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© Panthermedia.net/Gina Sanders

20.11.2015

Sehnsucht nach dem barrierefreien Land

Ab dem 1. Jänner 2016 gilt das Gesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen für alle Unternehmen in ganz Österreich.

Ziel des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes ist es, Diskriminierungen zu vermeiden und unter anderem vor allem auch bauliche Barrieren abzubauen. Das Gesetz wurde bereits am 6.7.2005 beschlossen und gilt schon seit dem 1.1.2006. In den Bereichen Bauen und Verkehr hat es aber noch eine Frist von zehn Jahren gegeben, die am 31.12. 2015 endet.

Anders als der Titel und so manche Gesetzespassage vermuten lassen, richtet sich das Gesetz an alle, die der Öffentlichkeit Dienstleistungen und Güter anbieten. Vor allem Mieter und Wohnungseigentümer, die in ihren Räumen Dienstleistungen und Güter anbieten (vom Hotelier, Arzt, Rechtsanwalt, Steuerberater, Physiotherapeuten bis hin zum Handel aller Art), müssen daher damit rechnen, dass sie wegen Diskriminierung aufgrund fehlender Barrierefreiheit belangt werden können.
„Mittelbar wird das auch den Druck auf Vermieter und Wohnungseigentümergemeinschaften verstärken, mehr Achtsamkeit auf Barrierefreiheit zu legen”, sagt Anton Holzapfel vom Österreichischen Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI). „Noch gibt es wenig Erfahrung mit den vereinzelten Schlichtungen, die beim Bundessozialamt im letzten Jahrzehnt durchgeführt wurden.
Zu hoffen bleibt, dass bei allem Verständnis für den möglichst weitgehenden Abbau von Barrieren die Geschäftsraummieter und Eigentümer hier nicht überfordert werden.” Welche mietrechtlichen Implikationen damit verbunden sind, sei ebenfalls noch weitgehend offen.

Barrierefreiheit im Detail

Ein Recht auf Barrierefreiheit haben grundsätzlich Menschen mit einer Behinderung, die mindestens länger als sechs Monate andauert. Das Gesetz gilt also nicht für Menschen, die nur eine kurzfristige Bewegungseinschränkung haben – z.B. wenn sich jemand ein Bein gebrochen hat und deshalb ein paar Wochen auf Krücken gehen muss.

Nun gibt es in Österreich keine Behörden oder Einrichtungen, die kontrollieren, ob ein Unternehmen barrierefrei ist. Es gibt daher auch keine Strafen, der Staat kann Barrierefreiheit nicht als Gesetz anordnen – aber Diskriminierung ist verboten. Wenn es keine Barrierefreiheit gibt, kann das eine Diskriminierung sein und wenn es zu einer solchen kommt, hat die betroffene Person rechtliche Ansprüche.
Wenn sich ein Mensch mit Behinderung benachteiligt fühlt, weil ein Unternehmen nicht barrierefrei ist, kann er es daher auf Schadenersatz klagen.
Dann kommt es zuerst zu einem kostenlosen Schlichtungsverfahren, das vom Sozialministerium-Service organisiert wird. Bei diesem Schlichtungsverfahren sollen alle beteiligten Personen versuchen, sich ohne ein Gerichtsverfahren zu einigen.
Wenn das Schlichtungsverfahren erfolglos ist, kann es zu einem Gerichtsverfahren kommen.
Dabei gibt es immer eine Prüfung, ob es zumutbar ist, die Barrieren zu beseitigen. Dann wird vor allem überprüft, wie viel Geld das Unternehmen hat und wie viel die Beseitigung einer Barriere kosten würde. Grundsätzlich muss jedenfalls Gleichbehandlung „so weit wie möglich” sichergestellt werden. Einer großen Supermarktkette ist es auf jeden Fall zumutbar, dass alle Filialen barrierefrei gemacht werden.
„Einem kleinen Lebensmittel­geschäft kann man das eher nicht zumuten”, heißt es in einer Broschüre der Wirtschaftskammer Wien. „Aber das kleine Geschäft könnte zum Beispiel einem gehbehinderten Kunden einmal pro Woche den Einkauf kostenlos zustellen.”
Ein weiteres Beispiel: „Man kann wahrscheinlich nie alle Preise in einem Geschäft auch in Braille-Schrift für blinde Menschen schreiben. Aber es ist zumutbar, dass eine blinde Kundin während des Einkaufs begleitet wird. So kann man sie zum Beispiel auf Sonderangebote aufmerksam machen.”

Orientierungshilfen

Die Zuständigkeit für das Baurecht liegt hierzulande hauptsächlich im Bereich der Länder. Was beim barrierefreien Bauen zu beachten ist, richtet sich daher in erster Linie nach den Bauordnungen der Länder. Unter baulichen Barrieren ist all das zu verstehen, was mit einem Bauwerk fest verbunden ist, wie z.B. Stufen, zu schmale Türstöcke oder Sanitäranlagen, die für Menschen mit Behinderungen nicht benutzbar sind.

Hilfreich sind hingegen:

• Taktile (ertastbare) Leitsysteme ermöglichen blinden Menschen mithilfe des Langstocks die Orientierung und können zu Eingängen, Informationsstellen oder durch ein Gebäude führen.
• Bodenmarkierungen bei Stiegen sind dann anzubringen, wenn sich kurz vor der ersten und der letzten Stufe der Bodenbelag ändert.
• Markierte Glasflächen kommen nicht nur sehbehinderten, sondern auch unachtsamen Menschen zugute.
• Bedienbare Lifte sollten über eine Ansage der Stockwerke sowie Schalter- und Stockwerks­beschriftungen in Braille- und großer Reliefschrift verfügen.
• Gut ersichtliche Schilder und Türen sollten sich von der restlichen Wand abheben. Eine große Schrift mit Kontrast (z.B. schwarz auf weiß) und nach Möglichkeit Braillebeschriftung wären hierfür ideal.
• Induktive Höranlagen ermöglichen Menschen mit einer Hörbehinderung und einem Hörgerät die störungsfreie Teilnahme an Veranstaltungen wie z.B. in Kirchen, Theater, Kinos, Vortrags­sälen, Schalterhallen, Altenheimen, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden.

Ein Beispiel aus dem Bankwesen

In Kooperation mit dem RelayService ermöglicht es die Bank Austria seit Ende Oktober mittels Video­telefonie und eines eingeblendeten, unabhängigen Gebärdensprachdolmetschers gehörlosen Menschen, ortsunabhängig Beratungsgespräche in Gebärdensprache in Anspruch zu nehmen.

Um den Gebärdensprachdolmetscher nicht immer selbst bestellen zu müssen und sich lange Wartezeiten und Anfahrtswege zu ersparen, wurde mit SmartBanking mit Gebärdensprache eine für den Kunden kostenlose Online-Lösung geschaffen: In einem dreiseitigen Videotelefonat sind Bank Austria-Berater, gehörloser Kunde und Relay-Assistent live vertreten. Die Daten sind bei der Videoübertragung zu 100% sicher, und es besteht von allen Dienstleistern höchste Verschwiegenheitspflicht.
Zur Kundeninformation hat die Bank Austria weiters eine barrierefreie Webseite mit Informationen in ÖGS (Österreichischer Gebärdensprache) gestaltet.

••• Von Paul Christian Jezek

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