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© LandLuft/Georg Herder

05.02.2016

Wie Baukultur die kommunale Entwicklung vorantreibt

Die Gemeinden wetteifern mit intelligenten ganzheitlichen Konzepten – besonders vorbildlich agieren Krumbach (oben), Lustenau & Ybbsitz.

••• Von Paul Christian Jezek


Im Rahmen eines „Fests der Baukultur” im Wiener Palais Eschenbach präsentierten der Verein zur Förderung von Baukultur in ländlichen Räumen und der Österreichische Gemeindebund am 28.1. die Gewinner des LandLuft Baukulturgemeinde-Preises 2016, der an Krumbach und Lustenau in Vorarlberg sowie an Ybbsitz in Niederösterreich ging. Aus rund zwei Dutzend Einreichungen hatte die Jury insgesamt zehn Gemeinden und die Region Südsteiermark für die letzte Runde des Wettbewerbs nominiert.

Baukultur in Krumbach

Das im Vorderen Bregenzerwald gelegene Krumbach hat 1.040 Einwohner. In den meisten österreichischen Gemeinden dieser Größe findet sich all das längst nicht mehr: fünf Gasthäuser – einige davon mit überregionaler Ausstrahlung, zwei (kleine) Kurhäuser, ein Caféhaus am Dorfplatz, 130 Gästebetten, ein Nahversorger sowie ein Sennerei-Verkauf, eine Bank und ein Friseur, ein Sozialzentrum und ein Haus für betreutes Altenwohnen. Und – als Sahnehäubchen und Beleg für den Stellenwert des öffentlichen Verkehrs – sieben von internationalen Architekturbüros gestaltete und rund um den Globus akklamierte Bushaltestellen.

Auch wenn diese Kennwerte für sich sprechen, sagen sie noch wenig über das eigentliche Phänomen Krumbach. Denn die meisten dieser Bauten sind von eindrucksvoller Qualität, vielfach publiziert und ausgezeichnet, nicht nur unter dem Gesichtspunkt des hohen architektonischen Niveaus, sondern auch unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Energieeffizienz (viele Neubauten mit Passivhauswerten) sowie wegen ihrer teils erstaun­lichen Entstehungsgeschichten. Sie drehen sich um vielerorts virulente Fragen wie Ortskernentleerung, Zersiedlung und Kulturverlust im ländlichen Raum.
So wie andere Vorarlberger Gemeinden verzichtet Krumbach auf Parteiengezänk und wählt Personen, keine Parteien in den Gemeinderat. Der hat seine politischen Ausschüsse aufgelöst und durch offene Beiräte ersetzt. Stellt sich etwa die Frage nach der Errichtung einer neuen Bibliothek oder eines Hauses für die Alten, dann werden alle Gemeindemitglieder, die sich für dieses Thema interessieren und engagieren wollen, zur Mitarbeit in einer Vorbereitungsgruppe eingeladen. Der Erfolg ist frappierend: Die neu errichtete Bibliothek von Krumbach verzeichnet jährlich 20.000 Entlehnungen – im Durchschnitt also 20 pro Gemeindebürger und Jahr.
Mangelt es in der Gemeindepolitik irgendwo an Kompetenz, zieht man Expertise bei, etwa bei Bauangelegenheiten. In Krumbach gibt es einen Gestaltungsbeirat zu Bau- und Raumplanungsfragen, der den Bürgermeister besser berät, als Bauausschüsse das üblicherweise tun. (Bau)Kultur wird nicht nur ökonomisch argumentiert, sondern auch mit Lebensqualität: Den Moorraum z.B. kann man sich als Salettl vorstellen oder als Lusthaus; er dient der Muße, öffnet und schärft den Blick für die besonderen Naturschönheiten des Orts. Der Zersiedlung wurde Einhalt geboten, indem Neubauten konsequent nur im Ortszentrum oder zur Nachverdichtung einzelner Siedlungsweiler gestattet werden.
Das gilt besonders für die Alternativen zum Einfamilienhaus, die in Krumbach offensiv unterstützt werden. Diese Vorgabe musste zwar erkämpft werden – einmal etabliert, erspart sie aber das übliche Gezerre und die nicht endende Flut an Ausnahmen, die andernorts die Landschaft vernichtet. Und wer so tüchtig ist, hat auch das Glück auf seiner Seite: Zu den rund 1.000 Einwohnern zählen mehrere überregional bekannte und dekorierte Architekten ...

Baukultur in Lustenau

Dieser sonderbare Ort im Vorarlberger Rheintal ist städtebaulich nicht zu definieren und kaum zu beschreiben – weil er keine Vergleiche kennt. Mit nahezu 23.000 Einwohnern ist Lustenau größer als manche österreichische Kleinstadt, aber weder als Stadt noch als Dorf zu identifizieren. Den Straßen fehlt grundsätzlich jene Logik, der man nur zu folgen braucht, um etwa zu einem Zentrum zu finden.

