FINANCENET
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Redaktion 25.06.2021

„Die Digitalisierung alleine ist zu wenig!”

Hochkarätige Experten diskutierten beim Online-Forum des Finanz-Marketing Verbandes Österreich FMVÖ.

••• Von Reinhard Krémer

WIEN. Die Covid-19-Pandemie zeigt nach wie vor große Auswirkungen auf Arbeitsleben und Gesamtwirtschaft. Auch die Finanzbranche ist mit den Folgen konfrontiert, Banken und Versicherungen haben daher Pläne für die Post-Corona-Phase entwickelt. Ein Stimmungsbild der Branche zeigte eine Studie des FMVÖ auf Basis von 30 Experteninterviews, deren Highlights beim Online-Forum von Studienleiter Robert Sobotka (Geschäftsführer Telemark Marketing, FMVÖ-Vorstand) vorgestellt wurden. Bei der nachfolgenden Diskussionsrunde gingen die Teilnehmer auf verschiedene Aspekte der Studie ein.

Topmanager diskutieren

Zu ihnen zählten Michael Wiedeck (bank99), Walter Mösenbacher (Fintech Circle London – Ambassador), Steffen ­Müter und Wilhelm Petersmann (Fujitsu) sowie Jochen Zöschg (Zürich Versicherungs-Aktien­gesellschaft).

Der Frage, ob sich das Kundenverhalten als Folge der Covid-19 Pandemie verändert hat, stimmte Michael Wiedeck zu: „Wir sehen eine klare Veränderung im Zahlungsverhalten der Kunden. Es wird mittlerweile viel mehr mit Karte am POS bezahlt. Die NFC-Funktion hat auch durch die Erhöhung des Limits ohne Code-Eingabe auf 50 Euro massiv gewonnen.”
Andererseits konnte bei den Transaktionen an den Geldautomaten ein deutlicher Rückgang von bis zu 30% beobachtet werden.

Service ist das Wichtigste

Jochen Zöschg betonte, dass in einer Zeit, in der Kontakte eingeschränkt sind, Service für Kunden das Wichtigste sei: „Kunden erwarten mehr denn je Transparenz, Einfachheit und sympathische Unterstützung.”

Auch hinsichtlich der Rolle der Finanzindustrie wurde seitens der Diskussionsteilnehmer eine Veränderung konstatiert. „Die Banken sind im Stabilitäts- und Vertrauensbusiness tätig. Im Unterschied zur Finanzkrise 2008, die von Banken mit verursacht wurde, wird die Finanzindustrie bei dieser globalen Herausforderung als Teil der Lösung gesehen” sagte Walter Mösenbacher.
Österreichs Banken haben als Teil der kritischen Infrastruktur während der Covid-19-Pandemie einen ausgezeichneten Job gemacht – sei es im Firmenkundenbereich, wo das Thema oft die Überbrückung von Liquiditätsengpässen war, oder die Stundung von Krediten. Sei es im Privatkundenbereich, wo es gerade zu Beginn um die Bargeldversorgung gegangen ist – Banken waren für ihre Kunden erreichbar”, so Mösenbacher.

Blick in die Zukunft

Geteilte Meinungen am Podium gab es hinsichtlich der Digitalisierungsprozesse. „Die Zukunft ist digital und analog. Was selbsterklärend ist, wird digitalisiert. Bei komplexen Themen, etwa Vorsorge, wird es weiterhin das persönliche Beratungsgespräch und das Vertrauen brauchen,” ist Jochen Zöschg überzeugt.

Mobile First bei bank99

Michael Wiedeck erläuterte, dass die bank99 als neue Bank am Markt hier von Anfang an auf „mobile first” gesetzt hat: „Alle unser Kundenprozesse werden vom Smartphone weg gedacht und neu designt.”

Laut Wilhelm Petersmann (Fujitsu) werden mehr Prozesse digitalisiert werden, aber die eigentliche persönliche Beratung wird auch in Zukunft ein starkes Bedürfnis der Kunden bleiben: „Damit geht für ein Finanzinstitut die Möglichkeit einher, sich über die persönliche Beziehung zu differenzieren. Wichtig ist es, bei diesen Digitalisierungsschritten der Prozesse die Balance zwischen individuellem Dialog und standardisierten digitalen Prozessen zu finden.”

Der Wert der Digitalisierung

Kritisch sieht Walter Mösenbacher hingegen die Digitalisierungsfortschritte in der Finanz­industrie: „Im Unterschied zur traditionellen Finanzwelt, die noch sehr dem ‚alten' Marketingkonzept der Unique Selling Proposition verbunden ist, konzentrieren sich Fintechs immer auf die Customer Value Proposition. ‚More of the same', also nur die Digitalisierung von bestehenden Services allein, wird zu wenig sein.”

Ein Blick auf die aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in Asien wurde im Rahmen einer Live-Schaltung zu Martin Schulz (Fujitsu Asien) in Tokio geworfen. Wie er in seinem Impulsvortrag festhielt, war Asien erstaunlich gut auf die Pandemie vorbereitet – in den meisten Ländern hat sich das öffentliche Leben nach wenigen Monaten weitgehend normalisiert.

Was von Corona bleibt

Auf die Abschlussfrage von Diskussionsleiter Sobotka, welche Pandemie-bedingten Veränderungen bleiben werden, sagte Steffen Müter (Fujitsu), dass die Geschwindigkeit der Veränderung aufrecht bleiben werde.

„Eine ganze Menge an Prozessen, die früher länger Zeit in Anspruch genommen haben, ist jetzt viel schneller möglich. Die ‚Time to Market' wird nach der Pandemie bleiben. Das ist jener Digitalisierungsschub, den sich auch alle in Europa gewünscht haben”, so Müter. So können man neue Ökosysteme für die Kunden schaffen.

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