REAL:ESTATE
© Norbert Prommer

Sonnig Der Grundriss des Gebäudes 2226 beweist, dass Ziegel nicht nur orthogonale Konstruktionen zulassen: Die Außenwände des Büroturms sind leicht gekurvt, als wollten sie mit ihren konkaven Flächen noch ein bisschen zusätzliche Sonne fangen.

PAUL CHRISTIAN JEZEK 20.05.2016

Alles Ziegel oder was?

Alle zwei Jahre bietet der austrian brick and roof award eine Bühne, um die aktuellsten Projekte moderner Ziegelarchitektur zeigen zu können. Vor Kurzem war es – zum fünften Mal – erneut so weit.

••• Von Paul Christian Jezek

Seit der erstmaligen Auslobung im Jahr 2007 ist die Zahl der Bewerbungen zum austrian brick and roof award kontinuierlich gestiegen und erreichte diesmal mit 54 Einreichungen und 79 Nennungen einen neuen Rekordwert.

Die Jury des austrian brick and roof award 15/16 kürte fünf Siegerprojekte und vergab vier Anerkennungspreise (siehe rechte Spalte):

Bürohaus 2226 in Lustenau

Das Bürohaus 2226 ist der Firmensitz des planenden Architektur­büros „be baumschlager eberle” – und zugleich ein Selbstversuch mit wissenschaftlicher Nachkontrolle, die nach zweijährigem Betrieb die Erreichung der ehrgeizigen Ziele bestätigte. Das Gebäude mit ca. 2.700 m2 Nutzfläche kommt ohne konventionelle Heiz-, Kühl- und Lüftungstechnik aus, wobei für das Haus hohe Komfortwerte in Bezug auf Temperatur und Luftqualität angestrebt wurden; die größte Herausforderung war die Sicherstellung einer guten Raumluftqualität.

Hohe interne Wärmelasten im Sommer werden durch sensorengesteuerte Lüftung/Zugluft in der Nacht und über den Speichereffekt der Bauteile abgeleitet. Im Winter wird das Gebäudeinnere durch interne und solare Wärmegewinne behaglich warm gehalten; Frischluft wird über die – anhand der CO2-Konzentration in den Büroräumen sensorisch gesteuerte – Lüftung/Stoßlüftung zugeführt. Messungen zeigten, dass die Luftqualität im Hinblick auf die Konzentration von Schadstoffen und Keimen am Arbeitsplatz einer konventionellen mechanischen Lüftung in vergleichbaren Gebäuden überlegen ist.
Eine wesentliche Rolle in diesem Zusammenhang spielt der Baustoff Ziegel, der im Bürohaus 2226 als doppelschalige Außenwand mit 76 cm Wanddicke ohne Putz eingesetzt wurde. Seine Fähigkeiten, Wärme zu speichern sowie Temperatur und Feuchtigkeit zu puffern, sorgen für angenehm kühle Räume im Sommer und angenehm warme Räume im Winter bei ebenso angenehmem Raumklima.
Angesichts des Trends zur „smart city” und zum „smart building” mit hochkomplexen Technologien ist das Bürohaus 2226 ein ebenso klares wie eindrucksvolles Statement zur intelligenten Reduktion auf nachhaltige Bauweisen.

Gartenhaus in Steyr

Dieses außergewöhnliche Gebäude entstand aus einem alten Bauernhaus – schon lange leer, stark verfallen und von der Natur teilweise überwuchert –, ehe es von Architekt Gernot Hertl wieder zum Leben erweckt wurde.

Ein jahrhundertealter Gewölbekeller, unverändert erhalten; das alte Mauerwerk sorgfältig vom schadhaften Verputz befreit und so sichtbar gemacht; die Außenmauern durch einen 2 m hohen Betonkranz gesichert und fixiert; in dieser „Hülle” ein neuer, höherer Baukörper aus rohem Beton ohne Dämmung, da das Haus nur im Sommer genutzt wird; zur Enns hin ein Erker, der in den Fluss hinausragt; ein intimer Innenhof, lediglich durch eine raumhohe Verglasung vom Hausinneren abgetrennt; nur spärliche Fenster, präzise auf bestimmte Sichtbeziehungen hin angeordnet; unten ein großer Raum mit Küchenzeile, der auch für Workshops und Veranstaltungen genützt wird; oben Schlafzimmer, Gästezimmer und Sanitärräume – ein einzigartiges Gebilde mit fließenden Grenzen zwischen alt und neu, innen und außen, Gebäude und Landschaft – Lebensraum mit unterschiedlichen Atmosphären.

