••• Von Christian Novacek
Die Einführung elektronischer Regaletiketten (ESL) im Lebensmitteleinzelhandel ist seit Jahrzehnten im Gespräch. Anfangs zu teuer, scheint sich nun der technologische Fortschritt mehr und mehr zu etablieren. Zuletzt hat Spar im Sommer 2024 eine Offensive gestartet und über 200 Märkte mit ESL ausgestattet. Klar ist: Diese Etiketten bieten nicht nur eine klare, moderne Preisauszeichnung, sondern ermöglichen theoretisch auch dynamische Preisänderungen – wie sie in anderen Branchen (speziell im Onlinehandel) bereits weit verbreitet sind.
Wiewohl diese Technologie die Effizienz der Mitarbeiter steigert und den Kunden detaillierte Informationen in Echtzeit bietet, stellt sich die Frage, wie diese Entwicklung von den Konsumenten wahrgenommen wird. Vor allem im europäischen Lebensmitteleinzelhandel dünkt die Einführung von Dynamic Pricing umstritten.
Spars ESL-Offensive
Spar setzt auf vierfärbige ESLs, um genaue Preis-, Werbe- und Produktinformationen zu liefern. „Mit den vierfärbigen ESLs bieten wir unseren Kundinnen und Kunden genaueste Preis-, Werbe- und Produktinformationen. Unsere Mitarbeiter haben jetzt die perfekte Lösung, um Regale schnell aufzufüllen und Informationen zum Artikel jederzeit abzurufen. Dadurch bleibt mehr Zeit für unsere Kunden”, beurteilt das Spar-Vorstandsvorsitzender Hans K. Reisch.
Die Möglichkeit, Preise in Echtzeit zu ändern, dürfte dabei erst einmal außen vor bleiben. Denn an sich können via elektronischer Preisauszeichnung Preise bei hoher Nachfrage angehoben und bei Überbeständen oder nachlassender Nachfrage gesenkt werden. Dies könnte theoretisch auch im Supermarkt zur Anwendung kommen, wo Dynamic Pricing bislang noch nicht der Standard ist.
Reisch apostrophiert jedenfalls andere Vorteile: „Die elektronischen Regaletiketten sind ein wichtiger Schritt in der Digitalisierung unseres Unternehmens”, sagt er und verweist auf die große Zeitersparnis für die Mitarbeiter sowie das komfortable Einkaufserlebnis für den Kunden.
Skepsis angebracht?
Trotz evidenter Fortschritte stehen viele Konsumenten der Einführung von Dynamic Pricing skeptisch gegenüber. Eine aktuelle Studie des Instituts für Handel, Absatz und Marketing (IHaM) zeigt, dass 70% der österreichischen Konsumenten Dynamic Pricing im Lebensmitteleinzelhandel ablehnen. Viele empfinden die flexible Preisgestaltung als unfair, verwirrend und nicht im Interesse der Kunden. Besonders ältere Konsumenten zeigen sich gegenüber kurzfristigen Preisänderungen kritisch: Satte 84% der über 55-Jährigen lehnen Dynamic Pricing ab.
Allerdings: In Wien, wo elektronische Preisschilder häufiger wahrgenommen werden, ist die Ablehnung weniger stark ausgeprägt. Es zeigt sich offenbar, dass Konsumenten, die sich bereits an die Technologie gewöhnt haben, eindeutig weniger Vorbehalte gegenüber Dynamic Pricing äußern.
Trendvergleich international
Im internationalen Vergleich zeigen sich unterschiedliche Ansätze und Akzeptanzniveaus gegenüber Dynamic Pricing. In den USA hat Dynamic Pricing im Einzelhandel längst Fuß gefasst, vor allem bei großen Ketten wie Walmart und Amazon. Dort ist es üblich, dass Preise je nach Nachfrage, Tageszeit oder anderen Faktoren wie Bestandsmengen in Echtzeit angepasst werden.
Gefinkelter geht es im E-Commerce zu. Da werden Algorithmen verwendet, um dynamische Preise, basierend auf dem Verhalten der Konsumenten, festzulegen. Während in den USA die Konsumenten zunehmend mit dieser Flexibilität vertraut sind, bleibt die Akzeptanz für solche Preisanpassungen im Supermarkt selbst auch in den Staaten niedriger. Kritiker bemängeln, dass diese Praktiken oft zulasten der Kunden gehen, die höhere Preise zu Stoßzeiten oder bei knappen Beständen zahlen müssen.
In China sind dynamische Preismodelle weit verbreitet, speziell in Verbindung mit digitalisierten Einkaufserfahrungen. Chinesische Supermärkte nutzen zunehmend Daten wie Wetterbedingungen, Feiertage oder Social Media-Trends, um Preise in Echtzeit anzupassen.
An einem regnerischen Tag könnten beispielsweise Regenschirme teurer werden, während Sonnencreme bei steigenden Temperaturen preiswerter angeboten wird. Dieses System fördert nicht nur den Umsatz, sondern steuert auch den Konsum – und trägt ggf. sogar zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung bei.
In anderen europäischen Ländern ist Dynamic Pricing im LEH relativ selten, obwohl elektronische Regaletiketten in Ländern wie Deutschland, Frankreich und den Niederlanden langsam Verbreitung finden.
Derzeit noch Zurückhaltung
Ähnlich wie in Österreich zeigt sich in vielen Teilen Europas eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dynamischen Preismodellen. Die Konsumenten schätzen Stabilität und Transparenz – und dieses Bedürfnis ist nach der jüngsten Teuerungswelle gerade beim Lebensmitteleinkauf ausgeprägt.
Obwohl also Dynamic Pricing in Europa weiterhin auf Skepsis trifft, könnte sich das in den kommenden Jahren durchaus ändern. Aktuell aber gilt: „Unsere aktuelle IHaM-Analyse zeigt, dass Dynamic Pricing im Lebensmittelhandel auf sehr geringe Kundenakzeptanz stoßen würde”, erklärt Christoph Teller vom IHaM. Die Stolpersteine: zu verwirrend, zu schwierig (beim Einkaufen) und nicht zum Vorteil der Kunden.