Filmkritik ••• Von Ornella Luna Wächter
WIEN. Esther ist ein Hausschwein. Es lebt in Kanada bei Steve Jenkins und Derek Walter, zusammen mit zwei Hunden. Als Jenkins und Walter es kauften, dachten sie, es sei ein Minischwein. Esther aber wuchs und wuchs – und bringt mittlerweile 350 kg auf die Waage. Der Gedanke, ein Hausschwein zu halten, ist ungewöhnlich. Denn in den Augen der meisten Menschen ist es ein Nutztier, was irgendwann, als Kotelett verarbeitet, im Supermarkt verkauft wird. Schnitt. Stahlböden, abgedunkelte Hallen, Schmutz. Die Kamera schwenkt durch eine typische Masttierhaltung für Schweine, irgendwo in den USA. Die Aufzeichnungen stammen von einer Aktivistin, die sich für bessere Haltungsbedingungen einsetzt und dabei auch illegal auf das Gelände von Mastfarmen schleicht, um dort zu filmen. Nur so lasse sich tatsächlich etwas verändern.
Auf Kosten der Umwelt
Das meiste, was die Gesellschaft bzw. die Konsumenten über die Prozesse hinter den Mauern der Schlachthöfe am Stadtrand wissen, ist dem Engagement von Tierschutz-Aktivisten zu verdanken. Sie sind es auch, die dafür gesorgt haben, dass auf politischer Ebene ethisch verträglichere Haltungsbedingungen für Tiere durchgesetzt werden konnten.
Der Regisseur Marc Pierschel ist auch Aktivist. In seiner neuesten Dokumentation „The End of Meat” (Kinostart: 19. Jänner 2018) setzt auch er sich mit dem Thema Fleisch auseinander. Der Film ist aber auch ein Gedankenspiel. Denn Pierschel stellt darin die Frage: „Was wäre, wenn wir Menschen keine Tiere mehr essen?” Er selbst lebt vegan und verzichtet damit gänzlich auf tierische Produkte. „Jedes Jahr züchten, mästen und töten wir 56 Milliarden Nutztiere. Dieses System ist für 18 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich – das ist mehr als der Verkehrssektor”, zählt Pierschel auf. Und es folgen weitere erdrückende Fakten. „Es verbraucht ein Drittel des Trinkwassers, belegt 45 Prozent der gesamten Erdoberfläche, hat 70 Prozent des Amazonas-Regenwalds zerstört und ist zur größten Bedrohung für die Artenvielfalt geworden. Und während elf Prozent der Erdbevölkerung unter Mangelernährung leiden, verfüttern wir die Hälfte des weltweiten Getreides an Tiere, die wir später essen.” Weltweit nimmt der Fleischkonsum zu; besonders in Ländern wie China und Indien steigt die Nachfrage nach Fleisch rasant an. In Österreich ist der Fleischkonsum konstant hoch geblieben, der Pro-Kopf-Konsum liegt hier stabil um die 65 kg im Jahr.
Kritische Ebene fehlt
Zwar gibt es einen immer größer werdenden Teil in der Gesellschaft, der sich bewusst vegan ernährt oder zumindest sehr wenig Fleisch kauft. Aber ob eine fleischlose Ernährung jemals Wirklichkeit wird, ist fragwürdig. Zu lukrativ ist das Geschäft mit dem Fleisch, zu verflochten die Wirtschaft und zu viele Arbeitsplätze hängen daran. Doch für Marc Pierschel ist es ein Anliegen, zumindest den „globalen Überkonsum von Fleisch” zu thematisieren, wie er im Film sagt. Denn wenn der Konsum sänke, ginge es nicht nur den Tieren besser: Auch dem Klima, den bedrohten Tierarten in abgeholzten Regenwäldern und der Gesundheit vieler Menschen würde es besser gehen. Und es stimmt schon: All die Rinder und Schweine, die eines Tages geschlachtet werden, müssen auch irgendwie ernährt werden. Durch seinen hohen Eiweißgehalt eignet sich besonders Soja als Futtermittel für Tiere. Mehr als Drei Viertel der weltweit angebauten Pflanze wird zu Tierfutter verarbeitet. Bis aus dem Tier ein fertiger Burger wird, braucht es pro Portion 25 kg Tierfutter, 25 m² Land und ca. 220 l Wasser. Das ergibt einen ungünstigen Einfluss auf die Umwelt, Kohlendioxid- und andere Emissionen, berechneten Forscher des Virginia Polytechnic Institute und State University in Blacksburg. Nur – auch eine vegane Lebensweise ist nicht unbedingt klimafreundlicher.
Vegane Fleischproduzenten
Das heißt, die Welt einfach in gut oder böse einzuteilen, in fleischhaltig und fleischlos, reicht da nicht. Das Forscherteam hat sich auch die Produktionsbedingungen von rein pflanzlichen Lebensmitteln angeschaut. Wenn alle 320 Mio. Amerikaner vegan essen würden, ergäben sich anstatt der 49% an eingesparten Emissionen nur mehr 28% an Einsparungen. Trotzdem, Marc Pierschel zeigt auf einen stetig wachsenden Markt für vegane Produkte, der sogar innerhalb der Fleischbranche wächst.