Die Gäste kehren wieder zurück nach Wien
© WienTourismus/Peter Rigaud
DESTINATION Redaktion 10.02.2023

Die Gäste kehren wieder zurück nach Wien

WienTourismus-Chef Norbert Kettner gibt sich im Exklusiv-Interview optimistisch – mit kleinen Einschränkungen.

••• Von Alexander Haide

Eigentlich sind die aktuellen Zahlen des Wien-Tourismus ein Grund zum Feiern, denn nach dem Corona-Durchhänger konnte die Hauptstadt mit 13,2 Mio. Nächtigungen im Jahr 2022 wieder rund drei Viertel des Niveaus von 2019 erreichen. Dennoch legen die Tourismusmanager nun einen zusätzlichen Fokus auf Qualität, Nachhaltigkeit und selbstbewusste Preisgestaltung. Außerdem wollen die ÖBB Wien als Hub für ihren „Nightjet” positionieren, und Austrian Airlines ortet den Verkehr über den Nordatlantik im Höhenflug – kein Wunder, denn Touristen aus den USA haben wieder Gusto auf Wien.

Bei einer Pressekonferenz unterstrich das Wiens Tourismusdirektor Norbert Kettner: „Nach Österreich und Deutschland sind die USA nun wieder Wiens drittstärkster Herkunftsmarkt.” Dabei ist die Hälfte aller Nächtigungen von Besuchern aus den USA in Österreich in Wien zu verzeichnen, zwei Drittel logierten in 4- und 5-Sterne-Häusern.
Noch fehlen allerdings Gäste aus China, wobei Kettner in diesem Bereich ein großes Potenzial ortet. „Mit 56.000 Nächtigungen wurde knapp ein Zehntel des früheren Aufkommens gemessen. Die Lockerung der Reisebeschränkungen birgt Potenzial für Wien, das nach Paris und London das drittbeliebteste Städteziel chinesischer Reisender in Europa ist.”
Es sind turbulente Zeiten für den Tourismus – mit einem deutlichen Silberstreif am Horizont, das unterstreicht Tourismusdirektor Kettner auch im medianet-Interview.


medianet:
Hätten Sie eine derart rasche Erholung des Wiener Tourismus nach der Pandemie trotz des Krieges in der Ukraine erwartet? Sehen Sie Vorbehalte beziehungsweise Unsicherheiten bei potenziellen Touristen aufgrund des anhaltenden Krieges in Europa, dessen Ende nicht absehbar ist?
Norbert Kettner: Klar ist, dass Krieg niemals etwas Gutes bedeutet und immer für Unsicherheiten sorgt. Gerade zu Beginn war das Ausmaß des Krieges in der Ukraine auf Europas Tourismus schwer einzuschätzen. Doch auch wenn Fernmärkte für gewöhnlich sensibler auf Unruhen in Europa reagieren, hat sich gezeigt, dass unsere Partner in den Märkten weiterhin starkes Interesse an der Destination Wien haben und das Publikum ebenso.

Wiens aufkommensstärkster Fernmarkt USA hat sich 2022 mit einem Paukenschlag zurückgemeldet, im November und Dezember sein Niveau 2019 sogar schon übertroffen.


medianet:
Trotz aller positiven Ergebnisse und Erwartungen für das Jahr 2023 – haben Sie Pläne für Worst Case-Szenarien in der Schublade, sollte es durch externe Ereignisse zu einem dramatischen Rückgang der Besucherzahlen kommen?
Kettner: Tourismus ist eine volatile Branche, die internationale Krisen immer als erste spürt. Mit der Coronapandemie haben wir gelernt, kurzfristig und mit wenig Vorlaufzeit umzuplanen. Das behalten wir uns auch in Zukunft bei.

medianet:
Sie mahnen eine Zeit der selbstbewussten Preisgestaltung ein. Befürchten Sie nicht, dass höhere Preise Touristen abschrecken könnten, da die Lohnzuwächse üblicherweise hinterherhinken?
Kettner: Wien hat sich nie als Billigdestination vermarktet und spricht ganz gezielt ein kulturinteressiertes, kaufkräftiges Publikum an. Aus unserer Gästebefragung wissen wir auch, dass der typische Wien-Gast ein höheres Durchschnittseinkommen hat und für das vielfältige Kunst- und Kulturangebot der Stadt auch bereit ist zu zahlen.

