Loyalty-Apps, ein Weg über die digitale Kluft?
© Martina Berger
Expertenrunde Robert Hadzetovic (shöpping.at), Walter Lukner (Paypack), Christoph Teller (JKU) und Oliver Jonke (­medianet).
MARKETING & MEDIA Redaktion 29.09.2023

Loyalty-Apps, ein Weg über die digitale Kluft?

Beim medianet-Expertentalk herrscht Einigkeit: Loyalty Apps müssen mehr können als laut „Rabatt!” rufen.

••• Von Georg Sohler

Apps sind aus Beruf und Alltag nicht mehr wegzudenken, jeder braucht sie. So zumindest wirkt es. Nachdem schon vor gut zehn Jahren die eigene App für Unternehmen – von groß bis klein – eine wichtige Angelegenheit war, gilt sie jetzt als unumgänglich. Nun ist auch Lebensmitteleinzelhändler Spar auf den Zug aufgesprungen – und damit hat gefühltermaßen jedes größere Unternehmen im Handel, und darüber hinaus, eine eigene „Application Software”.

Loyalty-Programme sind so alt wie der Handel selbst; schließlich erriet der Greißler im Ort schon von Weitem, was dieser oder jener Kunde wohl kaufen wird. Doch die Welt hat sich weiter gedreht – wir sind alle mobiler; dennoch wollen Unternehmen weiterhin Kunden an sich binden. Und der einfachste Weg führt heute über das Smartphone. medianet-Herausgeber Oliver Jonke diskutierte mit Christoph Teller, Institutsvorstand Handel, Absatz und Marketing an der JKU, shöpping.at-Geschäftsführer Robert Hadzetovic und dem internationalen Loyalty-Experten und Payback-Geschäftsführer Walter Lukner über die Zukunft von Kundenbindungsprogrammen – und darüber, ob sie in Form einer App wirklich der „heilige Gral” sind.

Die Loyalty-Vorreiter

Um Kundenbindung per se zu verstehen, ist die Historie wichtig. Christoph Teller erklärt sie anhand der Anfänge moderner Kundenbindung in England. „Wer nicht wächst, verliert – man muss die Shareholder zufriedenstellen”, sagt der Institutsvorstand. „Tesco stand immer im harten Wettbewerb – vor allem mit Sainsbury’s – und wusste, dass es billiger ist, Kunden zu halten als neue zu gewinnen.” Bereits 1963 wurde erstmals ein Tesco-Kundenbindungsprogramm eingeführt, die sogenannten Green Shield Stamps. Es handelte sich dabei um Sammelmarken, die an der Kasse ausgegeben wurden und später gegen Katalogwaren eingetauscht werden konnten. 1977 wurde die Aktion allerdings zugunsten von Niedrigpreiskampagnen eingestellt. In den 1990er-Jahren wollte man dann wieder mehr tun; man stellte sich zunächst noch ohne den konkreten Punkt Loyalty die Frage: Wie kann es weitergehen? Also wurden Berater hinzugezogen – eine Zäsur, hatte Tesco zuvor doch nie mit Beratern zusammengearbeitet. Nun entschied man sich zu diesem Schritt; sie wurden ergebnisoffen hinzugezogen. Die präsentierten Erkenntnisse der Datenanalyse sorgten im Management Board für Überraschungen.

„Es heißt, dass der damalige Chairman Sir Lord Ian MacLaurin gemeint hat: ‚Sie wissen nach wenigen Monaten mehr über mein Unternehmen und meine Kunden als ich nach 30 Jahren im Geschäft'”, führt Teller aus. Um es abzukürzen: Tesco hat Loyalty in weiterer Folge perfektioniert, seine Marktstellung ausgebaut und eine eigene Welt geschaffen, die vom LEH bis hin zu Versicherungen reicht. Überspitzt gesagt, geht man nicht in ein „Geschäft”, sondern zu Tesco, Sainsbury’s, etc. Und so sind die Briten auch bei den Apps weiterhin immer früher dran. Die Retailer sind „gnadenlos” – was nicht funktioniert, wird eingestampft. Bei Loy­alty sind sie Weltklasse. In Österreich sei man hingegen eher langsam. Das, so ist man sich in der Runde einig, sei aber nicht immer und notwendigerweise schlecht.

First Mover, first Follower?

Dieses Attest teilt auch Robert Hadzetovic. „Innovationsland sind wir diesbezüglich keines. Die Frage ist, ob man dann gleich First Follower ist.” Immerhin – das dürfe man nicht vergessen – wurde Spar ganz ohne ausgeklügeltes Loyalty-Programm über die heimische Rabatt-Freude zum Marktführer. Innovativ sei die App aber nicht wirklich, auch in dem Punkt ist man sich einig. Spar tue, was mit den ­Rabattmarkerln analog aufgelegt wurde, eben in digitaler Form.

