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© Robert Harson

Redaktion 08.03.2024

Zwischen Chance und Frust: Frauen im Handel

Zum Weltfrauentag die medianet-Bestandsaufnahme: Wie ist es um die Rolle der Frau im LEH bestellt?

••• Von Georg Sohler

Fast drei von vier Beschäftigten im Einzelhandel sind Frauen. Das wird vor allem beim Einkauf im Lebensmitteleinzelhandel augenscheinlich. Die Führungsebene spiegelt dieses Bild, das Konsumenten im Geschäft bekommen, allerdings nicht wider.

Sieht man sich etwa die Führungsebenen der vier großen Player am Lebensmittelmarkt an, dann zeigt sich: Der Frauenanteil in der obersten Etage beträgt gerade einmal rund zehn Prozent.
Wie kann dieses Ungleichgewicht bekämpft werden? Ein medianet-Rundruf in der LEH-Branche ergibt, dass diese Situation schon im Wandel ist.

Es tut sich etwas

Frauen dabei zu unterstützen, strukturelle Hürden zu überwinden, ist den Gewerkschaften ein besonders wichtiges Anliegen, gerade in Branchen, in denen Frauen die Mehrzahl der Arbeitnehmer ausmachen und vor allem, wenn es um den Aufstieg im Betrieb in eine Führungsposition geht. Diesen Standpunkt legt Julia Ilger, GPA-Bundesfrauensekretärin dar. Nur wenn Frauen auch in Positionen, die Entscheidungskompetenzen haben, repräsentiert sind, könne dies gelingen. Je besser die Rahmenbedingungen sind, um Frauen in Teilzeit die Möglichkeit zu bieten, Führungsverantwortung zu übernehmen, umso mehr von ihnen würden sich für diesen Weg begeistern lassen: „Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitverkürzung spielen hier eine besondere Rolle, für die wir als Gewerkschaften in allen unseren Branchen kämpfen.”

71% der Beschäftigten im Einzelhandel sind Frauen, in der Führungsebene sind sie jedoch unterrepräsentiert, das bestätigt auch Handelsverbandsgeschäftsführer Rainer Will. Allerdings: „Im direkten Vergleich mit der Industrie liegt der Frauenanteil in den Geschäftsführungen im Handel bereits fast doppelt so hoch.”
In den vergangenen Jahren habe sich beim Thema Diversity in der Branche viel getan: „Unternehmen suchen intensiv nach weiblichen Führungskräften und bilden auch weibliche Nachwuchskräfte gezielt in diese Richtung aus. Immer mehr Händler unterstützen auch gezielt Frauen mit Kindern.” Besonders im mittleren Management sei hierbei schon eine starke Veränderung zu bemerken, „im Top-Management gibt es weiterhin Nachholbedarf”.

Selbsteinschätzungen

Und wie schätzen die Unternehmen sich selbst ein? Sandra Edelmann, Diversity & Inclusion bei Rewe, registriert sehr ähnliche Zahlen, zeigt sich aber stolz, „dass über alle Handelsfirmen und Führungsebenen hinweg auch rund 50 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt sind. Trotzdem bemerken wir, dass der Frauenanteil sinkt, je höher die Führungsebene ist”. Ein Attest, das auch Nicole Berk-mann, Pressesprecherin von Spar, bestätigt: „Wir haben nicht nur einen hohen Frauenanteil, es gibt auch mehr weibliche Führungskräfte. Nur in der obersten Ebene – dem Vorstand – haben wir derzeit noch nur Männer.”

