ZÜRICH. Cash Comeback! In den vergangenen zehn Jahren spielten Zinsen für die Wirtschaft nahezu keine Rolle. Geld war billig, Kredite und Risikokapital waren leicht zu bekommen. Doch dann der Schock: Die stark steigende Inflation zwang Notenbanken zum Gegensteuern. Seither geht es in Sachen Leitzinserhöhungen Schlag auf Schlag. Das hat gravierende Auswirkungen. Nicht nur „Häuselbauer“ werden nervös, auch die Unternehmen leiden unter steigenden Finanzierungskosten. So flossen laut einer Analyse der globalen Unternehmensberatung Kearney in den Jahren 2021 und 2022 bei den zehn größten europäischen Automobil-Zulieferern insgesamt 7,1 Milliarden Euro ab. „Die nachhaltige Sicherung der Liquidität wird für die Branche zunehmend wichtig“, sagt Felix Spangenberg, Automobilexperte und Partner bei Kearney.
Ausreichende Barmittel werden zum Markenzeichen vertrauenswürdiger Unternehmen. Das hat einen einfachen Grund: Wenn die Liquidität stimmt, müssen Gläubiger nicht um ihr investiertes Geld fürchten. Das kommt an den Märkten gut an – und auch bei den mächtigen Ratingagenturen, die bewerten, wie kreditwürdig ein Unternehmen ist. Ein gutes Rating verbessert den Zugang zu Krediten, was wiederum die Finanzierungskosten senkt und die Ausgaben eines Unternehmens begrenzt. „Die Cash-Position ist wieder zu einer sehr wichtigen Größe zur Bewertung des Unternehmenserfolgs geworden“, sagt Spangenberg.
Die Autozulieferer stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Ihnen machen die gestiegenen Zinsen und die durch die Inflation getriebenen Preise zu schaffen. Zudem verstärken sich die Probleme mit den Lieferketten, Halbleiter sind immer noch ein zentrales Problem und knappe Rohstoffe, wie zum Beispiel der Mangel an Seltenen Erden, verschärfen die Situation. Trotz allem müssen die Autozulieferer ihre Lieferpflichten einhalten. Oft sehen sie dafür keine andere Möglichkeit, als die Lagerbestände zu erhöhen – doch Lagerhaltung ist teuer, zudem verstärkt die Transformation des Automobilsektors den Druck auf die Liquidität und die fortschreitende Elektrifizierung und Digitalisierung sowie die Entwicklung des autonomen Fahrens zwingt Hersteller und Zulieferer zu hohen Investitionen. Diese großen Ausgabenblöcke ändern den Blick auf die Zulieferbranche, weshalb seit Ende der Finanzkrise dort wieder das Unternehmensergebnis (EBIT) als die bedeutendste Größe für den Unternehmenserfolg gilt. Allerdings sagt das EBIT wenig über die Solvenz eines Unternehmens aus. Um die Zahlungsfähigkeit zu bemessen, beschreiben Liquiditätskennzahlen die Stärken eines Unternehmens wesentlich treffender. Und angesichts der aktuellen Situation auf den Fremdfinanzierungsmärkten rücken diese auch wieder stärker in den Fokus. Ziel muss daher sein, den Cashflow zu verbessern – sprich, wie es gelingt, Forderungen zu reduzieren, Bestände abzubauen und gleichzeitig Verbindlichkeiten zu erhöhen und Investitionen auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen. Doch jede Entscheidung, die den Cashflow erhöht, ist eine Entscheidung, die das Wachstum begrenzt oder das Ergebnis zu reduzieren droht. Wenn Investitionen in die Zukunft nicht getätigt werden, um das Cash heute zu optimieren, fehlen womöglich die Ertragsbringer von morgen. Die Optimierung des Cashflows bedarf also bewusster und weitsichtiger Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen Umsatzwachstum, Ergebnis und Cash. Dies erfordert oft ein nachhaltiges Umdenken in der Organisation und einen Paradigmenwechsel, der die Dimension „Cash“ als gleichgewichteten Parameter in die Entscheidungsfindung einbezieht.
Daneben gilt es, alternative Finanzierungsformen in Betracht zu ziehen und diese flexibel nach den eigenen Bedürfnissen des Unternehmens anzuwenden. Wer sich diesen Finanzierungsmitteln öffnet und etwa auktionsbasierte Supplier-Finance-Programme nutzt, kann laut Kearney seine Kapitalbindung erheblich reduzieren – zu günstigen Konditionen. Auch durch die Nutzung von Advanced-Analytics-Methoden kann beim Cash Management ein erheblicher Mehrwert generiert werden, zum Beispiel im Rahmen einer Netzwerkoptimierung für lagerhaltende Standorte oder durch Analyse von Clustern bei überfälligen Forderungen. Und natürlich: Die Verbesserungen müssen nachhaltig werden. Dabei gilt es, Kernprozesse zu optimieren und entsprechende Steuerungsmodelle einzuführen, denn: Cash ist wieder King. Spangenberg: „Unternehmen, die dieses Motto beherzigen, haben gute Chancen, unbeschadet durch die aktuell turbulenten Zeiten zu kommen. Und sie sind gut gerüstet, wenn die Konjunktur wieder anspringt. Wie die Erfahrung zeigt: Das kann schneller kommen als erwartet.“ Bildunterschrift: Felix Spangenberg, Automobilexperte und Partner bei Kearney.