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Profi-TalkNikolaus Hartig (Logistikverbund Mehrweg), Erich Jaquemar (Vetropack), Markus Kibgies (HB RTS), Philipp ­Bodzenta (Coca-Cola) und Oliver Jonke (Herausgeber medianet).

Redaktion 03.05.2024

Einweg am Scheideweg: Konsumenten am Zug

Mehrweg wird per Gesetz verbindlicher geregelt. Am Wunsch des Konsumenten kommt man dennoch nicht vorbei.

••• Von Oliver Jonke und Georg Sohler

Mit Anfang des Jahres 2024 ist der § 14b im Abfallwirtschaftsgesetz in Kraft getreten. Dieser regelt den Ausbau von Mehrwegsystemen für Getränkeverpackungen. Österreich hat hier in der EU eine Vorreiter-Rolle eingenommen. Allerdings sind wesentliche Punkte durch den Gesetzgeber nicht hinreichend geklärt worden, was wiederum zu Unsicherheit führt. Im Rahmen des „Logistik Verbunds Mehrweg” arbeiten aktuell Experten und Keyplayer aus der Wirtschaft daran, das Bestmögliche zu erreichen. Denn obwohl nach wie vor offen ist, wer die Einhaltung der Vorgaben kontrollieren soll, sind im Gesetz strenge Strafen bei Nichteinhaltung vorgesehen.

Vereinfacht regelt § 14b, dass im LEH über 400 m² sowie bei Onlineshops (die als eine Filiale gezählt werden) pro Geschäft angebotsmäßig bei Bier und Wasser 15% und bei Saft, alkoholfreien Getränken und Milch zehn Prozent Mehrwegquote gelten. Ausgenommen sind der Großhandel, Drogeriediskont, Tankstellen, DiY-Geschäfte sowie Brauereishops. Offen sind Fragen wie: Die genaue Definition eines Mehrwegartikels – zählt eine Flasche so viel wie ein Sixpack? Wie berechnet man die Mehrwegquote? Wer überwacht die Einhaltung? Welche Ausnahmen gibt es? Und überhaupt: Wie sollen so 25% Mehrwegquote über alle Getränkekategorien erreicht werden? Im hochkarätig besetzten medianet.tv Round Table diskutieren darüber mit medianet-Herausgeber Oliver Jonke die Insider Nikolaus Hartig (Consultant Logistikverbund Mehrweg bei GS1 Austria GmbH), Erich Jaquemar (Group Key Account Manager Vetropack Austria GmbH), Markus Kibgies (Commercial Director D-A-CH bei HB RTS) sowie Philipp Bodzenta (Senior Director PACS & Unternehmenssprecher Coca-Cola GmbH).

Österreich als Vorreiter

„Österreich ist das erste Land in der EU, das mit dem seit Jänner 2024 geltenden Abfallwirtschaftsgesetze dem Handel Mehrwegquoten vorschreibt”, streicht Hartig Positives hervor. Die eingangs gestellten Fragen bleiben deshalb offen, weil das Gesetz schon einmal nicht exakt regelt, was eine Mehrwegverpackung ist.

Analog zu den Anforderungen des österreichischen Umweltzeichens könne man davon ausgehen, dass eine derartige Verpackung zehn bis zwölf Mal verwendet werden müsse (Anm.: ein Umlauf bedeutet von der Produktion, Auslieferung an den Handel, Kauf durch den Konsumenten und den Weg zurück zum Hersteller).
Dass es die erwähnten Ausnahmen gibt, sei genauso unverständlich wie der Umstand, dass Saison- und Aktionsartikel nicht mitgezählt werden. Bodzenta ergänzt noch um die Gebindegröße: „Für die Gesamtberechnung zählen nur Mehrwegverpackungen ab 0,5 Liter. In die Gegenrichtung wird eine Mehrwegflasche, die kleiner als 0,5 Liter ist, positiv in die Quote und somit zum Mehrweganteil mitberechnet.” In den Verhandlungen sei zudem im Vordergrund gestanden, dass die Quote nicht nur erfüllbar sein soll, sondern auch durch den Endkonsumenten registriert werden kann: „Die Intention des Gesetzgebers war es, Mehrweg am Regal ersichtlich zu machen.” Das betreffe vor allem den Diskont, der bislang keine Mehrweggebinde hatte. Weil das Einwegpfand in der Höhe von 25 ct ab 2025 gilt, sei es deshalb wichtig gewesen, zuerst die Quote zu haben. Für den „klassischen” LEH wäre das weniger problematisch gewesen, da dieser schon lange auf Leergutrücknahme setze. Positiv sei bei allen Unschärfen, dass jene, die bislang über den Verkauf hinaus nichts mit den Gebinden zu tun haben, nun zur Rücknahme und mehr Nachhaltigkeit verpflichtet wären.

