„Vielleicht gibt es kein nächstes Großes“
© leadersnet.at/Daniel Mikkelsen
Skizziert den österreichischen TV-Markt: Walter Zinggl, Geschäftsführer der IP Österreich.
MARKETING & MEDIA Redaktion 10.09.2015

„Vielleicht gibt es kein nächstes Großes“

IP-Vermarktungschef Walter Zinggl über Formate der Zukunft, Mottos der Programmplanung, Rückenwind am TV-Markt und Gerüchte aus der Branche …

••• Von Jürgen Hofer

WIEN. Die Sender der RTL-Gruppe präsentierten am Donnerstag ihr neues TV-Programm. medianet sprach mit dem hiesigen Vermarkter IP Österreich.

medianet: RTL, Vox und Co präsentieren ihr Programm. Gibt es den einen großen Trend?
Walter Zinggl, Geschäftsführer IP Österreich: Es ist nach wie vor ein bisschen die Suche nach ‚the next big thing‘. Es hat sich keine neue Formatidee als der Zusehermagnet herauskristallisiert. Killerapplikationen kann man schwer tatsächlich planen, das macht sich der Markt selber.

medianet: Wie lässt sich das Programm denn skizzieren?
Zinggl: Worauf wir generell in der Mediengruppe RTL setzen, ist der steinigere und teurere Weg der Eigenproduktionen. Wir starten beispielsweise auf Vox, ein Sender, der de facto mit Serienware aus den USA groß geworden ist, die erste große fiktionale Eigenproduktion im Serienformat namens ‚Der Club der roten Bänder‘. Hier handelt es sich um einen Versuch, das Thema Krankenhaus aus Perspektive der Patienten zu beleuchten. Davon versprechen wir uns recht viel. Vox hat sich in den letzten Jahren immer stärker für Experimente geöffnet und das mehrheitlich mit Erfolg – von der ‚Shopping Queen‘ bis hin zu ‚Sing meinen Song‘. Das sind allesamt Dinge, bei denen Programmchefs anderer Sender im Vorhinein eher Bauchweh bekommen hätten. Wir haben gezeigt: Das kann mit dem notwendigen Gefühl und Gespür sowie Glück und Mut funktionieren. Dass Vox etwa mit seinen ­Megadokus großen Erfolg hat, spricht ja auch für die Ideen des Senders.
medianet: Das sind Dinge die man bei Vox machen kann, bei RTL aber eher nicht…
Zinggl: (lacht) Ja, solche Experimente macht man im deutschen Raum nicht beim Marktführer. Bei diesen Monsterdokus hat am Anfang auch keiner geglaubt, dass es klappt, eine monothematische Doku über mehrere Stunden zu bringen. Bei Vox geht das.

medianet: Was ist nun also die programmliche Zukunft des Fernsehens?
Zinggl: Die Antwort auf die Frage ‚Wie geht’s weiter?‘ ist damit immer noch nicht gelöst. Vielleicht gibt es kein nächstes Großes. Vielleicht müssen wir damit leben, dass in einem noch stärker fragmentierten Markt die Zeiten mit 30% Marktanteil in breiten Zielgruppen vorbei sind. Wir probieren zurzeit Spin-offs. Neuestes Beispiel: ‚Stepping Out‘, das ist im Grunde ‚Let’s Dance‘, aber mit Promipaaren und eben keinen Profis. Das ist zwar keine rasende Innovation, aber Spin­­- offs von Erfolgsformaten können frisches Interesse wecken, weil sie neue Facetten zeigen. In einer Zeit, die beim Konsumenten von Unsicherheit geprägt ist, verlangt dieser scheinbar auch nach einem gewissen Vertrauen und Beständigkeit.

