Paris/Mailand/Frankfurt. Längst ist bekannt, dass die Modeindustrie zu den größten Umweltsündern gehört und auch ihre Verantwortung in Sachen soziale Fairness eher auf die leichte Schulter nimmt. Das betrifft nicht nur die Fast Fashion, sondern auch die Luxusklasse. Große Änderungen hat dieses Wissen nicht gebracht. Zwar haben die Modemarken immer mal wieder „grüne” Produkte oder Kapsel-Kollektionen gelauncht (jene im Fast Fashion-Sektor sogar häufiger als die Vertreter der Premium- und Luxusklasse) und in aufwendigen Nachhaltigkeitsberichten ihre ambitionierten Ziele publiziert.
Konkrete Details zu Maßnahmen und Fortschritten blieben sie aber meist schuldig. Wirtschaftlich nachteilig war dieses schludrige Verhalten nicht. Denn die Kunden, die laut diversen Umfragen auf nachhaltige, grüne und faire Produkte steigenden Wert legten, hatten – wenn vielleicht auch mit schlechtem Gewissen – trotzdem gekauft.
Gamechanger Corona
Im Zuge der Fridays for Future-Bewegung rückten dann die ökologische Missstände, die die moderne Konsumgesellschaft offenbar billigend in Kauf nimmt, ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit, und aus der Fashion-Szene wurden erste Stimmen laut, dass man wohl nicht länger an der bisher gängigen Praxis festhalten könne.
Es ist zwar mehr als fraglich, ob Greta Thunberg und ihre Millionen Sympathisanten mit ihren Forderungen, endlich die Weichen für eine bessere Zukunft zu stellen, die Modebranche tatsächlich zum Umdenken hätten bringen können. Das gelang erst dem Covid 19-Virus, das innerhalb kürzester Zeit praktisch die gesamte Weltwirtschaft lahmlegte und in vielen Bereichen zum Umdenken zwang.
Statt immer mehr …
Gerade für die schnelllebige Fashionbranche, die in immer kürzeren Zyklen agiert hatte, war dieser Stillstand eine echte Zäsur. Aber offenbar war der Schock auch heilsam.
Im Mai 2020 formierte sich auf Initiative des belgischen Stardesigners Dries van Noten eine Taskforce aus 150 Designern und Vertreter des Handels, um den Timetable für die Präsentation und Auslieferung der neuen Kollektionen mit den Jahreszeiten wieder in Einklang zu bringen. „Die aktuellen Umstände, wenn auch herausfordernd, bieten eine Möglichkeit für fundamentale und willkommene Veränderungen, die unsere Geschäfte vereinfachen, sie ökologisch und sozial nachhaltiger machen werden und am Ende auch den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen”, erklärten sie ihre Ziele in einem offenen Brief.
… lieber weniger und besser
Zur gleichen Zeit riefen auch zwei wichtige Institutionen der Fashion-Szene, das Council of Fashion Designers of America und das British Fashion Council, in einem gemeinsamen Statement Designer, Modemarken und Händler dazu auf, von der gewohnten Schnelllebigkeit Abstand zu nehmen, da es „über eine lange Zeit zu viele Auslieferungstermine für neue Kollektionen und zu viele Produkte, die kreiert wurden, gab”. Man solle sich künftig im Sinne eines nachhaltigen Umgangs mit den Ressourcen auf zwei Hauptkollektionen pro Jahr konzentrieren.
Kurz nach diesem Appell gab Alessandro Michele, Creative Director von Gucci, genau diesen Plan für die italienische Luxusmarke bekannt. „Ich habe das Gefühl, dass die Dinge, die wir machen, ein längeres Leben haben, als das, das wir ihnen zugewiesen haben”, begründete er damals diesen Schritt in einem Interview mit der New York Times.
Schluss mit der …
„Ich bin gegen Mode, die vergänglich ist. Ich kann nicht akzeptieren, dass man Kleider wegwirft, nur weil Frühling ist”, hatte Coco Chanel schon zu einer Zeit konstatiert, als Wegwerfmode noch nicht erfunden war und der Gedanke an die Umwelt für die Nutzungsdauer von Kleidung noch keine Rolle gespielt hat.
