Gastkommentar ••• Von Hubertus Hofkirchner
WIEN. „Wie würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären?” Seit den falschen Prognosen zum Abschneiden der ÖVP bei der Tirol-Wahl gibt es um die Frage der Qualität der Wahlforschung unter Fachleuten wieder heiße Diskussionen. Besonders störend dabei ist der ständige Hinweis: „Die Sonntagsfrage darf nicht als Prognose gelesen werden, denn am Sonntag war keine Wahl.” Das schafft ein grundlegendes Problem, eine Immunisierung der Sonntagsfrage von der Realität, die das Streben nach Qualität erschwert. Denn die Sonntagsfrage ist, erstens, metaphysisch, zweitens unzuverlässig und drittens, sie politisiert die Politik.
Metaphysisch, also unwissenschaftlich, ist die Sonntagsfrage, weil sie durch ihre unmögliche Prämisse nicht verifizierbar ist. Zwei große Österreicher machten diese Trennlinie zwischen Sinn und Unsinn weltweit bekannt: Karl Popper für die Wissenschaft und Peter Drucker für Unternehmensziele. Die Auftraggeber der Sonntagsfrage, die Interviewer und alle, die sie beantworten – wie und aus welchem Motiv auch immer – wissen, dass am Sonntag nicht gewählt wird.
Aufmerksamkeitsbringer
Unzuverlässig ist die Sonntagsfrage wegen unvermeidbarer Verzerrungen, beispielsweise der sozialen Erwünschtheit gewisser Parteien, deren Korrektur mehr Kunst als Wissenschaft ist. Ob eine Sonntagsfrage zudem manipuliert oder zu billig ausgeführt wurde, ist schwierig zu beweisen, Richtlinien können in Wahrheit keines der drei Probleme verhindern. „Die Sonntagsfrage ist vor allem deshalb wichtig, weil sie Aufmerksamkeit bringt”, sagt Klaus-Peter Schöppner, ehemals Chef des deutschen Emnid-Instituts. Aufmerksamkeit ist gut, aber mit falschen Prognosen untergraben die Medien ihre ohnedies sinkende Glaubwürdigkeit.
Zudem ist die Sonntagsfrage politisierend. Sie lenkt den medialen Fokus auf ein paar Prozente hin oder her als oberstes Ziel statt auf beste Problemlösungen. Diese Überhöhung bedient Konflikte zwischen Parteien und interne Machtkämpfe, wie Kurz gegen Mitterlehner oder aktuell Doskozil gegen Rendi-Wagner. Dieser falsche Fokus fördert gegenseitige Abgrenzung, Antagonismus aus Prinzip und politische Wadlbeißerei. Er ist Gift für das Vertrauen in die Politik.
Einige der erfolgreichsten Unternehmen der Welt, allen voran Google, schreiben ihren Erfolg einer Weiterentwicklung von Peter Druckers Managementansatz zu, der „OKR”-Methode, kurz für Objectives und Key Results. Dabei wird jedes Ziel und die Maßnahmen dafür stets gleichzeitig mit etwa fünf erwarteten künftigen Ergebnissen verknüpft und am Ende mit den real erreichten verglichen. Fokus, rasche Lernschleife und agile Anpassungen führen zum Unternehmenserfolg. Diese Unternehmen sind zudem auffallend unpolitisch.
Glaubwürdigkeit zurückholen
OKR könnte analog helfen, eine bessere Politkultur zu fördern. Meinungsforscher müssten dafür künftig strikt nach verifizierbaren Prognosen zu künftigen Entwicklungen fragen, Erwartungen für die realen Auswirkungen, falls ein Vorschlag einer politischen Partei umgesetzt wird. Wahlkampfmanager müssten fragen: „Wie wird Österreich nächstes Mal wählen?”, also nach dem tatsächlichen Ausgang der nächsten Wahl zum tatsächlichen Termin. Diese verifizierbare Frageform ist, wie man von den Wahlbörsen weiß, zuverlässiger und spiegelt die echten Sorgen und Wünsche der Wählerschaft.
Vor allem aber könnte die Abkehr von der metaphysischen Sonntagsfrage den Medien helfen, ihre schwindende Glaubwürdigkeit wieder zurückzugewinnen. Denn wer seine Aussagen mit überprüfbaren Prognosen belegt und auch tatsächlich überprüft, beweist mutig die eigene Überzeugung.
Hubertus Hofkirchner ist CEO und Gründer der Prediki Prediction Markets GmbH und Gründungsmitglied des Instituts für Prognostische Studien. Der Beitrag ist ausschließlich als persönliche Meinung zu verstehen.