medianet: Das heißt, das zentrale große Motto in der Programmplanung gibt es nicht?
Zinggl: Nein. Das haben wir vergangenes Jahr probiert mit ‚Rising Star‘ – mit dem wir, wie man in Wien sagt, richtig auf die Goschn gefallen sind. Das hat bei uns einfach nicht so funktioniert, wie in Israel, wo das Format sensationelle Erfolge feierte. Aber es war ein großes Learning in Bezug auf die Interaktivität mit dem Seher, weil wir da viel Hirnschmalz hineinsteckten. Das hat auch technisch gut funktioniert und wir haben Learnings gezogen, die uns helfen werden. Im Nachhinein ist man halt immer gescheiter und wenn man nichts probiert, wird man auch keine riesigen Innovationen zustande bringen. Der Standpunkt der Gruppe ist: Wir probieren es weiter.

medianet: Was bedeutet das für die Vermarktung?
Zinggl: Ich gehe davon aus, weiter zu wachsen. Wir sind am österreichischen Markt aus zweifacher Sicht in einer komfortablen Situation: Durch gemeinsame Anstrengungen über Sender- und Vermarktergrenzen hinweg gelingt es uns einerseits, den Rückenwind, den TV international erhält, auch in Österreich wirksam werden zu lassen. Und andererseits merken wir schon, dass es für den Marktführer ORF immer schwieriger wird, bei weiter erodierenden Marktanteilen trotzdem die Erlöse aus dem Werbemarkt herauszuziehen wie noch vor zehn Jahren. Wovon wir auch profitieren: Der Trend von Kunden, die neu ins TV kommen oder ins TV zurückkommen, scheint sich fortzusetzen.

medianet: Welche Rolle spielen dabei neue Sender wie RTL Nitro?
Zinggl: Den haben wir höchst erfolgreich am Markt mit im Moment 1,2% Marktanteil bei 18-59 positioniert. Das wirkt sich natürlich in der wirklichen Vermarktungsarbeit positiv aus, zusätzliche Kontakte zu haben, wenn man so wie wir jetzt in die Jahresgespräche mit Kunden geht.

medianet: Zusätzliche Kontakte brächten auch Migranten, die im Teletest nicht adäquat berücksichtigt sind…
Zinggl: Wir diskutieren das auch in der AGTT und es ist durchaus legitim, einen Diskussionsprozess zu starten, wie lange wir noch den österreichischen Hauhaltsvorstand als Aufnahmekriterium in die AGTT definieren. Wir haben eine Gesamtgesellschaft mit rund 1 Mio. Menschen, die nicht in Österreich geboren wurden. Migranten werden im Teletest gar nicht erfasst. Ich werde jetzt keinen Verstoß gegen die Konvention des Teletest begehen und das öffentlich diskutieren, aber wir werden das intern anregen. Hier sind wir zu restriktiv. Jetzt ist bekannt, dass die Deutschen die größte Gruppe der Migranten in Österreich sind, und da werden schnell Stimmen laut werden, wie ‚Ist ja klar, dass der Zinggl von der IP das Thema vorantreibt‘. Ja klar, ich hätte nichts dagegen, ein paar Seher mehr zu haben. Das Thema aber ist, dass wir die Währung Teletest als die härteste und realistischste Abbildung des Markts haben wollen.

medianet: Was wären die Auswirkungen?
Zinggl: So lange wir es nicht machen, wäre es Kaffeesud-Lesen…

medianet: Gefühlsmäßig?
Zinggl: Wir haben eine Untersuchung unter den Migranten-Haushalten durchgeführt; im Moment scheint es so zu sein, dass Pro7 hier deutlich zusätzliche Seher nachgewiesen bekommen würde, natürlich auch RTL und RTL II und interessanterweise auch ORF 1; ORF 2 ist in diesen Haushalten nicht in der Dominanz vertreten, wie er es im aktuellen Teletest ist. Ich denke, dass niemand davor Angst haben muss. Eine Million Menschen die hier leben, hier Steuern zahlen, hier als werbliche Zielgruppe fungieren, werden im Teletest aktuell nicht abgebildet. Punkt.

