Alle Gefühlsregister ­ziehen
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MARKETING & MEDIA Sascha Harold 28.09.2018

Alle Gefühlsregister ­ziehen

Ab dem ersten Tag unseres Lebens werden emotionale Marker gesetzt.

••• Von Sascha Harold

Neue Taktiken sind gefragt, um Kunden an Marken zu binden – langfristig und nachhaltig. Denn der Mensch – und dazu kommen wir später noch detaillierter – ist ein emotionales Wesen. Emotionen bestimmen maßgeblich die menschlichen Sicht- und Handlungsweisen. Sie definieren Lebensziele, zwischenmenschliche Nähe und sind maßgeblich verantwortlich für den Austausch mit anderen. Emotionen lassen uns Gefahren erkennen, ja mehr noch – sie bescheren Kunst, Kreativität, Liebe, Lust, etc; sie sind Antrieb und Motivation menschlicher Handlungen, was sich auch etymologisch gut nachvollziehen lässt. So entstammt der Begriff „Emotion” dem Lateinischen „movere”, was so viel wie „beeinflussen” oder „bewegen” bedeutet. Emotionen sind stets auf etwas hin gerichtet. Das gilt ganz besonders für Beziehungsemotionen, die ausschließlich von subjektiven Bewertungen abhängen. Oder anders formuliert: Wie wir Menschen etwas empfinden, beeinflusst, was wir darüber denken. „Emotionales Marketing” trägt genau dieser Erkenntnis Rechnung und rückt die Emotion ins Zentrum. Es macht die Marken emotional erlebbar. Emotionales Marketing kann dabei helfen, die eigene Marke erfolgreich im Kopf der Konsumenten zu verankern. Mehr noch: erfolgreich praktiziert, kann damit eine regelrechte Beziehung zwischen Mensch und Marke aufgebaut werden. Eine Beziehung, die auf Begehren, Zuneigung, ja sogar Liebe fußt. Intensive und damit haltbare Markenbeziehungen greifen also tiefer.

Markenbeziehungen

Die Konsumbereitschaft steigt im Verhältnis zur Intensität und Qualität der emotionalen Bindung an die jeweilige Marke.

Selbst höhere Preisdifferenzen zu Konkurrenzprodukten werden – wortwörtlich – in Kauf genommen. Gleichzeitig wird alles, was der emotionalen Bindung zur Marke schaden könnte, bewusst ausgeblendet – weil Beziehungen auch mit Abhängigkeiten und damit verbundenen Verlustängsten verknüpft sind. Daher wird stets viel Kraft und Energie aufgewendet, um Beziehungen zu bewahren und aufrechtzuhalten – selbst jene zur Marke!

Kognition und Emotion

Unser Limbisches System ist der Grund dafür, warum wir emotionale Geschöpfe sind. Das bedeutet, dass wir einen großen Speicher an Emotionen besitzen. Denn: Alle uns betreffenden Informationen werden im Verbund mit den dazugehörigen Emotionen in unserem Gehirn abgespeichert: gut vs. böse, sinnvoll vs. unangenehm.

