••• Von Maren Häußermann
Am 24. März landet ein Flugzeug in Zaragossa, Spanien. Es enthält 1,4 Mio. Atemschutzmasken und 74.650 Schutzanzüge. Die Maschine kommt aus Zhengzhou in China. Die Pakete sind beschriftet mit den Worten „Aunque los océanos nos separen, nos une la misma luna” – Die Ozeane mögen uns trennen, aber der Mond vereint uns.
Die 94 Tonnen Ladung kommen aus den Fabriken des spanischen Textilherstellers Inditex. Zara, Bershka, Pull&Bear, Massimo Dutti und weitere Kleidungsmarken gehören zum Portfolio des multinationalen Unternehmens. Der Gründer, Amancio Ortega, hat 300.000 Atemschutzmasken an das spanische Gesundheitsministerium gespendet und wird seit der Bereitstellung seines Logistiknetzes von manchen als Held gefeiert.
Andere kritisieren, dass der private Spender unter Verdacht steht, durch seine transnationalen Tätigkeiten Steuern hinterzogen zu haben. Laut einem Bericht der Grünen im Europaparlament handelt es sich dabei um 585 Mio. €. Das Unternehmen weist diese Anschuldigung zurück. Inditex hat mehr als 35 Mio. Kleidungsstücke zum Schutz gegen das Virus bereitgestellt – Material im Wert von 457 Mio. €.
Unternehmer springen ein
Auch in anderen Ländern springen Unternehmen ein. Während Politik und Gesellschaft verzweifeln, räumen McDonald’s-Mitarbeiter die Regale bei Aldi ein, französische Parfümhersteller produzieren Desinfektionsmittel, deutsche Automobilzu-lieferer Beatmungsgeräte.
Hier in Österreich setzte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck Anfang April 500.000 Masken pro Tag als Produktionsziel an. Lenzing und Palmers gründen nun ein neues Unternehmen, die Hygiene Austria LP GmbH, die sich auf die Produktion der begehrten Ware für den heimischen und europäischen Markt konzentriert. Ziel sei es, in den kommenden Wochen die Kapazität auf über 25 Mio. Masken pro Monat auszuweiten.
Inditex als Retter in der Not
In Spanien wurde Inditex zum Retter in der Not. Der Konzern produziert zu 92% in Spanien und Portugal, Marokko, der Türkei, Indien, Bangladesch, Kambodscha, China, Pakistan, Vietnam, Argentinien und Brasilien. Auch das Coronavirus ist in diesen Ländern präsent. Am 15. Februar hatte China 1.500 Tote und über 67.000 Infizierte. Die heimische Produktion war im Jänner und Februar um 13,5 Prozent gesunken , und die rund 1.900 Fabriken, mit denen die Zulieferer von Inditex zusammenarbeiten, waren lahmgelegt. Der Konzern gab bekannt, einen Teil seiner Produktion nach Marokko und in die Türkei zu verlagern, wo ihm eine ähnliche Anzahl Fabriken zur Verfügung steht.
Unterversorgung verhindern
Der Konkurrent Mango hat in den letzten Jahren ebenfalls seine Produktionsstandorte diversifiziert und erwägt eine Produktionsverlagerung, um der Krise ein Stück weit entgegenzuwirken. Doch auch die Türkei weist Ende April über 120.000 bestätigte Fälle von Infektionen und über 3.000 Tote, Marokko meldet zum selben Zeitpunkt 4.500 Fälle und über 150 Tote.
Das katalanische Textilunternehmen Desigual stellt die Hälfte seiner Produkte in chinesischen Fabriken her. Um eine Unterversorgung zu verhindern, war eine erste Überlegung der schnellere, aber teurere Transport der Produkte per Flugzeug statt per Schiff.
Doch mit den Flugeinschränkungen und dem ausfallenden Betrieb von Passagierflügen fällt Frachtraum weg und mit den Grenzschließungen zusätzlich die Landegenehmigungen für Frachtflüge. Am Zoll haben aktuell Lieferungen mit sanitären Gütern Priorität. Es scheint, die globale Logistik der Multinationalen Unternehmen hat in Covid-19 einen Gegner auf Augenhöhe gefunden.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Modebranche stark verändert. Gab es früher Kollektionen für Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter, so werden in der Zwischenzeit alle paar Wochen neue Produkte auf den Markt gebracht. Eduardo Zamácola von der Assoziation der spanischen Textilunternehmen spricht von bis zu 30 Variationen pro Jahr – spätestens alle drei Wochen gibt es Neuware. Die Textilbranche macht mittlerweile 2,8 Prozent des spanischen BIP aus.