Dass ein längerer Lebenszyklus die Ökobilanz von Produkten generell verlängert – unabhängig davon, ob sie konventionell oder nachhaltig hergestellt wurden –, ist klar. Und das lässt sich durchaus auch mit dem „Öfter etwas Neues”-Prinzip, das die Kauflaune immer wieder triggert, in Einklang bringen. Nämlich mit Resale, wie Secondhand jetzt bezeichnet wird. Dieser Markt wächst seit Jahren dynamischer als das Geschäft mit Neuware und war, weil mittlerweile vornehmlich in der Hand von international agierenden Online-Plattformen, 2020 nicht von Lockdowns und Umsatzeinbrüchen betroffen, sondern hat kräftig zugelegt.
Der Spargedanke spielt dabei kaum eine Rolle, die Mehrheit der Verbraucher sieht es als Teil eines nachhaltigen Lebensstils, Stücke, die nicht mehr passen oder gefallen, zum Verkauf anzubieten oder am Resale-Markt „neue” Outfits zu kaufen.
… Verschwendung
Laut einer Umfrage der in Deutschland ansässigen Plattform rebelle.com aus dem Vorjahr ist Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Argumente, das aus Sicht der User für Secondhand-Stücke spricht. Eine Handtasche aus Vorbesitz verursacht zum Beispiel um 90% weniger CO2-Emissionen als eine nagelneue.
Gut 60% der 2.500 Umfrageteilnehmer gaben zudem an, künftig mehr gebrauchte Kleidung und Accessoires und dafür weniger Fast Fashion-Teile kaufen zu wollen.
„Resale spielt eine große Rolle für die Kreislaufwirtschaft in der Mode. Konsumenten freuen sich über eine Möglichkeit, ihren CO2- Fußabdruck zu reduzieren. Und die Coronakrise hat das Bewusstsein für dieses Konsummodell weiter verstärkt: Die Menschen kaufen weniger, dafür aber stärker qualitativ hochwertige Stücke, die sie länger tragen”, freut sich rebelle-Gründerin Cécile Wickmann über diesen Trend.
Resale ist eine Branche …
Mittlerweile haben auch die Hersteller der edlen Secondhand-Ware, die rund um den Globus ge- und verkauft wird, diese Vertriebsschiene für sich entdeckt. 2018 begannen Burberry und Stella McCartney eine Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Online-Portal The RealReal, das zusätzlich auch stationäre Läden betreibt. Ende 2020 wurde bekannt, dass auch der LVMH-Konzern und damit das mit Abstand größte Luxus-Konglomerat nach Möglichkeiten für den Einstieg ins gehobene Gebrauchtwarengeschäft Ausschau hält.
… mit Zukunft
Der Konkurrent Kering ist da schon einen Schritt weiter und hat sich Anfang dieses Jahres um 178 Mio. € bei Vestiaire Collective, mit über neun Mio. Mitgliedern und 1,8 Mio. Produkten von rund 6.000 Marken einer der größten Player am globalen Resale-Markt, eingekauft.
„Luxus aus zweiter Hand ist heute ein echter und tief verwurzelter Trend, insbesondere bei jüngeren Kundengruppen. Anstatt ihn zu ignorieren, möchten wir diese Chance nutzen, um den Wert, den wir unseren Kunden bieten, zu erhöhen und die Zukunft unserer Branche in Richtung innovativer und nachhaltigerer Praktiken zu beeinflussen”, erklärt François-Henri Pinault, Vorstandsvorsitzender von Kering, und Grégory Boutté, Chief Client and Digital Officer, ergänzt: „Zweck unserer Innovations-Strategie ist es, in Marken und Branchen für die nächste Kundengeneration zu investieren. Wir fokussieren auf neue, disruptive Geschäftsfelder, die uns erlauben, sowohl unser Angebot als auch unsere wirtschaftliche Performance zu verbessern. Die Beteiligung an Vestiaire Collective ist in beiderlei Hinsicht sinnvoll.”
