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Rudolf Trettenbrein 16.02.2018

Regionalität zwischen Vertrauen und Misstrauen

Wie Händler von ehrlicher Regionalität profitieren können, berichtet unser Gastautor Rudolf Trettenbrein.

Gastbeitrag••• Von Rudolf Trettenbrein

Den Trend zu regionalen Lebensmitteln sollten Einzelhändler nutzen, denn mit der erhöhten Zahlungsbereitschaft der Kunden für lokale Erzeugnisse lassen sich die Margen steigern. Damit Regionalität für den Verbraucher authentisch bleibt und langfristig Erfolg verspricht, gibt es einige wichtige Regeln für den Einkauf und das Category Management. Lebensmittelhändler nutzten in der Vergangenheit die erhöhte Zahlungsbereitschaft der Kunden für Bio-Produkte, um ihre Margen zu verbessern. Mittlerweile ist der Bedarf an Bio-Produkten jedoch so groß, dass auch bei deren Herstellung konventionelle Methoden wie Massenproduktion und Ernteoptimierung zum Einsatz kommen.

Mit Einzug des Bio-Siegels in große Supermarktketten und Discounter häuften sich die Skandale rund um die klassischen „Bio-Versprechen” Qualität, Umweltbewusstsein und Tierwohl – unter anderem Bio-Eier und -Fleisch aus Massentierhaltung oder mit Keimen kontaminiertes Gemüse. Entsprechend wenig überrascht der Verlust des Kundenvertrauens in das zunehmend unzuverlässige Bio-Siegel.

Qualitätskriterium: regional

Von diesem Vertrauensverlust profitieren in erster Linie regionale Lebensmittelproduzenten, zu deren Produkten der Verbraucher nun greift. Dem Ernährungsreport 2017 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zufolge achten drei Viertel der deutschen Konsumenten bei ihrer Kaufentscheidung auf eine regionale Herkunft der Ware. Eine aktuelle Studie der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse ergab zudem, dass eine regionale Herkunft für jeden zweiten Konsumenten ein wichtiges Qualitätskriterium darstellt, wohingegen das Bio-Siegel nur noch für 19% maßgeblich ist. Warum die Wertschätzung regionaler Lebensmittel in den vergangenen Jahren derart zugenommen hat? Regionale Produkte gelten als frischer und aufgrund kurzer Transportwege als umweltfreundlicher. Durch den Kauf regionaler Produkte identifiziert sich der Kunde mit seiner Region und hat zudem das Gefühl, die regionale Wirtschaft zu unterstützen.

Regionale Dachmarken

„Unsere Heimat”, „Rewe Regional”, „Ein gutes Stück Heimat” – Marken, mit denen sich der Kunde in TV-Offensiven und Außenwerbung verstärkt konfrontiert sieht. Handelsketten wie Edeka, Rewe und Lidl haben begonnen, den regionalen Trend für sich zu nutzen, indem sie regionale Dachmarken etablieren. Denn nicht nur aus Marketing-Sicht ist Regionalität für den Handel attraktiv. Kurze Transportwege reduzieren die Lieferzeiten und Logistikkosten. Aktuell werden rund 60% aller regionalen Lebensmittel im Supermarkt erworben, die Discounter versuchen nun auf diesen Zug aufzuspringen. Doch Regionalität suggeriert von Natur aus eine gewisse Exklusivität und lokal begrenzte Verfügbarkeit. Diesem Konzept widersprechen standardisierte, landesweit verfügbare Regionalmarken. Denn um diese zu etablieren, müssen Herstellungsverfahren und Verpackungen vereinheitlicht sowie Liefermengen der lokalen Lieferanten maßgeblich erhöht werden. Ein derartiges Vorgehen entspricht nicht der kundenseitigen Vorstellung von glaubwürdiger Regionalität. Laut dem GFK Consumer Index 2017 gelten für 41% der Konsumenten Produkte dann als regional, wenn sie aus einem Umkreis von unter 100 Kilometern stammen. 23% betrachten sogar einen Umkreis von höchstens 50 Kilometern als Kriterium für Regionalität. Entsprechend sind landesweit erhältliche, regionale Dachmarken von Haus aus unglaubwürdig und somit nicht zielführend.

Echte regionale Sortimente im Lebensmittelhandel bauen dagegen Vertrauen beim Kunden auf und binden ihn langfristig. In Zeiten, in denen jeder sechste Deutsche seine Lebensmittel online bezieht, bietet sich darüber hinaus eine Chance zur Differenzierung gegenüber großen Online-Händlern, die der stationäre Einzelhandel adäquat nutzen sollte. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen können den Regionalitäts-Trend für sich nutzen und sich neu positionieren. Authentische Regionalität beruht auf exklusiven Angeboten nahegelegener Lieferanten wie Bauern, Bäcker, Metzger oder Obsthöfe. Ein solch lokales Netzwerk lässt sich zu einem wirkungsvollen Alleinstellungsmerkmal ausbauen, das Discounter und Großhändler kaum bieten können.

Lokale Strukturen nötig

Doch eine glaubwürdige Umsetzung des Verbrauchertrends zu regionalen Produkten im Lebensmittelhandel kann nur erfolgen, wenn der Handel dafür intern die richtigen Voraussetzungen schafft. Für eine optimale Organisation dieser kleinräumigen Strukturen und Vielfalt regionaler Lieferanten empfiehlt es sich, die Beschaffung regionaler Lebensmittel nicht über den zentralen Einkauf zu regeln. Stattdessen sollten regionale Einkaufsabteilungen oder eigene Regionalbeauftragte für das Lieferantenmanagement zuständig sein. Anstatt die Lieferanten in standardisierte Abläufe zu zwingen oder deutlich erhöhte Liefermengen zu fordern, gilt es, eine für alle beteiligten Parteien wirtschaftliche Umsetzung zu erreichen. Hierfür sind Kooperationen über die gesamte Lieferkette hinweg gefragt – von der Landwirtschaft bis zum Einzelhandel. Daher muss der Auf- und Ausbau eines regionalen Category Managements strategisch erfolgen. Echte Regionalität lebt vom Mut zum leeren Regal, also der begrenzten Verfügbarkeit der Waren. Im Gegenzug nimmt der Kunde höhere Preise für eben jene Exklusivität in Kauf – eine Chance für Einzelhändler, ihre Margen zu erhöhen. Die Preise für regionale Produkte sollten in der Regel maximal zehn Prozent über normalen Produkten und nicht über den Preisen für Bio-Produkte liegen; hier ist eine differenzierte Preis-Strategie gefragt.

Entscheidend tragen auch originale, regional geprägte Verpackungen zur Glaubwürdigkeit des Produkts bei.

Fazit

Eine glaubhafte und damit nachhaltige Umsetzung eines regionalen Sortiments kann nur gelingen, wenn Einzelhändler in einem bestimmten Radius lokale Produkte anbieten und ihren Kunden deren Vorteile kommunizieren. Supermärkte sind hier aufgrund ihrer Beschaffungsstrukturen klar im Vorteil. Doch auch Handelsketten können den Trend für sich nutzen, wenn es ihnen gelingt, sich auf „echte” Regionalität einzulassen. Der Aufwand kleinteiliger Beschaffungsvorgänge und das Aufsetzen neuer Preis-Verhandlungsstrategien rechnet sich schließlich in den gesteigerten Margen sowie der Möglichkeit, sich nachhaltig gegenüber Discountern und dem stetig wachsenden Online-Handel zu positionieren.

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