Selbstüberwachung

Die Quote kann per Gesetz, angebots- oder verkaufsseitig, erfüllt werden. Dass eine Palette mit 2.200 Flaschen Bier so viel zählt wie eine Flasche, und der Umstand, dass die Unternehmen die Quote pro Filiale bis März 2025 selbstständig an die Behörde melden soll, ist über rechtliche Unschärfen hinaus verwunderlich. „Der Einzige, der das wissen kann, ist der LEH selber, weil ein einmaliger Besuch des Verkaufsraums und das Durchzählen der Artikel eine Momentaufnahme darstellen würde und nicht den Jahresdurchschnitt repräsentiert”, so Hartig. Bei Nichterfüllung gibt es zwar empfindliche, umsatzabhängige Strafen, aber die zu Überwachenden kontrollieren sich aktuell selbst.

Ein Blick zurück: Bis in die 80er/90er habe es als Getränke vor allem Glas und Dose gegeben. Mit der PET-Flasche fanden sich mehr Einweggebinde in den Supermarktregalen. Vor rund zehn Jahren wurden aber Stimmen laut, die den Werkstoff kritisieren, „obwohl PET sehr umweltfreundlich ist”, wie Bodzenta anführt. Summa summarum kann der Handel keine Mehrweggebinde verkaufen, wenn diese nicht hergestellt werden. Eines dieser Unternehmen ist Vetropack. „Für ein Unternehmen wie Vetropack ist das ein zweischneidiges Schwert”, erklärt Erich Jaquemar. So musste die 0,33 l-Bierflasche ja erst entwickelt werden, bei Softdrinks gab es lange kaum eine Mehrwegmöglichkeit: „Glas kann zu 100 Prozent wiederverwendet werden, ohne Qualitätsverlust. Das Füllgut interagiert nicht mit dem Glas. Bei Mehrweg kann man in eine 1 Liter-Glasflasche alles nacheinander einfüllen: Orangensaft, Coca-Cola oder Mineralwasser.” Mit dem System „Echovai” gibt es von Vetropack eine Mehrwegglasflasche, die leichter und gleichzeitig fester ist. Jaquemar registriert zudem, dass es wohl für Eigenmarken eine Standardflasche geben könnte, kleinere Marken könnten auf eine Poolflasche zurückgreifen. Deutschland habe 250 verschiedene Bier-Mehrwegflaschen, das hält die Runde für übertrieben. Hartig empfiehlt ein bis zwei Standardflaschen pro Segment. Schon das sei ein Durchbruch. Notwendig bei standardisierten Flaschen, die von mehreren Anbietern verwendet werden, ist zudem ein gemanagter Pool, der ausgleicht, wie viele Flaschen die jeweilige Firma während des Jahres zugekauft bzw. vernichtet hat.

Wie damit am POS umgehen?

Aber ist Mehrweg immer besser, bei allem, was so im Supermarkt zu finden ist oder so präsentiert wird, wie es die Hersteller gerne hätten? Kibgies erklärt anhand von Displays: „Das kommt drauf an. Es gibt über drei Millionen Einwegdisplays im Handel. Das ergibt bei 6 Kilo Durchschnittsgewicht 18.000 Tonnen.” Im Mehrweg-Display würde eine Transformation bis zu 80% Kartongewicht bzw. gut 65% CO2eq Emissionen eingespart werden: „Aber ich bin ein Verfechter dieser POS-Lösung, um die Marke zu präsentieren.” Er präferiere eine Hybridlösung, weswegen es ein klares Anforderungsprofil gebe, um der Marke auch den entsprechenden Raum zu geben.