Für eine längere Nutzungsdauer von Kleidungsstücken setzt sich auch der Jeans-Gigant Levi’s mit seiner Buy Better, Wear Longer-Kampagne ein, die vor wenigen Wochen gestartet ist. „Unsere Denim-Produkte werden für Generationen geschaffen, nicht für einige Saisonen. Die Kampagne zielt darauf ab, unsere Kunden zu bewussteren Kaufentscheidungen zu ermutigen: zum Beispiel Kleidungsstücke länger zu tragen, Secondhand einzukaufen oder die Lebensspanne der Lieblingsstücke in unseren Tailor Shops zu verlängern”, sagt Jennifer Sey, Brand President von Levi Strauss & Co.
Ressourcenschonung …
Daneben soll die Kampagne noch weitere Botschaften transportieren, die ebenso wichtig wie ein vernünftiger Umgang mit Mode sind. Denn die Testimonials sind nicht nur bekannt, sondern setzen sich aktiv für eine bessere Zukunft ein. Neben dem Schauspieler und Musiker Jaden Smith, dem YouTube-Star Emma Chamberlain und dem Fußballer Marcus Rashford fungieren drei junge Aktivisten als Testimonial.
Melati Wijsen ist eine Unternehmerin aus Indonesien, die sich 2019 erfolgreich für ein Verbot von Plastiktüten in Bali eingesetzt hat und sich derzeit um benachteiligte Jugendliche kümmert. Die aus Mexiko stammende Xiye Bastida gehört zu den führenden Köpfen der Fridays for Future-Bewegung in den USA und macht dabei besonders auf die Situation der indigenen Bevölkerung aufmerksam. Der HiphopKünstler Xiuhtezcatl Martinez verarbeitet Umweltthemen in seiner Musik und hat sich auch als Klimaaktivist einen Namen gemacht.
… durch Re- und Upcycling
Selbst wenn ein Kleidungsstück nicht mehr tragbar ist, muss es nicht auf den Müll, sondern bietet Stoff für Neues, wie Valentino kürzlich gezeigt hat. Pierpaolo Piccioli, Kreativdirektor der italienischen Nobelmarke, hat für die aktuelle FS-Kollektion aus Vintage-Jeans von Levi’s (das ikonische Modell Nr. 517) eine auf 517 Stück limitierte Sonderserie von 517 Jeans-Unikaten entworfen.
Auch Loewe setzt auf Recycling und hat diesen Frühling erstmals eine Handtaschen aus Lederresten, die von früheren Kollektionen übrig geblieben waren, präsentiert. Hinter Loewe steht der mächtige LVMH-Konzern und damit bekommt dieses vergleichsweise kleine Projekt mehr Gewicht. Denn es ist Teil des groß angelegten Nachhaltigkeitsprogramms „Life 360”, das sich der Luxus-Gigant verordnet hat. Anders als das 2016 gestartete Projekt „Life2020” bezieht es sich nicht mehr nur auf die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen und Energieverbrauch, die direkt im Konzern entstehen, sondern auf die gesamte Lieferkette. Außerdem wird für die klar definierten Klima- und Umweltziele ein genauer Zeithorizont genannt, bis wann diese erreicht werden müssen.
So werden bis 2026 sämtliche Produktionsstätten sowie die über 5.000 Stores ihren Strom zu 100% aus erneuerbaren Quellen beziehen und die Emissionen von Treibhausgasen im Vergleich zu 2019 um die Hälfte reduzieren; zusätzlich werden bis 2030 die Emissionen in Verbindung mit Rohstoffen und Transport um 55% gesenkt.
Kunststoffverpackungen aus fossilen Rohstoffen werden bis 2026 durch umweltfreundliche ersetzt. Das betrifft sowohl Transport- als auch Produktverpackungen. Dafür arbeitet LVMH jetzt mit Eastman, einem weltweit führenden Hersteller von Verpackungen aus Recyclingkunststoffen, zusammen.
„Die innovativen Recycling-Technologien von Eastman spielen eine entscheidende Rolle dabei, dass wir unsere Nachhaltigkeitsziele erreichen”, sagt Hélène Valade, LVMH-Direktorin für Umweltentwicklung. Die erste LVMH-Marke, die auf diese grünen Verpackungen setzt, ist die Kosmetiksparte von Christian Dior.