Diesem Thema muss man sich aktiv widmen – wie es beispielsweise auch Diskonter Hofer macht. Bettina Hauser, Director HR S/E, erklärt: „Als zertifizierter familienfreundlicher Betrieb stellt Hofer die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Mittelpunkt und trägt so wesentlich zu einer Steigerung des Frauenanteils im Management bei. Im Rahmen von jährlichen Mitarbeitergesprächen und dank strukturiertem Karenzmanagement setzen wir eine Vielzahl an Maßnahmen, um Frauen den Weg zur Führungskraft aktiv zu ebnen.” Hofer verzeichnet im gesamten Unternehmen einen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil von 77%; rund 63% davon sind in Führungspositionen tätig und übernehmen als Filialleiterinnen, Managerinnen, Regionalverkaufsleiterinnen oder in anderen leitenden Rollen Managementaufgaben unterschiedlichster Art.
„Auch wir wollen den Frauenanteil in Führungspositionen kontinuierlich erhöhen”, hält Natalie Flatz, Geschäftsleiterin Personal bei Lidl Österreich, fest. Derzeit liege der Prozentsatz weiblicher Führungskräfte bei über 50%, „zusätzlich haben wir einen umfangreichen Maßnahmenplan für die Gleichstellung aller Geschlechter erarbeitet und bereits viele Verbesserungen umgesetzt.” Dazu zählen beispielsweise jährliche Berechnungen des Gender Pay Gap, gleiche Bezahlung für gleiche Tätigkeiten, Führungskräfteschulungen zum Thema Antidiskriminierung oder Monitorings des Frauenanteils.
Christof Kastner sieht eine Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben als in der DNA der Kastner Group verankert, denn „zusätzliche Aufgaben im Privatleben werden nach wie vor von Frauen getätigt, deswegen ist dieser Faktor besonders für Mitarbeiterinnen ein wichtiger Punkt, um sich im Job gut entfalten zu können”. Jobsharing, Führung in Teilzeit, Weiterbildungs- und Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten während der Karenz sind nur ein Auszug der Maßnahmen, die das Unternehmen setzt. Eben weil Lebensphasenorientierung und Familienfreundlichkeit eine wesentliche Rolle dabei spiele, Frauen mehr und mehr in verantwortungsvolle Führungs-, aber auch Expertenrollen entwickeln zu können. Über ein Drittel der Führungskräfte ist bereits weiblich, und die Tendenz steigt. Erst zuletzt wurden zwei Abholmarktleitungspositionen durch zwei Frauen neu besetzt. Auch die Verkaufsleitung aller acht Abholmärkte liegt in Frauenhand.

Das System bedenken

Vieles hat systemische Ursachen. So sind Rollenbilder nach wie vor sehr traditionell, die Kinderbetreuung in vielen Teilen des Landes – freundlich ausgedrückt – ausbaufähig. Der (Lebensmittel-)Einzelhandel bietet flexible Abeitszeiten, die Teilzeitqupote ist hoch. „Gerade wenn es um die Vereinbarkeit von Care-Work und bezahlter Arbeit geht, müssen die Aspekte Arbeitszeit, Einkommen und gesellschaftspolitische Maßnahmen gemeinsam betrachtet werden”, so Ilger. Die Gewerkschafterin zitiert die Zeitverwendungsstudie 2021/22 der Statistik Austria, die zeigt, dass selbst bei gleichem Einkommen beider Partner in einem Haushalt Frauen immer noch über 60 bis 70% der unbezahlten Carearbeit leisten, abhängig davon, ob auch Kinder zu betreuen sind. Das Mindestgehalt von 2.000 € brutto im Monat für den größten Teil der Handelsangestellten erachtet sie als wichtigen Schritt.

Im Gegensatz zu anderen Branchen mit Mehrschichtbetrieben und Wochenend- und Feiertagsdiensten ermöglicht der Handel auch dank flexibler Arbeitszeitmodelle, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bringen, meint Will: „Gegenüber vielen anderen Branchen bietet der Handel hier Vorteile. Uns zeichnen vor allem schnellere Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten aus, insbesondere für Frauen. Der Handel bietet viele flexible, variable Arbeitszeitmodelle an, um die Lebensrealitäten der Beschäftigten bestmöglich abzubilden, unsere Teilzeitquote liegt bei 49 Prozent.”

Unterstützung gefragt

Unternehmen sind allgemein schneller als der Gesetzgeber, wenn es darum geht, Maßnahmen umzusetzen. Die Kastner Group etwa hat eine Kooperation mit der Kinderbetreuungseinrichtung Apfelbäumchen: „Durch eine hochqualitative, kostenlose Kinderbetreuung ab einem Alter von einem Jahr unterstützen wir Frauen beim raschen Wiedereinstieg ins Berufsleben – wenn dies gewünscht ist.” Rewe beispielsweise arbeite ebenfalls ständig am Wiedereingliederungsmanagement und hat ein eigenes Karriereentwicklungsprogramm für Frauen. Neben flexiblen Arbeitszeitmodellen gibt es in Ferienzeiten ein umfangreiches Programm zur Kinderbetreuung oder man pilotiere auch Führungsmodelle in Teilzeit.