Die Displays gibt es vor allem im Süßwarenbereich, aber auch bei schwereren Produkten wie zum Beispiel Getränken. Möglich sind bis zu 38 kg pro Traylage bzw. 200 kg pro Display wären transportierbar. Das müsse auch logistisch durchführbar sein. Marketingtechnisch umsetzbar sind laut Hartig standardisierte Kartonagen für Mehrwegdisplays. Auch bei diesem Thema brauche es Innovation.

Der Kunde bestimmt

Am Ende des Tages müssen Marken all diese Vorgaben berücksichtigen, umsetzen und an die Endkonsumenten bringen. „Consumer demand drives everything – letztlich können wir keine Produkte auf den Markt bringen bzw. dort belassen, die nicht nachgefragt werden”, meint Bodzenta dazu. Die großen Trends zu Nachhaltigkeit und Mehrweg hat Coca-Cola überprüft, das Ergebnis ist, dass dies auch angenommen wird. Der Markt funktioniere, aber er sei skeptisch, etwas zu oktroyieren: „Ob wir den Konsumenten zu etwas zwingen können? Als Unternehmen haben wir uns selbst verpflichtet – als einzig großer Anbieter –, eine Mehrwegquote zu erfüllen.” Das Commitment von 25% Mehrweg bis zum Ende des Jahrzehnts gilt weltweit und er hält sie auch für möglich: „Aber es gibt noch andere Mehrweglösungen als Glas – der Konsument möchte sich ja auch selber entscheiden können.” Bei besonderen Anlässen sei für ihn ein Softdrink aus einer schönen Glasflasche attraktiver als ein PET-Gebinde.

Hartig stimmt mit einer bewussten Übertreibung zu: „Ich kann ja niemandem am Checkout die Flasche wegnehmen, weil man heute eine Quote nicht erfüllt hat.” Mehrwegsysteme, auch hier ist man sich einig, sind nur dann erfolgreich, wenn sie für den Konsumenten bequem, kostengünstig sind sowie von den Marktteilnehmern forciert werden. Jaquemar erklärt anhand der 0,33 l-Flasche: „Wir haben mit allen Stakeholdern gesprochen und eine Flasche gefunden, die ziemlich allen einen Vorteil bringt. Wir sparen 20 Prozent Logistik ein und mit den Sekundärverpackungen bieten wir ein System, das bequemer ist und für die Kunden annehmbar ist.” Kibgies ergänzt: „Die Menschen schauen schon auch, was die Marken zusätzlich beim Thema Nachhaltigkeit machen. Auch Zweitplatzierungen sollten beispielsweise Mehrweg sein, nicht nur die Flasche, sondern auch der Aufsteller.” Packaging, erinnert Bodzenta, spiele eben auch im Marketing eine große Rolle.

Quadratur des Kreises

Für Hartig ist klar, dass Reuse in der von Europa anerkannten Abfallpyramide vor Recycle gereiht ist: Mehrweg ist daher besser. Bodzenta wünscht sich, dass der Konsument im Mittelpunkt steht und es eine Technologie-offenheit gibt, weil der ökologische Impact bei allen Gebinden mitbedacht werden sollte. Kibgies wiederum erhofft von Industrie und Handel mehr Bereitschaft, neu zu denken und Dinge auszuprobieren. Jaquemar resümiert, dass es Systeme braucht, die einerseits Marken vor allem bei der Präsentation viel Freiheit lassen, andererseits auch kleineren Herstellern ermöglicht, eine standardisierte Lösung zu verwenden. Dabei solle rational vorgegangen werden: „Mehrweg darf nicht Religion werden.”

Was wünscht sich die Runde nun hinsichtlich § 14b? Die Gesetzgebung mache es nicht einfach, aber die Umwelt braucht es, so weit, so klar. Eine Lösung, die alle Bedenken aufklärt und die diversen Anforderungen aller Stakeholder erfüllt, sei noch nicht gefunden. Hartig meint abschließend, dass das der Gesetzgeber machen könnte. Dafür müssten sich die entsprechenden Gremien einig werden …

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