••• Von Moritz Kolar
WIEN. Wer sagt, dass es in der Wirtschaft immer um Wachstum gehen muss? Manchmal ist auch weniger mehr, wie die Automobilindustrie seit Monaten beweist. Gebremst von anhaltenden Lieferkettenproblemen, sind die Verkaufszahlen der größten Hersteller der Welt im zweiten Quartal um zehn Prozent zurückgegangen, auf Erlösseite dürfen sich die Unternehmen aber trotzdem über neue Rekordwerte freuen.
Chipmangel ist Hauptproblem
Laut aktuellen Berechnungen der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY konnten die 16 größten Autobauer der Welt ihren Gesamtumsatz von April bis Juni um satte 13 Prozent erhöhen – obwohl die Zahl der verkauften Pkw gegenüber dem Vorjahreszeitraum um zehn Prozent eingebrochen ist.
Die stärksten Absatzeinbußen verzeichneten die Unternehmen demnach in China, wo die Verkäufe um 24% schrumpften. In den USA gingen sie um 21% nach unten, in Westeuropa um 17%. „Die hohe Nachfrage nach Autos trifft auf das geringe Angebot am Markt – das gibt den Autokonzernen weiter Rückenwind”, analysiert Axel Preiss, Leiter Advanced Manufacturing & Mobility bei EY. „Nach wie vor ist der Chipmangel das Hauptproblem. Die wenigen verfügbaren Halbleiter werden vor allem in margenstarke Fahrzeuge eingebaut. Weil die Nachfrage so hoch und das Angebot begrenzt ist, müssen die Hersteller kaum noch Preisnachlässe geben, fallweise können sie sogar Preiserhöhungen durchsetzen. Daraus ergibt sich der hohe Umsatz trotz Produktionsproblemen.”
Volkswagen ist Umsatzkaiser
Nur Renault und Mazda verzeichneten im zweiten Quartal einen Umsatzrückgang, aber insgesamt 13 Unternehmen rückläufige Absatzzahlen.
Mit einem Umsatz von knapp 70 Mrd. € war Volkswagen Spitzenreiter vor Toyota (61 Mrd. €) und Stellantis, Konzernmutter von Fiat und Peugeot (44 Mrd. €). Die höchsten Gewinne verzeichneten Mercedes-Benz (4,6 Mrd. €), Volkswagen (4,5 Mrd. €) und Toyota (4,2 Mrd. €).
Gewinnmargen sinken wieder
Bei den Gewinnmargen hatte hingegen Tesla die Nase vorn; der kalifornische Elektroautobauer erzielte eine Marge von 14,6% und lag damit noch vor Mercedes-Benz (12,7%) und Kia (10,2%).
Die Durchschnittsmarge der untersuchten Unternehmen lag mit 7,9% allerdings deutlich niedriger als im Vorjahreszeitraum (9,8%) und nur noch leicht über dem Vor-Pandemie-Niveau: Zwischen 2013 und 2019 betrug die Gewinnmarge der Autokonzerne im Durchschnitt 6,7 Prozent.
Normalisierung der Branche
Dass die Profitabilität nicht mehr wie in den Vorquartalen steige, wertet Preiss als Zeichen einer beginnenden Normalisierung der Lage in der Branche. Er geht daher aktuell nicht davon aus, dass sich das hohe Profitabilitätsniveau noch sehr viel länger halten lässt. „Wir rechnen damit, dass sich die Versorgung mit Halbleitern in den kommenden Monaten langsam verbessern wird”, so Preiss. „Dann gewinnt auch die Pkw-Produktion wieder etwas an Fahrt.”
Preise werden hoch bleiben
Preiss sieht zudem neue Probleme auf die Branche zukommen: „Es droht eine Rezession, die Energiepreise explodieren in Europa, die Konsumenten und Unternehmen werden daher vorsichtiger bei Investitionen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das auf die Nachfrage auswirkt.”
Gleichzeitig nimmt der EY-Experte aber an, dass es bei den Material-, Logistik- und Energiepreisen keine Entspannung geben wird: „Die Preise für Neuwagen werden vorerst hoch bleiben.”