Kurzfristige Trends
Es gehört zu Inditex’ Erfolgsrezept, über 50% der Produkte auf der Iberischen Halbinsel, in Nordafrika und der Türkei herzustellen. Dabei handelt es sich vor allem um die kurzfristigen Trends, die das Unternehmen in geringer Stückzahl produziert und durch die Nähe schneller auf den Markt bringen kann, als die Konkurrenz. Gleichzeitig kann es seine Ladenhüter schneller aus dem Sortiment nehmen. Die nahe Produktion macht flexibel.
Zu Zeiten des Coronavirus und der damit einhergehenden Handelsbeschränkungen haben die nahen Produktionsstandorte einen weiteren Vorteil: Je näher die Produktion am Zielland ist, desto weniger Grenzen muss die Ware überwinden und desto sicherer ist die Lieferung.
Schon vor dem Ausbruch der Pandemie war die Verlagerung der Produktion ein Thema in der Branche. Das liegt zum einen daran, dass die Nachfrage unvorhersehbarer geworden ist und eine schnelle Reaktionsfähigkeit immer essenzieller wird.
Gleichzeitig werden klima- und geopolitische Bedenken wichtiger. Wegen der häufigen Trendwechsel werden die ressourcenintensiv hergestellten Kleidungsstücke verfrüht ausrangiert. Zamácola sagt, dass die Branche die am meisten kontaminierende ist, nach der Erdöl-Förderung. Deshalb steht Fast Fashion in der Kritik.
Der Experte geht davon aus, dass die Menschen in Zukunft weniger und bewusster kaufen werden, weil das Coronavirus ihnen die Konsequenzen ihrer Ansprüche veranschaulicht. Die Pandemie zeigt die Anfälligkeit, aber auch das Potenzial der internationalen Handelsketten. Deshalb sagt Zamácola auch, dass die Bewegung der Krankheit eine Bestätigung für die unverzichtbare Produktion an verschiedenen Standorten auf der ganzen Welt ist.
Aus für Schlussverkauf?
Die gegenwärtige Situation wird einen großen Einfluss auf die Standortentscheidungen und generelle Entwicklung der Textilbranche haben. Inditex hat bereits angekündigt, die Dividende von 2019 nicht an die Aktionäre auszuschütten und das Geld stattdessen in Rücklagen zu investieren. Weltweit hat der Konzern 170.000 Angestellte.
Die Hälfte der 7.649 Läden waren und sind teils weiterhin von den Schließungen betroffen. Das Unternehmen ist noch in der Lage, die Gehälter zu bezahlen, und musste auch im April nicht auf Kurzarbeit umsteigen. Nun plant Inditex die Wiedereröffnung der Läden – allerdings unter strengen Auflagen.
Normalerweise beginnt der Sommerschlussverkauf am 21. Juni. Laut Zamácola gibt es nun zwei Theorien, wie die Textilbranche damit umgehen wird. Eine ist, dass man die Sommerkollektion verlängern wird, da es auch im September noch warm genug für die angebotenen Kleidungsstücke sein wird. Das würde aber die Absprache und Einigung aller Marken erfordern. Die andere, für den Experten wahrscheinlichere Option, ist, dass alle Marken sofort die Preise reduzieren werden, um Umsatz zu machen.
Sicher ist, dass man mit einem zurückgegangenen Konsum rechnen und Bestellungen für die aktuelle Produktion der Winterkollektion streichen muss. Da die Produktion in Südostasien nur bei großen Mengen sinnvoll ist, könnte sich auch das auf die Auswahl der Produktionsstätten auswirken.
Die Wirtschaft passt sich an die geänderte Nachfrage an und zeigt dabei nicht nur ihr Potenzial, sondern auch ihre Bedeutung.
Ob und inwieweit sich die Produktion nun also tatsächlich weiter nach Europa verlagern wird, muss in den kommenden Monaten analysiert werden. Sicher ist, dass die Entscheidung erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaften und Gesellschaften der betroffenen Produktionsstandorte haben wird.