Das spürbare Ungleichgewicht
© Gerd Altmann/Pixabay
MARKETING & MEDIA Redaktion 28.05.2021

Das spürbare Ungleichgewicht

Ein Forschungsbericht zeigt, dass in Österreichs Redaktionen nur vereinzelt Personen mit einer Migrationsgeschichte arbeiten.

••• Von Anna Putz

WIEN. Sechs Prozent – so niedrig ist laut Medienhaus Wien der Anteil an Journalisten mit nicht-deutschsprachigem Migrationshintergrund in Österreichs Redaktionen. Diese Zahlen stammen aus dem Forschungsbericht „Diversität und Journalismus”, der einen Einblick in die fehlende Vielfalt in den heimischen Redaktionen betreffend Geschlecht, Alter, Bildung, aber vor allem Migrationsgeschichte gibt. Von insgesamt 501 befragten Kolleginnen und Kollegen hatten lediglich 30 einen nicht-deutschsprachigen Migrationshintergrund.

Umgerechnet auf die Gesamtanzahl alle österreichischen Journalisten (es sind 5.346), bedeutet dies, dass lediglich 360 von ihnen eine ­Migrationsgeschichte haben.
Diese Zahl umfasst sowohl jene, die „selbst im nicht-deutschsprachigen Ausland geboren sind” oder „mindestens einen im nicht-deutschsprachigen Ausland geborenen Elternteil” haben, so der Bericht.
Zum Vergleich: Die Statistik Austria weist für das Jahr 2020 für die öster­reichische Gesamtbevölkerung einen Migrationsanteil von 24,4% aus. Demnach wurden bei rund einem Viertel der österreichischen Bevölkerung beide Elternteile im Ausland geboren.
medianet sprach mit zwei jungen Journalisten mit Migra­tionsbiografien über das spürbare Ungleichgewicht und dessen weitreichende Folgen.

Lebensrealitäten abbilden

„Wenn man sich anschaut, von welchen Menschen Redaktionen geprägt sind, dann sind das vor allem weiße Männer oder weiße Personen”, sagt Idan Hanin, der aktuell für „Die Chefredaktion”, ein Instagram Projekt von einer und für eine junge Zielgruppe, arbeitet. Problematisch sei das vor allem deshalb, weil „das überhaupt nicht die Gesellschaft widerspiegelt”. Journalismus sei ein Feld, in dem es darum gehe, nah an die Lebensrealität von Menschen heranzukommen. „Wir berichten über Menschen, wir reden mit Menschen”, erklärt Hanin. „Wenn wir deren Leben nicht verstehen können, ist das in meinen Augen ein Problem.”

Ähnlich sieht das auch die bei „medien.geil” als Redaktions­assistenz beschäftigte Journalistin Natalia Anders. Für sie geht es allen voran um Sichtbarkeit. Zwar würde in Stellenanzeigen ein Migrationshintergrund als erwünscht hervorgehoben, die Jobs würden ihrem Empfinden nach aber an andere gehen. Dabei, sagt Anders, wäre es wichtig, gerade jetzt in der Personalbesetzung „Zeichen zu setzen”. Denn mangelnde Diversität aller Art könnte dazu führen, dass sich Menschen mit Migrationsgeschichte von Mainstream-Medien abwenden. „Weil sie sich nicht angesprochen fühlen, weil die Themen eventuell auch nicht so beleuchtet werden, wie sie es hätten werden sollen”, so Anders.

„Weil ich heiße, wie ich heiße”

Aber woraus resultiert die geringe Zahl an Journalisten mit Migrationshintergrund? Interessierten Jungjournalisten mit Migrationsgeschichte fehlt es laut Hanin und Anders oftmals an dreierlei Dingen: finanzieller Absicherung, einem breiten Netzwerk und Vorbildern.

Die Medienbranche sei eine, in der es wichtig sei, über Kontakte, Beziehungen und Netzwerke zu verfügen. Sowohl Anders als auch Hanin hatten keine der üblichen „Connections” in den Journalismus und bauten sich ihr Netzwerk an Kontakten selbst auf. Anders als andere hatten beide keine Verwandten oder Bekannten, die ihnen den ersten Schritt in den Journalismus hätten erleichtern können. Ausgangspunkt beider Karrieren war stattdessen das Magazin biber, welches sich als „transkulturelles Magazin für neue Österreicher” versteht.
Erschwerend für viele angehende Journalisten mit Migrationshintergrund sei zudem, dass sie aus einkommensschwachen Arbeiterfamilien stammen. „Viele Studienkollegen müssen sich keine Sorgen machen, ob sie sich das unbezahlte Praktikum ‚leisten' können. Zur Not können sie ihre Eltern fragen”, erzählt Anders, selbst ein Arbeiterinnenkind. „Ich kann kein Praktikum annehmen, das unbezahlt ist, weil ich es mir schlicht finanziell nicht leisten kann.”
Zu Beginn seiner journalistischen Laufbahn habe es einen Moment gegeben, da habe sich Hanin gefragt, ob der Journalismus das richtige für ihn sei – „weil ich heiße, wie ich heiße”, sagt er. Denn als er seinen Berufswunsch bei anderen äußerte, kam die Frage zurück, wie viele ‚ZIB'-Moderatoren einen nicht-österreichischen Nachnamen tragen würden. „Wenn es niemanden gibt, mit dem man sich identifizieren kann, jemanden, der eine ähnliche Geschichte hat, wie soll man sich dann denken, dass es funktionieren kann?”, erklärt Hanin. Die Vorbilder würden fehlen, weil es immer noch zu wenige Journalisten mit Migrationsgeschichte gäbe – auch, wenn sich die Lage in den letzten Jahren verbessert hätte.

Viel Luft nach oben

Das Fazit des Forschungsberichts selbst fällt eher nüchtern aus. Man schenke dem Thema Diversität in Newsrooms zwar mehr Aufmerksamkeit, „integraler Bestandteil der Unternehmenspolitik” sei Diversität aber selten, so der Bericht. Journalisten mit Migrationshintergrund sind formal besser gebildet als ihre Kollegen, aber dennoch seltener fix beschäftigt. Außerdem zeigt sich ein starkes Ost-West-Gefälle, was die Anzahl an Journalisten mit Migrationsgeschichte angeht: 70% aller Journalisten mit Migrationshintergrund sind in Wien tätig. Unter den „in der Steiermark und in Kärnten Interviewten fand sich kein einziger mit nicht-deutschsprachigen familiären Wurzeln im Ausland”, heißt es im Forschungsbericht. Außerdem: 80% aller Journalisten haben keine Antwort darauf, ob oder wer für Vielfalt – sei es inhaltlich oder personell – in ihrem Medienhaus verantwortlich ist.

Redaktionen sollten laut Anders nicht immer auf die sichere Karte setzen. „Wir haben es verdient, endlich mal gefördert zu werden und einen Platz auf der journalistischen Bühne zu bekommen”, fordert sie. Und auch Idan Hanin stimmt ihr zu, dass die Chancen und Möglichkeiten gerechter verteilt werden müssen: „Jeder, der sich ernsthaft für Journalismus interessiert, muss das Gefühl haben, dort einen Platz zu haben”. Noch, so Hanin, sei das in Österreich aber nicht der Fall.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL