Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider
HALLELUJA. „Satire”, sagt der Duden, ist eine „Kunstgattung, die durch Übertreibung, Ironie und Spott an Personen oder Ereignissen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert, mit scharfem Witz geißelt”. So weit, so bekannt. Allzu besondere Empfindlichkeiten gibt es hierzulande nicht. Was hat in den letzten Jahren in unseren Breiten aufgeregt? Der inkontinente Papst am Titelbild von Titanic („Halleluja im Vatikan – die undichte Stelle ist gefunden!”)? Sogar die Aufregung seitens der Katholischen Kirche hatte sich noch vor dem Prozess um das Verbot des Covers wieder gelegt. Noch eine Dekade früher hatte der Karikaturist Gerhard Haderer mit „Das Leben des Jesus”, der sich unter anderem mit einem Joint entspannte, für Diskussionen gesorgt. Der Salzburger Bischof forderte eine Bestrafung wegen Blasphemie; in Griechenland reichte es – wegen Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft – sogar für eine Verurteilung in Abwesenheit, die anschließend jedoch korrigiert wurde.
Ansonsten sind es in letzter Zeit vorrangig bildliche Darstellungen des islamischen Religionsstifters. Diese allerdings sorgen nicht nur für Aufregung, Missstimmung und die Einschaltung von Gerichten, sondern auch für Tote. Mit den Mohammed-Karikaturen hatte man auch in der Türkei Probleme. Keine Zeitung druckte sie ab, weder die linksliberalen noch die rechtskonservativen. Laut Befragungen herrschte auch in der türkischen Bevölkerung weitgehend Übereinstimmung, dass man damit die Grenze zur Blasphemie definitiv überschreite.
Der neueste Aufreger klingt ähnlich in der Aufbereitung, ist allerdings nicht deckungsgleich in der Akzeptanz der Türken – und hat eigentlich auch gar nichts mit Religion am Hut. Eigentlich. Dass gegnerische Politiker von der Regierungspartei AKP der Blasphemie bezichtigt werden, ist seit Erdogans Amtsantritt Usus. Neueren Datums ist, dass der türkische Regierungschef im Zuge einer Wertigkeitsverschiebung inzwischen auch sich selbst unter den Schutz der Blasphemiegesetze stellt – im Sinne dessen, dass „etwas Heiliges, Göttliches zu verhöhnen” eben durchaus breiter ausgelegt werden kann – wenn man nur will.
Damals wie heute
Das NDR-Satiremagazin „extra 3” jedenfalls hat ihn verhöhnt. Am Mittwoch übrigens gleich noch einmal, weil das Echo so schön laut ausgefallen war: „Vielleicht hat Erdogan den Beitrag nicht verstanden?”, so der Moderator bei der Wiederholung des skandalauslösenden Videos. „Deswegen gibt es ihn jetzt noch mal mit türkischen Untertiteln!” Dank der Reaktion Erdogans, nämlich sich daraus eine diplomatische Verstimmung zurechtzuzimmern, wurde der Satire-Beitrag seit 17. März auf YouTube mittlerweile rund drei Millionen Mal angeklickt.
Dazu eine Zeitreise ins Deutschland der 1940er-Jahre: „Bei Hitlers Einzug in eine Stadt hält ein Mädchen ihm ein Büschel Gras entgegen. Hitler: ‚Was soll ich damit?' Das Mädchen: ‚Alle sagen, wenn der Führer ins Gras beißt, kommen bessere Zeiten'.” Dieser Witz – und ein paar weitere Vorwürfe zum Drüberstreuen – kosteten den Sänger und Kabarettisten Robert Dorsay das Leben. Er wurde am 8. Oktober 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung” zum Tod verurteilt und hingerichtet.