Die neue Währung für Nachhaltigkeit nennt sich ESG, entlang dessen die Verantwortungsbereiche von Unternehmen – und Investoren – beschrieben werden. „E” steht dabei für Environment und umfasst Aspekte wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft; „S” beinhaltet u.a. Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz sowie Diversität und Inklusion; „G” – Corporate Governance beschreibt nachhaltige Unternehmensführung.
Max Scherr von Arthur D. Little unterstreicht, dass sich niemand den neuen ESG-Vorgaben entziehen kann. „Unternehmen müssen diese Transformation durchmachen. Der Zeitdruck, grüne Investments, grüne Returns und grünes Leben umzusetzen, ist immens, bei Gender Diversity ebenfalls”, erklärt der Experte, ortet aber gleichzeitig Hürden: „Eine Quotenregelung alleine ist keine Lösung, solange es in bestimmten Bereichen nicht genügend weibliche Fachkräfte gibt. Es geht darum, welche Art der Diversität einem Unternehmen guttut und ob sie bewusst gefördert wird. Für manche ist es mental schwer, Diversität zuzulassen. Es setzt viel Größe voraus, jemand in das Unternehmen zu holen, der anders, aber eine schöpferische Ergänzung ist. Es führt nicht zum Erfolg, wenn man Positionen mit Klonen besetzt, egal wie gender-divers sie sind.” Für Scherr ist Veränderung, wie bereits der ehemalige britische Premierminister Benjamin Disraeli meinte, wie Rudern gegen den Strom: „Wenn man sich nicht bewegt, dann fällt man zurück.”
Nachhaltigkeit ein Muss
Für Georg von Pföstl, Spezialist für ESG im Finanzsektor, ist das Thema nicht nur das „New Normal”, sondern erfuhr durch die Covidpandemie eine Beschleunigung. „Jedes Unternehmen braucht eine glaubwürdige und im Einklang mit der Geschäftsstrategie stehende Nachhaltigkeitsstrategie, um zukunftsfähig zu sein. Es ist keine Option, nicht dazu Stellung zu beziehen”, so der ADL-Fachmann. „Es herrscht ein steigender Druck, und es werden mannigfaltige Anforderungen verschiedener Stakeholder an Unternehmen gestellt. Das umfasst Standard-Setter, Regulatoren und Aufsichtsbehörden, Gesellschaft, Mitarbeiter, Investoren, Banken, Ratingagenturen, NGOs und viele mehr.” Von Pföstl ortet aktuell einen starken Fokus auf die regulatorischen Pflichten und hierbei vor allem auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dies ist nicht zuletzt auf die neuen Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung – die aktuelle Non-Financial Reporting Directive (NFRD) wird durch die Corporate Sustainability Reporting Directive abgelöst, wodurch sich die Anwendungsbereiche von derzeit rund 11.000 Unternehmen auf rund 50.000 Unternehmen in der EU ausweitet – zurückzuführen.
Paradigmenwechsel
Bei all den regulatorischen Diskussionen kommt, so von Pföstl, erfahrungsgemäß das Thema Wertschöpfung und die ökonomische Nachhaltigkeit zu kurz: „ESG muss ein zentraler Bestandteil der Geschäftsstrategie und des Geschäftsmodells werden, um mittel- und langfristig tragfähig zu sein. Die ökonomische Nachhaltigkeit ist ein Paradigmenwechsel vom kurzfristig orientierten Shareholder Return-Ansatz hin zum mittelfristig orientierten Stakeholder Value-Ansatz. Es wird vermehrt vom Shared Value bzw. von Stakeholder Capitalism gesprochen. Ohne Einbindung der Stakeholder wird es kein nachhaltiges Geschäftsmodell geben.”
Finanzsektor ändert sich
Dem Finanzsektor fällt bei der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu, denn um das Ziel „Net Zero” zu erreichen, wird ein riesiges Investitions- und Finanzierungsvorhaben von bis zu 50 Billionen Dollar bis zum Jahr 2050 erforderlich sein. „Der Finanzsektor kann zum Treiber der grünen bzw. nachhaltigen Veränderung werden. Ihm bietet sich dadurch die einmalige Chance, sich fundamental neu zu positionieren: Er ist nicht mehr Teil des Problems wie in der Finanzkrise, sondern Teil und Treiber der Lösung”, meint von Pföstl. „Ziel ist eine Neuausrichtung von Investitionen auf nachhaltigere Aktivitäten, das Wachstum langfristig nachhaltig zu finanzieren und einen Beitrag zur Schaffung einer kohlenstoffarmen und klimaresistenten Kreislaufwirtschaft zu leisten.” Mittlerweile sind mehr als 400 Finanzinstitute auf globaler Ebene in den verschiedenen Allianzen der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) vertreten. Mittlerweile haben sich 113 Banken aus über 40 Ländern mit einem Anteil von 68 Billionen US-Dollar, das sind mehr als 38% des weltweiten Bankvermögens, zur Net-Zero Banking Alliance zusammengeschlossen. Bei der Net-Zero Asset Owner Alliance sind 73 institutionelle Investoren mit dabei, die 10,6 Billionen Dollar an Assets under Management repräsentieren.
Finanzrisiko Klimawandel
Immer mehr Investoren bevorzugen „grüne” Aktivitäten. Doch obwohl Klimaschutz eine Investitionschance ist, werden die traditionellen Wege der Innovationsfinanzierung nicht schnell genug und nicht groß genug sein, um das Problem in der uns zur Verfügung stehenden Zeit zu lösen. „Nicht jede Technologie wird funktionieren, und nicht jedes Unternehmen wird Renditen liefern”, so der ADL-Experte. „Wir brauchen also Kapital, das risikotolerant und flexibel ist. Und es muss Investoren geben, die bereit sind, nachrangiges Kapital zur Verfügung zu stellen.” Die Finanzbranche wird zum Katalysator, um bestehende Lösungen zu skalieren und die Durchbrüche, die wir brauchen, zu beschleunigen und zu kommerzialisieren.
Klimawandel ist auch ein Finanzrisiko. Aktuell ist immer noch eine Vielzahl an Unternehmen, die weitgehend von fossilen Brennstoffen abhängig sind, überbewertet. „Wir sprechen hierbei von einer Carbon Bubble (CO2-Blase). Global werden rund 50 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr emittiert. Durch die Begrenzung der CO2-Emissionen wird es notwendig sein, dass große Mengen an verfügbaren, technisch und wirtschaftlich nutzbaren fossilen Brennstoffen im Boden bleiben”, analysiert von Pföstl und zeigt die Risiken auf: „Stranded Assets im Wert von über zwei Billionen Euro wären die Folge. Studien legen nahe, dass allein knapp die Hälfte der weltweit größten Konzerne Abschreibungen oder Wertminderungen durch den Klimawandel von über 200 Milliarden Euro durch physische als auch transitorische Risiken erwartet.”
Georg von Pföstl folgert, dass es eine wichtige Aufgabe sein wird, das Finanzsystem stabil zu halten, um die Transition zu bewältigen: „Wir sehen keine unmittelbare Gefahr eines Kollapses, aber nicht zu unterschätzende Herausforderungen. In dieser Krise gibt es auch Chancen, und das Momentum ist so groß wie noch nie!”