Überhaupt stelle sich die Grundsatzfrage, inwiefern etwas, das jeden Einkauf verbilligt, überhaupt ein klassisches Loyalty-Programm ist. „Es ist eine Rabattidentifikationsmarke. Die Frage, ob das Loyalty ist, hatte Handelsverbands-Geschäftsführer Rainer Will schon einmal beantwortet. Er meinte: Loyaltyprogramme, die auf Rabatten aufbauen, sind keine Kundenbindung”, erzählt dazu Walter Lukner von Payback. ­Oliver Jonkes Analyse: „Gezielte Rabattaktionen erzeugen dann eher Smart Shopping: Man ­wartet, bis beispielsweise Wein oder Käse wieder einmal um 25 Prozent billiger sind, und kauft erst dann ein.”
Eine wissenschaftliche Analyse liefert Christoph Teller: „Im Relationship Marketing wird oft vergessen, dass Loyalty unterschiedliche Dimensionen hat. Es geht immer um eine Beziehung, aber es kommt drauf an, wie die gestaltet ist. Wenn man beispielsweise nur einen Lebensmittelhändler im Ort hat und sonst nichts, dann geht man immer dorthin. Das ist eine ‚Zwangsehe' und es ist eine monopolistische Loyalität. Die nächste Stufe ist die incentivierte Loyalität.” Das sei im übertragenen Sinn „erkaufte” Liebe. „Wenn Kunden aber nur mit Rabatten gefüttert werden, geht es letztlich nur noch darum, wer der billigste sein kann. Echte Loyalität kann man so alleine nicht aufbauen.”

Die Apfelfrage

Aus der Beobachterposition heraus stellt sich die Frage, ob man nur mit dem Preis als Incentivierung auch die so wichtige, emotionale Loyalität bekommt. Denn das eine sei der Preis, das andere, ob man aus Prinzip zu einem Produkt greift. In der Runde fällt Apple als Beispiel. Auf den ersten Blick passend. Wer schon einmal mit jemandem über die Hard- und Software-Welt gesprochen hat, merkt: Es gibt nur die, die die Marke mögen und jene, die sie ablehnen.

„Es ist aber im Laufe der Zeit schwammig geworden”, analysiert Hadzetovic. „Auch Apple hat erkannt, dass es nur mit Logo und Lifestyle nicht geht. Sie sind schon innovativ, aber man muss sich das genau ansehen: Es fängt an mit Smart­phone, Apple Pay und -Music, nun gibt es auch einen Autoschlüssel, den man um viel Geld mit Audi und BMW entwickelt hat. Irgendwann wachst du auf und merkst: Um zu wechseln, muss ich viel tun.” Lukner nennt dies im übertragenen Sinne ein Monopol, Teller eine „Zwangsehe”. Dabei müsse gerade Loyalty auf Freiwilligkeit beruhen. Bindung ist halt mit Loyalität nicht gleichzusetzen.

Blaupause Greißler

Monopol, Abhängigkeit, das hört sich nicht nach einer freiwilligen Bindung an. Im Idealfall bieten Unternehmen über Loyalty-Programme aber eine Bindung mit echtem Mehrwert an. Denn die Herausforderung ist ja, das, was die Greißler früher taten, zu skalieren und zu digitalisieren. Der Kaufmann im Ort wusste, was die Kunden kaufen, in welcher Lebenssituation sie sind, was sie gerade brauchen. Natürlich kannte er auch die Dinge, die sie vielleicht kaufen wollen würden. Moderne Programme sollen eben auf dem basieren, was die Konsumenten wirklich brauchen oder wollen. Lukner fragt: „Wie bringt man die Personalisierung in einen rein digitalen Kundenkontakt, geht das überhaupt?” Omnichannel ohne App, das gehe sich in dem Zusammenhang fast nicht mehr aus, egal, ob es sich um eine eigene App oder ein Multipartner-Programm wie Payback handelt.

Denn: „Durch das Skalieren verliert man Persönlichkeit”, meint Teller. Kaufleute-Organisationen wie z.B. jene von Nah&Frisch würden das durch Persönlichkeit bzw. Personalpolitik schon schaffen, aber auf ganz Österreich anwendbar sei dies nicht. „Das Smartphone ist dafür ein mächtiges Instrument mit viel Potenzial”, sagt der Experte. „Es ist uns ja immer sehr nahe, und bei Loyalty denke ich da gar nicht so sehr an die finanziellen Benefits, sondern an die Frage, wie dem Konsumenten geholfen wird – ein Mehrwert geschaffen wird –, über die Incentivierung hinweg.”