medianet: Wird es in der Vermarktung Schwerpunkte geben? Oder auch neue Werbe-Formate?
Zinggl: Vermarktung an sich ist keine Rocket Science. Wir wissen alle, dass jetzt, wo es kühler wird und die Abende länger, die Nutzung in die Höhe geht, spätestens ab Mai sind die Menschen mehr draußen und weniger vorm TV. Es ist kein Geheimnis, dass wir das wirkliche Geld zwischen September und März verdienen. Wir werden versuchen, Kunden und Agenturen davon zu überzeugen, dass unser Programm für die Saison 2015/16 zumindest dieselben Marktanteile wenn nicht mehr bringt – und wir wollen damit etwas mehr vom Gesamtwerbekuchen generieren.

medianet: Welche Rolle spielt der Bereich abseits des klassischen TVs?
Zinggl: Ich denke, dass 2015 wirklich den Durchbruch in der Verschränkung von linearer und nonlinearer Kommunikation gebracht hat. Wir verbuchen nonlinear einen Zuwachs von fast 45% zum Vorjahr; vor drei Jahren haben wir noch mühsam Überzeugungsarbeit leisten müssen, dass es eben Zielgruppen gibt, die nicht nur den großen TV im Wohnzimmer nutzen. Es geht mehr um die Frage ‚Wie viel könnt ihr anbieten?‘ Gerade im nonlinearen Bereich ist Inventar nicht beliebig steigerbar; hier wird in den ersten 2 bis 3 Wochen gesehen, danach geht die Nutzung gegen Null. Daher ist das Thema Inventar im nonlinearen Bereich heuer schon ein großes und wird es 2016 noch viel mehr. Wir versuchen dem so zu begegnen – und das ist keine spezifische Erfindung der IP –, dass wir neben dem Kernprodukt, also unseren Abrufplattformen, natürlich auch Drittvermarkter mit möglichst hohem Bewegtbildanteil im redaktionellen Bereich im Portfolio haben, um dort Inventar anzubieten. Und wir reden da schon von Bewegtbild-Content, wo man nicht nur Katzenvideos sieht, sondern von ähnlichen Zielgruppen mit ähnlicher Erwartungshaltung wie beim TV. Das hat natürlich dazu geführt, dass wir im dritten und vierten Quartal 2014 unsere Aktivitäten in dem Bereich extrem verstärkt und Drittpartner exklusiv ins Boot geholt haben. Das werden wir 2016 fortsetzen, da bewegt sich viel.

medianet: Stichwort Partner: Was tut sich mit der Verlagsgruppe News, wie intensiv wird diese Kooperation?
Zinggl: Es ist ja kein Geheimnis, dass wir bis zu einem gewissen Grad Cousinen sind: die VGN ist im mehrheitlichen Besitz von G+J und die gehören Bertelsmann; wir gehören zu 50% der RTL-Gruppe und die gehört ebenfalls Bertelsmann. Wir versuchen herauszufinden, wie intensiv die Zusammenarbeit sein kann. Das begann mit meinem Beginn in der IP mit informellen Gesprächen zwei bis drei Mal im Jahr und hat heuer seinen ersten formalen sichtbaren Ausfluss gefunden, in dem wir TV mit profil als fertiges Paket anbieten. Wo das endet, ist offen, nix is fix. Da kann ich noch nichts sagen, außer, dass sowohl wir als auch die VGN schon daran glauben, dass die Zeiten der Silos und strikt getrennten Kanäle vorbei sind.

medianet: Böse Zungen der Branche behaupten, man bucht bei der IP einen Spot und bekommt die Anzeige in der Verlagsgruppe News gratis dazu und vice versa…
Zinggl: Nein, das ist definitiv Blödsinn. Das wäre ja eine Selbstaufgabe. Wir alle wissen, und Horst Pirker ist der erste, der das sehr offensiv hinausgetragen hat, dass der Job ein Sanierungsjob ist – Seiten gratis herzugeben, ist nicht Bestandteil einer Sanierung. Nein, darum geht’s überhaupt nicht, sondern um die Frage, wie können beide Partner zusätzliches Geschäft machen und zu zusätzlichen Kunden kommen. Das kann man fortspinnen bis hin zu Überlegungen, dass die eine große Redaktion haben und viel Inhalt produzieren. Warum muss eine Kooperation eines TV-Senders mit einem Printtitel immer nur auf zwei Stunden begrenzt sein wie bei Stern TV…?

