••• Von Martin Rümmele und Chris Radda
WIEN. Michael Leitner und Thomas Braunstorfer, Gesellschafter der Agentur Public Health PR, sind Profis in Sachen Gesundheitskommunikation: Ihr Team blickt zusammengerechnet auf über 100 Jahre Berufserfahrung im Gesundheitsbereich zurück. Im medianet-Interview ziehen sie Lehren aus der Pandemie und geben Ausblicke, wie sich die Kommunikation verändert.
medianet: Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Gesundheitsversorgung und wo setzt die Kommunikation an?
Michael Leitner: Es waren und sind alle gefordert, weil sich das Patientenverhalten geändert hat. Wir sehen eine medizinische Gefahr, weil unendlich viele Vorsorgeuntersuchungen nicht oder verspätet gemacht worden sind. Deshalb wurden viele schwere Erkrankungen spät entdeckt, wo dann die Folgeschäden möglicherweise größer sind. Damit muss sich auch die Gesundheits-PR beschäftigen und an alle Krankheiten erinnern, an die während der Pandemie zu wenig gedacht und wo zu wenig kommuniziert worden ist.
Thomas Braunstorfer: Neue Therapien, die vor der Pandemie vor der Einführung gestanden sind, kamen verspätet. Viele Behandler scheuen eine Umstellung, weil sie Patienten wenig sehen.
Leitner: Dazu kommt ein Adhärenz-Problem, weil Patienten den Empfehlungen eines Arztes schwerer folgen können. Das Arzt-Patienten-Gespräch muss anders geführt werden.
medianet: Wie hilft hier die digitale Kommunikation?
Leitner: Die Einstellung zur Telemedizin hat sich noch nicht so weiterentwickelt, wie das nötig wäre. Es geht auch darum, mit den behandelnden Ärzten vonseiten der Pharmaindustrie in Kontakt zu treten und neue Funktionsweisen zu erklären. Dazu kommt die Frage, wie ein Arzt kommuniziert, damit Patienten Therapieanweisungen folgen können. Man muss unterscheiden zwischen Ärzten, die wissenschaftlich tätig sind und im digitalen Setting anders verortet sind, als die behandelnde Ärzteschaft, die direkten Kontakt mit Patienten hat. Denen alle Hilfsmittel nur digital anzubieten, ist sehr schwierig. Es entspricht nicht ihrem Arbeitsprozess.
Braunstorfer: Die Frage ist zudem für die Industrie, wie sie mit ihren Stakeholdern in Kontakt treten kann.
Leitner: Ein weiteres Thema ist das Image der Industrie. Da sehe ich eine problematische Entwicklung. Dadurch, dass auch in großen Medien Impfkritikern Raum eingeräumt wird, sinkt das Vertrauen in die Industrie. Dabei war das am Anfang der Pandemie besser, weil die Impfung als Rettungsanker gesehen worden ist.
medianet: Die Unternehmen müssen umdenken?
Leitner: Ja, Standortkommunikation wird wichtiger. Wir wurden als Agentur auch stärker strategisch in die interne Kommunikation in den Unternehmen eingebunden. Nach außen ist es fühlbar und erklärbar geworden, dass es in Europa Produktion und Forschung von Arzneimitteln gibt. Das ist auch zentral für die gesamte pharmazeutische Industrie, weil Mythen von anonymen Konzernriesen wegfallen.
Braunstorfer: Das ist gerade im Hinblick auf die Suche nach qualifizierten Beschäftigen nötig. Hier geht es stark um das Image, das ein Unternehmen vor Ort hat.
Leitner: Das gilt für die gesamte Gesundheitsbranche und speziell auch für den Bereich der Medizintechnik und des Medizintechnikhandels.
Braunstorfer: Dadurch wird es wichtiger, dass bei Marketinginitiativen nicht nur die reine Werbebotschaft vermittelt, sondern eine Kampagne in der Gesamtkommunikation eines Unternehmens gedacht wird. Die Rolle der PR-Verantwortlichen steigt. Die strikte Trennung zwischen Unternehmenskommunikation und Marketing ist vorbei.