Kreislaufwirtschaft
Ein zentraler Punkt in neuen LVMH-Nachhaltigkeitsprogramm ist die Kreislaufwirtschaft. Re- und Upcycling wird fixer Bestandteil des Designprozesses. Materialbestände, die bei einer Marke ungenutzt lagern, die sogenannten Deadstocks, können von einer Schwestermarke aufgekauft und verarbeitet werden. Das eigens gegründete Start-up Nona Source ist für die Abwicklung dieses Konzern-internen Tauschhandels zuständig. Über einen Onlineshop werden die edlen Stoff- und Lederrestposten zu äußerst attraktiven Preisen auch externen Designern angeboten. Damit will der Konzern die Ressourcen-Effizienz in der gesamten Modebranche fördern.
Bis 2030 sollen alle Produkte des Konzerns nachhaltig und zudem die gesamte Lieferkette mit einem lückenlosen System zur Rückverfolgung aller Materialien ausgestattet sein. Bereits im Jahr 2026 wird es für alle neuen Produkte detaillierte Informationen zu den verwendeten Materialien geben. Im Rahmen eines Pilotprojekts mit der Luxusbrand Patou wird derzeit ein QR-Code für die Produktzusammensetzung getestet.
Innovative Materialien
Weiters umfasst das Life 360-Programm Maßnahmen zum Umweltschutz – bis 2030 sollen 5 Mio. ha an natürlichen Lebensräumen für die Flora und die Fauna wiederhergestellt werden – sowie die Erforschung von Biotech-Materialien.
Ein heißes Thema in der Luxusbranche sind Leder-Alternativen, da vegane Produkte bei den Konsumenten immer höher im Kurs stehen. Bei der Victoria-Tasche, die im Herbst auf den Markt kommt, verwendet Hermès erstmals veganes Leder.
Das aus Pilz-Myzel bestehende Material wurde vom kalifornischen Start-up MycoWorks entwickelt und steht hinsichtlich Optik, Haptik und Haltbarkeit seinem Vorbild tierischen Ursprungs in nichts nach.
Zusammenarbeit auf …
Auch die Fashion Weeks wollen einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit in der Modewelt leisten: Im Rahmen der Frankfurt Fashion Week findet am 7. Juli in Zusammenarbeit mit United Nations Office for Partnerships eine digitale Konferenz mit Teilnehmern aus Politik, Forschung, der Mode- und Textilindustrie, von NGOs sowie Designern, Künstlern und UN Advocates zu den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen statt.
„Das ist eine wichtige Plattform, um Lösungen zu unterstützen, die den Fortschritt bei der Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele beschleunigen. Wir müssen die Kreativität der führenden Köpfe der Mode- und Textilindustrie nutzen, um Lösungen zu schaffen, die ein Leben in Würde und Gleichberechtigung auf einem gesunden Planeten für alle ermöglichen”, erklärt Annemarie Hou, Acting Executive Director des UN Office for Partnerships.
… breiter Front
Mit dem Next Hub hat die deutsche Vogue zum diesjährigen Earth Day ein eigene Initiative für eine nachhaltige Modezukunft geschaffen. „Next” steht für Networking, Entertainment, Experience und Talks und wendet sich sowohl an die Fashionindustrie als auch die Endkonsumenten. Präsentiert werden Ideen und Produkte, die Nachhaltigkeit, Design und Luxus miteinander in Einklang bringen. Zusätzlich ist für Mitte Oktober ein zweitägiger Online-Event mit Experten-Talks und einer virtuellen Bühne für innovative Ideen und Produkte geplant.
„Vogue ist seit fast 130 Jahren nicht nur einflussreiches Spiegelbild der Mode und der Moden, sondern auch sensible Seismografin und Sprachrohr gesellschaftlicher Veränderungen”, sagt Stephanie Neureuter, Chief Creative Director Vogue Germany. „Wir haben eine Vorbildfunktion, die mit einer großen Verantwortung verbunden ist. Diese wollen wir mit ‚Vogue Next' noch wirkungsvoller zum Ausdruck bringen. Eine Initiative, die wichtige Themen wie Diversität und Nachhaltigkeit in allen Facetten in den Fokus stellt.”