medianet: Zum Thema Streaming: Man hört oft, dass Netflix und Co. das Bewegtbild-Geschäft beleben – und sie werben ja auch im TV als Kunden. Ab wann sieht sich der IP-Vermarkter eigentlich von diesen bedroht? Wann werden diese zur Konkurrenz, oder wird das durch das Abo-Modell ohnehin nie so stark passieren?
Zinggl: Ich glaube, dass das, was wir jetzt sehen, dieses Modell, seine logischen Grenzen hat. Und die sind im deutschsprachigen Markt viel niedriger angesiedelt als in Märkten wie beispielsweise den USA, wo die Qualität im Free TV viel geringer ist. Das hält ein deutschsprachiger Mitteleuropäer kaum aus. Insofern ist es logisch, dass aus dem US-amerikanischen Markt Produkte wie Netflix oder bereits früher HBO den Markt beleben. Spannend, und da hab ich auch keine pauschale Antwort, ist, wie die Modelle und Machtverteilung in der Vermarktung dann aussehen, wenn Smart TVs eine Penetration von 60-70% erreichen. Da sind durchaus neue Verhältnisse vorstellbar, wenn Distributoren oder Gerätehersteller der Meinung wären, sie sind jetzt der Knoten, an dem der Konsument andockt und sich den Content holt. Dann würde das auch die Vermarktung anders darstellen als im Moment. Da haben wir erste Anzeichen, die sich aus unserer Sicht – um es ganz hart auszudrücken – am Rande der momentanen Legalität bewegen. Wenn A1 ein neues Produkt namens A1 Now bringt, wo über längere Zeit TV-Content der Sender, die über A1-TV distribuiert werden, abrufbar ist, dann wird das aus meiner Sicht zumindest ein bisserl schwierig. Da ist die Frage, wie schnell sich Rahmenbedingungen im legistischen Bereich adaptieren lassen und wie rasch es möglich ist, neue Standards zu setzen, zu denen sich auch alle Marktteilnehmer verpflichten. Das A1 Now-Produkt befindet sich erst in der Betaphase, und wir wissen noch nicht, ob und wie es umgesetzt wird. Dieses Match wird interessant.

medianet: Netflix und Co. sind also keine Konkurrenz?
Zinggl: Das reine Netflix-Abo tut mir nicht weh. Erstens kostet es Geld, zweitens ist es in seinem inhaltlichen Angebot beschränkt. Die Zielgruppe, die ausschließlich mit einem Netflix-Abo glücklich wird, ist überschaubar. Netflix und Co. müssen sich die Frage stellen: Bin ich rein distributionsfinanziert, dann ist es kein Thema für die werbetreibende Wirtschaft, oder gehe ich eine Mischform ein, und wie reagiert die Zielgruppe darauf – dann wird es auch für uns zum Thema.

medianet: Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie als Vermarkter?
Zinggl: Ein kommendes Thema ist Adressable TV. In einer großen Menge von Haushalten in UK ist es so, dass zwei benachbarte Häuser wohl dasselbe Programm sehen, aber in der Werbeinsel unterschiedliche TV-Spots ausgeliefert bekommen. Das ist schon ein extrem interessantes Feld aus Vermarktungssicht, weil es viele klassische printorientiere Kunden erstmals in den Fernsehbereich bringt; vor allem den Handel – nicht vorrangig den Lebensmittelhandel –, vom Autohändler bis zum Juwelier. Da kann wahnsinnig viel passieren. Wie sehr es den Vermarktern der Free TV-Sender gelingt, in diesen veränderten Szenarien ein gewichtiger Player zu sein, dieser Frage müssen wir uns stellen. Ich will nicht ‚bedrohlich‘ sagen, aber das sind die Challenges für die nächsten zehn Jahre. Ich kann mich natürlich auch täuschen, ich glaube es aber nicht.

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