Das Limbische System, eine wichtige Region unseres Gehirns, ist der Ort in unserem Kopf, wo alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden – und zwar lange bevor unser Bewusstsein (unser „Ich”) darüber Kenntnis erlangt. Beim Prozess der Entscheidungsfindung werden bestimmte zerebrale Bereiche stimuliert, die dafür sorgen, dass wir uns glücklich fühlen. Das ist auch der Grund, warum wir den Konsum für uns wichtiger Marken mit Belohnung gleichsetzen. Unser Unterbewusstsein ortet also in bestimmten Produkten und Marken emotionale Mehrwerte, die sich unserem Bewusstsein, unserer Ratio, völlig entziehen.
Die „neurologische Brille”, die wir uns bei dieser Betrachtung aufsetzen und mit der wir Erfolgsstories der Werbung und des Marketing besser zu verstehen versuchen, hat uns in den letzten Jahren schon einige interessante Erkenntnisse offenbart. Eine dieser wesentlichen Erkenntnisse ist die Wichtigkeit des „Fabulösen”. Damit ist Folgendes gemeint: In Form von Geschichten verarbeitet, speichert und verbreitet unser Gehirn Informationen. Wer also seine werblichen Botschaften in Form von guten Geschichten erzählt, wird damit belohnt, dass sich potenzielle Konsumenten an die beworbene Marke und damit an die erzählte Geschichte erinnern. Vielmehr noch wird mit der Erinnerung ein positives Gefühl im Kopf der Rezipienten ausgelöst.
Die gelungene Erzählung ist damit ein wesentlicher Bestandteil im Marketing. Oder anders formuliert: Produkte und Marken gewinnen an Bedeutung durch die Geschichten, die sie erzählen. Unser Gehirn ist nur deshalb in der Lage, eben Gehörtes kognitiv zu verfolgen, weil es dank gespeicherter Geschichten auf darin enthaltene narrative Elemente zurückgreifen und Informationen in Form neuer Geschichten abspeichern kann. Das erspart dem Gehirn den Aufwand, ständig rechnen, neu bewerten und interpretieren zu müssen.

Emotionen haben Vorfahrt

Die Hirnforschung hat gezeigt, dass unser Limbisches System sogar mächtiger ist als unser Neocortex. Die Verkehrsregeln, mit denen die Evolution unsere Gehirne versehen hat, begünstigen nämlich ganz klar die Emotionen: Sie haben Vorfahrt, während Logik und Ratio warten müssen. Was uns emotional nicht erreicht, lässt uns eher kalt.

In Zahlen formuliert, bedeutet dies, dass 95% unseres Denkens unbewusst geschehen, während bloß 5% unserer Gedanken bewusst gesteuert werden. Der Mensch ist kein rationales Wesen, das „auch” Gefühle hat. Vielmehr ist es so, dass der Mensch ein emotionales Wesen ist, das „auch” mit Vernunft ausgestattet ist. Eine völlig andere Gewichtung also, als bisher angenommen. Jede getroffene Entscheidung spiegelt unsere Vorlieben wider. Was immer wir kaufen oder verkaufen, hängt mit einer Geschichte zusammen und damit verbunden mit Vorstellungsbildern. Produkte, die wir unbedingt haben wollen, können uns in Geschichten verwickeln. Sie rufen in unseren Köpfen Epen von Helden hervor, mit denen wir uns identifizieren und deren Platz wir in unserem Kopf gern einnehmen wollen. Sie bescheren uns Liebesgeschichten, Dramen, Komödien, etc.

Grundbedürfnis von Anfang an

Führen wir uns doch vor Augen, wie sich am Beginn der Menschheitsgeschichte unsere Vorfahren verhielten. Lange bevor es die Schrift gab, erzählten sie sich Geschichten. Sie saßen abends am wärmenden Feuer und gaben ihr Wissen in Form von Geschichten weiter … von Generation zu Generation. So wurde der Fortbestand unserer Gesellschaft gesichert.

Das Storytelling in seiner frühesten Ausprägung ist also eine fundamentale, kulturelle Errungenschaft. Im Laufe unserer Entwicklung haben wir sie scheinbar so sehr verinnerlicht, dass daraus ein Grundbedürfnis unseres Daseins wurde, das wir nicht mehr abschütteln können.
Neben unserer Lust an Geschichten und dem damit verbundenen Erzählen gibt es noch eine weitere wichtige Konstante, die alle bisherigen Entwicklungen und Modetrends überdauert hat: der Erzähler selbst. Denn damit eine Geschichte auch glaubhaft ist, muss diese glaubhaft erzählt werden – diese Glaubhaftigkeit muss derjenige ausstrahlen, der das Erzählen übernimmt und sich so in unser Gehirn einschreibt.
Der Mensch – der glaubwürdige nämlich – erzählt folglich immer noch die besten Geschichten für seine ihm angestammte Zielgruppe: für den Menschen. Bei allem Fortschrittsdenken, bei allen Diskussionen rund um Künstliche Intelligenz, Chatbots und Co. bleibt dieses Faktum immer noch unverrückbar … noch!

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