefert werden.
„Unser Fokus liegt im Moment stark auf der Herstellung des Handdesinfektionsmittels, um unseren Teil an der Gesellschaft beizutragen. Gleichzeitig laufen noch weitere Maschinen für unser Hauptgeschäft – unsere Spirituosen und Liköre”, so Mückstein weiter. Wie lange die Liefersicherheit aufrechterhalten werden könne, sei aber ungewiss; dies hänge von der tagesabhängigen Lage und gegebenenfalls neuen Maßnahmen der Regierung ab.

Antiseptika aus Altbrot

Auch in der Waldviertler Whisky-Destillerie Haider hat man umgestellt – und arbeitet nun österreichweit mit Apotheken zusammen, die mit hochprozentigem Ethanol/Ansatzkorn beliefert werden.

„Nach dem ersten Schockmoment versuchen wir, optimistisch in die Zukunft zu blicken”, so Jasmin Haider-Stadler, CEO und Destillateurin. „Wir freuen uns, dass wir einen sinnvollen Beitrag mit der Lieferung von Alkohol für die Herstellung von Desinfektionsmitteln leisten können. Da sollte die Gewinn­optimierung nicht im Vordergrund stehen.”
Die Bäckerei Therese Mölk, ein Produktionsbetrieb des Tiroler Händlers MPreis, brennt in seiner erst letzten Herbst eröffneten 600 l-Brennanlage für gewöhnlich nachhaltigen Alkohol aus Altbrot und verarbeitet diesen zu Gin, Likör und Ansatzschnaps. Seit Kurzem werden nun aus dem hochprozentigen Brotalkohol stattdessen zweierlei Desinfektionsmittel – für Flächen sowie für die Hände –hergestellt.
In einem ersten Schritt wurden 5.000 l für den Eigenbedarf produziert, wofür 4.000 l Reinalkohol zum Einsatz kam, der wiederum aus 25 t Altbrot gewonnen wird. Derzeit werden die MPreis-Filialen mit dem Mittel beliefert, um Mitarbeiter und Kunden zu schützen.

Obstler zum Desinfizieren

Das Geschäft mit Hochprozentigem hat auch Franz Kainer von der gleichnamigen Brennerei in Pöllau bei Hartberg neu entdeckt: Basis seiner Desinfektionsmittel – die ersten wurden bereits über seinen Online-Shop und per Hofverkauf bezogen – ist ein Obstbrand mit 72 Vol.-%.

Zwar sei man nach wie vor in der Vollproduktion, was Schnäpse, Liköre und Brände darstelle, das Hauptgeschäft – Schnapslieferungen in Skigebiete in ganz Österreich – sei durch das vorzeitige Ende der Skisaison dagegen ausgefallen.
Auch das Hartberger Naturkosmetikunternehmen Ringana stellt neuerdings Desinfektionsmittel für lokale Hilfskräfte und Organisationen wie Rotes Kreuz, Feuerwehr und Essen auf Rädern her; Geschäftssinn steckt nicht dahinter: Die Flaschen werden – Applaus! – gespendet.

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