Historisch war der Ort eine Ansammlung von Landwirtschaften, weit verstreut zwischen Obstgärten. Die im 19. Jahrhundert boomende Textilindustrie, aus der Schweizer Nachbarschaft importiert, hat der Gemeinde zu einem beachtlichen Wohlstand verholfen; an einigen stattlichen Villen ist das noch erkennbar. Orte von der Größe und Struktur Lustenaus bringen regelmäßig auch die Jury des Baukulturgemeinde-Preises – der ja auf ländliche Verhältnisse fokussiert – an ihre Grenzen. Wie sind globale Dynamiken, die auch die Entwicklung von Lustenau bestimmen, zu bändigen? Welche Maßstäbe sind hier anzusetzen? Wohin kann die Entwicklung im besten Falle gehen?
Das Bewusstsein für Baukultur ist in Lustenau jedenfalls sehr früh gewachsen. 1986 wurde der erste Gestaltungsbeirat konstituiert – also lange bevor große österreichische Städte diesem Beispiel folgten und sich dieses Modell auch in Vorarlberg etablierte.
Lustenau zeichnet alles aus, was als tragende Elemente von Baukultur definiert werden kann:

• Architekturwettbewerbe sind eine derartig selbstverständliche Praxis, dass sich auch Firmen und private Bauherren längst dieser Methode der Qualitätssicherung bedienen; entsprechend hoch ist das architektonische Niveau vieler Bauten. Man könnte für Lustenau einen eigenen Architekturführer erstellen und würde eine Quantität an neuen, hochwertigen Bauten registrieren, wie sie etliche große österreichische Bezirke nicht vorzuweisen haben.
• Politisch breit diskutierte Leitbildentwicklungen gehören wie Masterpläne, Strategieprozesse und Siedlungsanalysen zur Selbstverständlichkeit. Das gilt für die gewünschte Ortszentrumsentwicklung, für Ortsteile und das gesamte Ortsgebiet.
• Die sehr gezielte Attraktivierung und Unterstützung des öffentlichen Verkehrs erfuhr durch verschiedene Mobilitätspreise auch überregional Anerkennung. Besonders erwähnenswert: die Neugestaltung des Naturbade- und Naherholungsgebiets Alter Rhein samt getrennter Trassenführung für Rad- und Fußwege.
• Auch für die zukunftsfähigen Energiemaßnahmen und -konzepte erhielt Lustenau internationale Auszeichnungen.
• Mit dem Millennium Park verfügt Lustenau über ein Alleinstellungsmerkmal: Ein Gewerbegebiet, das einer Architekturexpo an Qualität in nichts nachsteht, gibt es in dieser Form wohl europaweit kein zweites Mal. Es beweist, dass auch Gewerbebauten einer übergeordneten Idee folgen können und sich Betriebe der Baukunst nicht verschließen müssen.
• Als dem Breiten- und Spitzensport verpflichtete Gemeinde hat Lustenau viel in die Ausgestaltung seiner Sportanlagen investiert. Das Leichtathletikstadion ist tagsüber und abends für die gesamte Bevölkerung geöffnet und motiviert zu sportlicher Betätigung.

Wie lautet der „Masterplan” hinter all diesen Erfolgen? Antwort: Beteiligungskultur und die Qualität kommunaler Kommunikation. Manch ein Thema wird zu seiner Aufbereitung selbst baulich verortet. So entstehen temporäre Bauten, wie im Sommer 2014 das Feldhotel, das dem Diskurs anstehender Entwicklungen einen Ort und damit Bedeutung verleiht. Eher spielerisch, verbunden mit Gastlichkeit und Freizeitfeeling, werden wesentliche soziale, raumplanerische und wirtschafspolitische Themen breit aufgemischt, abgesichert und tief bei den betroffenen Bürgern verankert.
All das gleicht einem groß angelegten Bildungsprogramm. Ein Beispiel ist das Habedere – ein Freizeitpark für Jugendliche, von diesen selbst entwickelt, professionell architektonisch beraten und begleitet und in Folge von Jugendlichen selbstverwaltet.
Oder das W:Ort: Ein Ort der Sprache – ein Lieblingsprojekt von Bürgermeister Kurt Fischer, selbst ein studierter Philosoph. Unterstützt und angeleitet erarbeiten, entwickeln und spielen hier junge Menschen (mit) ihre(r) Ausdrucks- Gestaltungs- und Artikulations­fähigkeit; Migranten sind ausdrücklich willkommen.
Schon sehr früh hat Lustenau übrigens einen Ausländeranteil von nahezu einem Viertel seiner Bevölkerung (womit es manchen Wiener Bezirk übertrifft) vorbildlich integriert. Der mündige, sprachfähige Bürger wird in Lustenau nicht als Gefahr gesehen, sondern als große Zukunftsressource ...

