HEALTH ECONOMY
© Florian Rogner

Redaktion 06.09.2024

Gesundheitsminister Rauch zieht seine Bilanz

medianet-Interview mit Johannes Rauch: Was der Minister über Bundesländer, Kassen und Pharmaindustrie sagt.

••• Von Martin Rümmele

Drei grüne Politiker haben während der ablaufenden Legislaturperiode das Sozial- und Gesundheitsministerium geführt. Die Amtszeiten von Rudolf Anschober und Wolfgang Mückstein waren vor allem von der Corona-pandemie geprägt. Ihr Nachfolger, Johannes Rauch, versuchte danach auch eigene Akzente zu setzen, musste aber auch mit den Bundesländern und den Krankenversicherungen den zuvor verschobenen Finanzausgleich ausverhandeln, erzählt er im medianet-Interview.

medianet: Sie haben nach der Pandemie und nach dem Rückzug von zwei Ihrer Parteikollegen als Gesundheits- und Sozialminister dieses Amt übernommen –welche Bilanz ziehen Sie jetzt am Ende der Amtszeit?
Johannes Rauch: Die Gesundheitsreform angegangen zu sein und auf den Boden gebracht zu haben, darauf bin ich schon stolz. Das war ein echter Kraftakt und hat auch mich viel Energie gekostet. Hätten wir es nicht gemacht, hätten wir dann sieben Milliarden Euro Mehrkosten in den nächsten Jahren – ohne jede Wirkung. Ich freue mich auch sehr über die Erweiterung der HPV-Impfung bis zum 30. Geburtstag. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Wir hatten im Juli 17.000 Impfungen, vor einem Jahr waren es im gleichen Zeitraum 1.000. Wenn wir das fortsetzen, können wir Gebärmutterhalskrebs eliminieren. Das Programm ‚Gesund aus der Krise‘ für Kinder und Jugendliche ist auch etwas Besonderes. Da sind inzwischen einige Länder Europas interessiert. Damit haben wir über 22.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene rasch und wohnortnah von 1.400 Psychologinnen und Psychologen sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten versorgt;15 Einheiten sind dabei kostenfrei.

medianet: Wie sieht diese Bilanz konkret aus?
Rauch: Experten der Universität Innsbruck haben dem Projekt in einem Evaluierungsbericht eine ‚hohe Qualität und Effizienz‘ bescheinigt: 95 Prozent der Klienten erreichten demnach eine Besserung. Das entfacht auch eine ökonomische Wirkung. Gesundheitspolitik wird künftig insgesamt gefordert sein, auch ihre Wirkung zu belegen. Wir müssen in die Gesundheit investieren und das Investment auch wirtschaftlich belegen können. Dabei müssen wir auch über Systemgrenzen hinausdenken: Pflege und Gesundheit sowie Soziales und Gesundheit hängen zusammen. Für mich gilt der Grundsatz: Es darf nicht sein, dass Einkommen und Wohnort über die Art und Qualität der Versorgung entscheiden. Wir haben derzeit eine Mehrklassenmedizin. Das ist nicht zu akzeptieren.

medianet: Wo besteht Ihrer Meinung nach also für die Zukunft Reformbedarf im System?
Rauch: Irgendwann wird die Überzeugung reifen, dass es Finanzierung aus einer Hand braucht. Das ist aber ein Megaprojekt. Wir haben versucht, das über die gemeinsame Finanzierung von Projekten in der Bundeszielsteuerung abzubilden.

medianet: Wir diskutieren das seit Jahrzehnten. Jeder und jede Ihrer Vorgänger hat mir das erzählt. Woran scheitert es?
Rauch: Meine Vermutung ist, es geht um Macht und Einfluss. Landesspitäler bieten den Ländern Einflussmöglichkeiten. Am Ende des Tages werden alle Seiten draufkommen, dass es sich so nicht ausgeht. Auch das wissen die Länder. Es gibt meiner Meinung nach zwei Möglichkeiten: Entweder es kommt die Reform aus einer Situation heraus, wo ich noch Gestaltungmöglichkeiten habe, oder aus einer Situation der Not. Dann landen wir bei Spitalsschließungen, wie sie in Deutschland oder Schweiz bereits da sind. Konkret braucht es bei Spitälern eine Schärfung der Schwerpunkte und Verschiebungen in den vorgelagerten Bereich. Es ist den Spitälern unbenommen, auch Übergangspflege zu machen. Im niedergelassenen Bereich braucht es endlich einen Gesamtvertrag und den Ausbau des kassenärztlichen Angebots. Ich kann den Andreas Huss nicht mehr hören mit seinen Forderungen. Er präsentiert jeden zweiten Tag eine neue Idee, die der Bund zahlen soll. Die Kassen haben gerade 300 Mio. Euro aus dem Bundesbudget erhalten. Sie müssen jetzt endlich die Dinge umsetzen, die vereinbart sind.

medianet: Welche Pläne haben Sie noch bis zu Wahl?
Rauch: Es ist noch die eine oder andere Verordnung in Vorbereitung. Das nationale Impfgremium ist beauftragt, bis Jahresende eine Priorisierung vorzulegen, um das zusätzliche Budget für Impfungen möglichst effektiv einzusetzen. Der Aktionsplan für postvirale Syndrome – Stichwort ME/CFS – soll noch fertig werden, auch die Referenzzentrale für postvirale Syndrome startet. Beim Epidemiegesetz sind wir dran und es ist auf gutem Weg, aber nicht fertig. Das geht sich nicht mehr aus, denn es gibt nur noch eine Plenumssitzung des Nationalrats. Was zu tun bleibt: mehr Prävention/Vorsorge und die Verbesserung der Gesundheitskompetenz.

medianet: Eine Baustelle, wenn man sich im Gesundheitswesen umhört, ist die Versorgung mit Medikamenten. Wie sieht es Ihrer Meinung nach aus?
Rauch: Wir haben Wirkstoff­lager geschaffen, die Einfuhr von Medikamenten aus EWR-Staaten erleichtert und die Bevorratungsverordnung umgesetzt. Sie ist gemeinsam mit der Industrie erarbeitet worden. Die Industrie hatte also schon Monate Zeit, die Lager aufzufüllen. Gleichzeitig ist auch die europäische Pharmastrategie in Verhandlung. Ich rechne damit, dass das im ersten Halbjahr 2025 auf den Weg kommt. Die Industrie muss sich fragen, worauf sie ihre Forschung konzentriert: auf die Breite bei Volkskrankheiten oder auf seltene Erkrankungen, wo noch viel Potenzial ist.

medianet: Was ist das Ziel?
Rauch: Es braucht eine europäische Zusammenarbeit, sowohl bei der Forschung und Produktion als auch bei der Beschaffung. Zu glauben, dass Österreich alleine oder jedes Landesspital eine gute Verhandlungsposition hat in einem globalisierten Markt, ist falsch. Wir wissen, dass bei niedrigpreisigen Medikamenten etwas passieren muss – die Probleme kann ich nachvollziehen. Bei Hochpreisern gibt es exorbitante Preissteigerungen. Das sind Beträge, die nicht mehr darstellbar sind, gerade wenn man öffentliche Forschungsgelder lukriert. Mein Appell an Big Pharma: Es gibt eben neben der Verantwortung dem Aktionär gegenüber auch eine Verantwortung dem Gemeinwesen gegenüber.

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