Kulturhaus in Kals (Osttirol)

Dieses Kulturhaus, für das Platz durch den Abriss zweier Bestandsbauten geschaffen wurde, liegt in einer Kehre der Kalser Landstraße (am Großglockner). Errichtet wurde es auch als Investition in die touristische Infrastruktur der Gemeinde – in den nächsten Jahren sollen in Kals 1.000 zusätzliche Gäste­betten entstehen.

Der Neubau fügt sich perfekt ins vorhandene Ensemble, bleibt aber zugleich klar als hinzugekommene Ergänzung erkennbar. An der unteren Schmalseite erhebt sich ein extrem spitzer Giebel, an der oberen Schmalseite wird eine bewusst ausdruckslose Fassade mit unauffälligem Giebel nur durch ein quadratisches Tor aus Metall durchbrochen. Der eigentliche Zugang mit Foyer liegt links davon, unter den Dorfplatz geschoben, der gemeinsam mit dem Kulturhaus – auf kleinstem Raum in erstaunlicher Geräumigkeit – geschaffen wurde und die unterschiedlichen Niveaus verbindet.
Die Konstruktion besteht aus Hochloch-Ziegeln mit 50 cm Stärke – Innenputz: Kalkzement, Außenputz glatt und zweilagig, in hellem Weiß für harmonischen Einklang mit den umgebenden Gebäuden.
Der Veranstaltungssaal im Inneren fasst 270 Besucher und ist komplett mit Zirbenmassivholz ausgekleidet – ein großes Gemeindeschiff, das hier am Berghang des Großglockners „gestrandet” ist.

Wohnbau in Gneixendorf (NÖ)

Das Zentrum dieser Wohnanlage bildet ein idyllischer Schwimmteich im begrünten, offenen Innenhof. An drei Seiten gruppieren sich zwei- bis dreigeschoßige Baukörper um den Hof herum.

Zur Schnellstraße hin wird ein Bauteil mit 25 Geschoßwohnungen durch einen Stangenwald aus entrindeten Baumstämmen mit dahinter liegenden, acrylverglasten Laubengängen und davor angeordneten Autostellplätzen zum Zweck des Schallschutzes abgeschirmt. Nach innen hin öffnen sich die 55 bzw. 75 m2 großen Wohnungen über ausgedehnte, raumhohe Verglasungen, die zugleich den Blick auf die umliegenden Weinberge freigeben.
An den anderen beiden Hofseiten befinden sich schmale Reihenhäuser mit kleinen Eigengärten sowie ganz im Westen fünf ebenerdige Hakenhäuser, die wiederum kleine Höfe bilden.
Im Süden ermöglicht eine hohe transparente Schallschutzwand den ungestörten Ausblick in die umgebende Landschaft.
Alle Baukörper sind aus 25 cm Ziegel mit 20 cm außenliegender Wärmedämmung errichtet, weiß verputzt und mit dunklen Fensterläden-Schiebeelementen versehen.

Vereinshaus Strasshof (NÖ)

In Strasshof an der Nordbahn be­fand sich einst der größte Verschubbahnhof Österreichs, der 1908 in Betrieb genommen wurde.

Kurz darauf begann man an der Bahnhofstraße mit dem Bau des „Vereinshauses des Reichsbundes der Deutschen Eisenbahner”. Dort steht das – in Sichtziegel errichtete Haus – heute noch, mit Blick auf die Gleisanlagen sowie die – ebenfalls in Sichtziegeln ausgefertigten – Bedienstetenwohnhäuser rund um den Bahnhof.
Ursprünglich war das Haus ein Treffpunkt mit Caféhaus im Erdgeschoß sowie Volksschule und Kindergarten; außerdem fanden dort auch Gottesdienste statt. Heute ist das geschichtsträchtige Gebäude ein Wohnhaus mit 13 Wohnungs­inhabern, die im Zuge der Sanierung den Auftrag erteilten, die alte Sichtziegelfassade mit ihren zahlreichen schmückenden Elementen liebevoll zu sanieren, anstatt sie hinter einer dicken Schicht Wärmedämmung verschwinden zu lassen.
Der Sockelbereich wurde sorgfältig trockengelegt, schadhafte Ziegel erneuert und die gesamte Fassade fachgerecht gereinigt. So steht das ehemalige Vereinshaus heute frisch herausgeputzt da – in seiner alten Schönheit und als baukultureller Zeuge seiner Entstehungszeit vor mehr als einem Jahrhundert.

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