Baukultur in Ybbsitz

Im niederösterreichischen Most­viertel gelegen, hat Ybbsitz knapp 4.000 Einwohner. Seinen Wohlstand verdankt der Ort zwei Flüssen (an deren Kreuzungspunkt es liegt), dem Kraftstoff Holz (aus den dichten Umgebungswäldern) und seiner Nähe zum steirischen Erzberg.

Wasserkraft, Holz und Eisen – auf diesen Elementen haben die Bewohner schon sehr früh ihre wirtschaftliche Existenz aufgebaut – so erfolgreich, dass die Wirkung noch bis heute in einer urbanen Baustruktur und sehr stattlichen Häusern Niederschlag findet.
Ybbsitz passt deswegen gut in die Riege der Baukulturgemeinden, weil sie zeigt, wie die Besonderheiten der Landschaft von Menschen genutzt werden und ihr Wirtschaften aus speziellen Bedingungen Einzigartiges entstehen lässt.
Geschichte wirkt fort und bleibt bis in die Gegenwart fruchtbar, wenn die unerbittlichen Veränderungsdynamiken auch als Chance begriffen und die Gestaltungsansprüche mit den Erfordernissen der Gegenwart abgeglichen werden. Ybbsitz setzt noch heute auf die Eisenbearbeitung als wirtschaftliche Grundlage. Eisen wurde als Thema eigener Identität und Außenwirkung neu – und so wirkungsvoll – etabliert, dass nicht nur ca. 60% der Bevölkerung davon leben, sondern auch der Tourismus aus dem „Thema ­Eisen” seinen Nutzen zieht. Landes­weite Auszeichnungen hat Ybbsitz bislang einige gesammelt und mit dem europäischen Dorf­erneuerungs­preis 2006 auch eine beachtliche internationale Anerkennung. Was man von Ybbsitz lernen kann:

• Dass Gemeindeentwicklung nicht nur ein ad hoc-Unternehmen ist. Ybbsitz hat zahlreiche strukturierte Initiativen gesetzt und Konzepte entwickelt oder entwickeln lassen: Seit 1986 gibt es Arbeitsgruppen für Zukunftsfragen, seit 1988 einen Dorferneuerungsplan; diesem folgten ein Verkehrskonzept und regelmäßig adaptierte Ortsentwicklungskonzepte, 2010 wurde ein Gemeindeenergie­konzept erarbeitet, dem wiederum ein politisches Bekenntnis zur Baukultur folgte.
• Mit der Belebung der eigenen Geschichte trat die Vergangenheit der Eisenbearbeitung und des Schmiedehandwerks in den Fokus und wurde zum zentralen Bestandteil eigener Identität. 1990 wurde der Verein Eisenstraße gegründet, 1996 die zuerst noch sehr umstrittene erste Stahlbrücke über einen der Dorfbäche gebaut; 16 weitere Brücken sind nachgefolgt und wurden zu einem Wesensmerkmal dieses Orts und der Region.
• Gleich mehrere alte Schmieden und Werkstätten wurden als Ateliers und Workshop-Räume wiederbelebt und für allerlei Fortbildungsveranstaltungen zum Eisenhandwerk geöffnet. Im Museum FeRRum, untergebracht im vorbildlich sanierten Kremayr-Haus, wird dieser Wirtschaftsgeschichte in Form eines Museums gedacht. Und der Themenweg „Schmiedemeile” bildet gewissermaßen die Verbindungsachse quer durch Vergangenheit und Gegenwart der Eisenbearbeitung.
• Ybbsitz beweist, dass Denkmalpflege und behutsame Konservierung kein Widerspruch sein müssen. Ohne Berührungsangst vor zeitgenössischem architektonischem Anspruch geht die Gemeinde auch ihre aktuellen Bauaufgaben an: Kindergarten, Schule, Kläranlage, ... Die Ambition der Verantwortlichen manifestiert sich in allen Ergebnissen.
• Auch dem öffentlichen Verkehr wird in Ybbsitz durch fein gestaltete Buswartehäuschen Referenz erwiesen – mit Eisen als Themenvorgabe, versteht sich.
• Beraten und fachlich begleiten lässt sich die Gemeinde auch; die Qualität wird nicht durch Wettbewerbe gesichert, so wie sich das LandLuft und Kammervertreter eigentlich wünschen, sondern eher durch einen Vertrauens­architekten, der den Großteil des Baugeschehens verantwortet und (ähnlich der Rolle eines alten Klosterbaumeisters) sein Objekt in- und auswendig kennt und ein ganzes Berufsleben lang begleitet. Vielleicht ist diese Form der niederösterreichischen Mentalität gemäßer?

Im Ergebnis beweist Ybbsitz, dass es viele Modelle von und unterschiedliche Zugänge zur Baukultur gibt ...

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