Hofer bietet beispielsweise auch in Bereichen wie der Logistik familienfreundliche Arbeitszeitenregelungen und ermöglicht so auch in Vollzeit arbeitenden Mitarbeitern eine ausgewogene Work-Life-Balance und eine Kombination von Arbeits- und Familienleben. Das Rundherum spielt eine große Rolle, weiß man auch bei Hofer.
Lidl verweist darauf, bereits seit 2016 über 100 Maßnahmen umgesetzt zu haben, die den Mitarbeitern bei der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben helfen würden: „Bis 2025 haben wir natürlich wieder einiges vor. Gemeinsam mit der Geschäftsleitung wurden über 40 Maßnahmen beschlossen. Dazu zählen unter anderem die Ausweitung der Flexibilisierungsangebote, wie z.B. Mobiles Arbeiten sowie ein umfassendes Karenzmanagement.”

In den Vordergrund

Das sind übrigens längst nicht alle Maßnahmen, die die Unternehmen verfolgen. Auch Sichtbarkeit ist wichtig. Bei Rewe etwa werden weibliche Vorbilder in der Führung und männliche Vorbilder in Karenz intern und extern kommuniziert, man achte auf eine ausgewogene (Bild-)Sprache: „Teil unserer Jobausschreibungen ist der Zusatz, dass wir verstärkt auf der Suche nach Frauen in Führungs- und technischen Positionen sind.”

Lidl engagiert sich als Teil des internationalen LEAD-Netzwerks auch über das eigene Unternehmen hinaus. Durch die Mitgliedschaft bekommen alle Mitarbeitenden bei Lidl zudem einen kostenfreien Zugang zur Website des Netzwerks; dort können sie sich unternehmensübergreifend zu den Themen Diversity und Chancengleichheit austauschen oder an verschiedenen Webinaren teilnehmen. Hofer verweist darauf, dass Chancengleichheit kein Trend, sei, „sondern bereits seit vielen Jahren gelebte Praxis ist”. Bereits 2008 hat die Lidl Stiftung die Deutsche Charta der Vielfalt unterzeichnet. Und zur Stärkung von Frauen in Unternehmen wurde die UN-Initiative „Women’s Empowerment Principles” unterschrieben.

Gesetzgeber mitnehmen

Die Unternehmen wären auch schlecht beraten, keine Maßnahmen zu setzen. Als Teil der Gesellschaft können sie diese mitformen. Von der Branchenvertretung und der Gewerkschaft gibt es – im Gegensatz zu den kontaktierten Unternehmen – aber auch Wünsche an die Politik. Die GPA fordert etwa mehr Lohntransparenz und Verbesserung der Einkommensberichte in Betrieben, eine Arbeitszeitverkürzung und gerechte Aufteilung von Carearbeit, einen Rechtsanspruch auf einen kostenlosen Kinderbildungsplatz ab dem 1. Geburtstag sowie mehr Männer in Papamonat, Karenz und Elternteilzeit.

Bei einer zentralen Forderung ist man sich auch mit dem Handelsverband einig – dem Rechtsanspruch auf einen kostenlosen, ganztägig geöffneten Kinderbildungsplatz ab dem ersten Lebensjahr. Will formuliert es so: „Hier ist zwar in den letzten Jahren schon einiges geschehen, die Anstrengungen müssen aber weiter verstärkt werden. Nur so kann eine echte Wahlfreiheit geschaffen werden.” Das helfe Unternehmen und Frauen, wie ­Ilger abschließend festhält. Denn die erwähnte Studie zeige, dass „gut zugängliche, mit Vollzeit zu vereinbarende Kinder­bildungseinrichtungen vor allem Frauen entlasten”. Wer weniger belastet ist, hat auch den Kopf freier, um sich der Karriere zu widmen. Es wird sich weisen, wie lange es dauert, bis all das dazu führt, dass es nicht mehr heißt: Frauen arbeiten, Männer ­führen.

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