Tun und dürfen

Für chinesische Anbieter wie Temu ist Datenschutz nicht im Vordergrund, erzählt der shöpping-Chef. „Bei Temu melden sich sehr viele an, man bekommt bis zu acht WhatsApps-Nachrichten pro Tag mit Non-Food-Deals zu einem Spottpreis. Während wir uns überlegen, ob wir etwas aus Datenschutzgründen überhaupt dürfen, machen es die Chinesen einfach.” Ein weiteres Beispiel wären Saugroboter. Fast unschlagbar im Preis, putzen chinesische Geräte die Wohnungen und scannen diese nebenbei. Und vielleicht auch, um Informationen zu sammeln und weiterzugeben. In China wird ja sogar sozial erwünschtes Verhalten getrackt und bewertet. Nebensatz: Beim Greißler wird hingegen im schlimmsten Fall nur getratscht.

Die digitale Kluft

Allerdings sollte der eCommerce nicht überbewertet werden. „Wenn man die Zeitung liest, glaubt man, der eCommerce dominiert”, wirft Lukner ein. Die Zahlen belegen jedoch: Der eCommerce-Anteil in Österreich beträgt laut EU insgesamt 10,4%, im Einzelhandel überhaupt nur 6,5%. „Wir stehen in Österreich da noch am Anfang”, meint er weiter. Payback setzt daher auf beides: Alles, was es in der App gibt, geht auch analog. So erreicht Payback eine besonders große Zielgruppe, obwohl im eCommerce der Markt schwierig ist. Und, so Hadzetovic: „Eine App nur zu haben, reicht nicht aus. Der Nutzen muss schon auch gegeben sein.”

Teller verweist in dem Zusammenhang darauf, dass man sich hier auf das digitale Hörensagen verlassen kann: „Downloadzahlen und Ratings sind ein guter Indikator. Success breeds Success.”
Bei einer Sache ist man sich aber einig: Die sogenannte digitale Kluft werde sich schließen. „Es gibt noch immer eine Gruppe, die damit noch Berührungsängste hat. Man lässt eine extrem große Gruppe aus, wenn man sich nur auf eine App verlässt”, so Lukner. Hadzetovic meint jedoch, die App würde vermehrt genutzt werden, und nennt 20 Jahre als Zeitraum, bis sich wirklich jeder seine Loyalty-App(s) installiert habe.
Es gilt aber weiterhin, dass der Mehrwert gegeben sein muss – sowohl beim Händler als auch bei den Konsumenten. Eine App ist nicht billig, einige, sagt Hadzetovic, würden auch auf kompliziertes Registrieren verzichten, weil dies insgesamt einfacher und billiger handzuhaben ist: „Wir haben Menschen, die 20 Mal im Jahr einkaufen, aber die Begeisterung, sich in einem Marktplatz zu registrieren, ist gering. Wir sind auch ein Marktplatz, ein Loyalty-Programm ist bei einem Marktplatz sehr komplex. Wir haben seit Jahren keine App.” Eine Kluft, die Multipartnerprogramme wie Payback eben schließen können, weil der Kunde so auch Punkte bei einem Händler bekommt, zu dem er nur ein, zweimal im Jahr geht.
Diejenigen, die hinter der ­Kasse stünden, wären für die ­Beziehung zu den Kunden ohnehin die wichtigsten, so Lukner. Eine App soll convenient sein und das Kassierpersonal unterstützen, sie ist ein zentraler Touchpoint. In Großbritannien, so Teller, würde es daher Schulungen für das Kassierpersonal geben. Loyalty, meint Hadzetovic, sei in einer globalisierten Welt aber insgesamt schwierig.

If it’s free …

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Shopping- oder Handels-App noch nicht die ultimative Lösung für das Marketing ist. In Zukunft wird sie auf jeden Fall relevanter werden. Voraussetzungen für eine erfolgreiche App werden immer Reichweite, Relevanz und Einfachheit in der Nutzung sein.

Abschließend erinnert Teller an einen alten Spruch: If it’s free, you are the product. Der Konsument wird zur Ware – das ist in sozialen Netzwerken genauso. Wer also eine App auflegt und sie mit Rabatten befüllt, interessiert sich wohl im Gegenzug für die Daten …
Die große Frage für die Zukunft wird sein, wie man mit den Daten umgeht und wie man aus den gewonnenen Datensätzen Informationen herauszieht, die echten Kundennutzen stiften und somit erfolgreich zu echter Loyalität führen. Ansonsten sind es nur digitale Flugblätter für oder mit Rabattaktionen – und das ist keine Kundenbindung.

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