In Wien passt das Preis-Leistungsverhältnis. Wien als Kongressmetropole spricht zudem ein besonders kaufkräftiges Publikum an. So gibt der klassische Kongressgast am Tag mit durchschnittlich 541 Euro rund doppelt so viel aus wie der Durchschnitt aller Wien-Gäste mit 276 Euro am Tag. Höhere Preise durchzusetzen, ist also nicht nur machbar, sondern angesichts der wirtschaftlichen Herausforderung der Betriebe auch wirtschaftliche Notwendigkeit. Jetzt, in der touristischen Wachstumsphase, bietet sich eine gute Gelegenheit zur Durchsetzung höherer Preise.


medianet: Wie sollen Touristen abseits des Premium-Segments nach Wien geholt werden? Sind hier auch Maßnahmen für ‚Preisbewusste' geplant?
Kettner: Premium bedeutet nicht notwendigerweise Luxus, wir verstehen den Begriff als ‚Best in Class'. Wien hebt sich durch qualitativ hochwertige Angebote in jeder Preisklasse ab. Im Marketing setzen wir sehr zugespitzt auf kaufkräftiges Publikum, Massentourismus organisiert sich von allein und wird von uns nicht beworben.

Wir wollen durch qualitäts­volles Wachstum Wertschöpfung und Ganzjahresjobs in die Stadt bringen und dabei die lokale Bevölkerung und die Umwelt so wenig wie möglich belasten.
Eine gedeihliche Entwicklung des Tourismus in Einklang mit der Bevölkerung, abseits einer Jagd nach Nächtigungsrekorden, bleibt unser Ziel.


medianet:
Die dritte Piste des Flughafens liegt derzeit auf Eis. Ist ihre Errichtung zeitnah aus Sicht des Wien-Tourismus nötig und gewünscht?
Kettner: Wiens Städtetourismus ist, gerade was die Überseemärkte betrifft, auf den Flugverkehr angewiesen. Dafür stehen wir in engem Austausch mit unserem Kooperationspartner Flughafen Wien, mit dem wir die touristischen Entwicklungen laufend evaluieren.

medianet: Derzeit drehen Kate Winslet und Hugh Grant in Wien, und für die Vienna Film Incentive stehen heuer 1,78 Millionen Euro zur Verfügung. Wie wichtig sind internationale TV- und Filmprojekte als ­Werbeträger?
Kettner: Dem ‚Travelsat-Index' des global tätigen Online-Marktforschungsunternehmens TCI Research zufolge wählten im Zeitraum 2017–2019 rund 100 Millionen internationale Reisende ihre Destination hauptsächlich aufgrund von Filmen aus. Dabei attestieren die Analysen Wien einen Wettbewerbsvorteil im europäischen Vergleich. Einer von zehn Besuchern entscheidet sich hauptsächlich aufgrund eines Films für Wien.

Die Stadt Wien und der Wien-Tourismus haben daher im Vorjahr mit dem Vienna Film Incentive eine zwei Millionen Euro schwere, internationale Filmförderung ins Leben gerufen.


medianet:
Können Sie uns einen kurzen Blick hinter die Kulissen erlauben, wie die nächste große Marketingkampagne aussehen wird?
Kettner: Der Großteil unserer Marketingaktivitäten wird heuer mittelbar oder unmittelbar mit unserem Jahresthema ‚Vision und Aufbruch – 150 Jahre Wiener Weltausstellung' zu tun haben. Wir planen viele Überraschungen, die wir jetzt noch nicht preisgeben. In jedem Fall wird es aber einen großen Schwerpunkt auf den Fernmärkten, allen voran den USA geben.

medianet:
Wie blicken Sie – angesichts der noch immer unsicheren Energie-Situation – auf die Wintersaison 2023/24?
Kettner: Seit der Coronapandemie werden Buchungsentscheidungen noch kurzfristiger getroffen. Das ist die neue Realität, die durch die derzeit vielfältigen Herausforderungen noch verstärkt wird. Unter diesen Rahmenbedingungen Prognosen für den Winter abzugeben, wäre unseriös.

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