WIEN. Anfang November wurde der Österreichische Infrastrukturreport 2025 der Initiative Future Business Austria (FBA) präsentiert. Die Ergebnisse dieses Reports basieren neben wissenschaftlichen Befunden eines Experten-Boards auf einer repräsentativen Managererhebung, die vom Meinungsforschungsinstitut Peter Hajek Public Opinion Strategies unter Unternehmen über 100 Mitarbeiter durchgeführt wurde. Der rund 350 Seiten starke Report enthält Handlungsempfehlungen für die Zukunft der heimischen Standort- und Infrastrukturpolitik. Im Zentrum steht die Forderung nach einer nationalen Standort- und Infrastrukturstrategie 2040. „Die künftige Bundesregierung benötigt einen strategischen Handlungsleitfaden, um den Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensstandort Österreich wieder attraktiver und wettbewerbsfähiger zu gestalten. Der Handlungsbedarf ist enorm. Österreich befindet sich erstmals seit dem Jahr 1945 das zweite Jahr in Folge in einer Rezession“, erläutert FBA-Initiator und Co-Autor David Ungar Klein bei der Präsentationsveranstaltung in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
Unzureichende Infrastruktur
Wären in Österreich die notwendigen infrastrukturellen Rahmenbedingungen gesichert, so könnte das Land laut Manager-Erhebung von einer erheblichen Produktivitätssteigerung von enormen 20% profitieren. Im Umkehrschluss ergibt eine Modellrechnung für den Österreichischen Infrastrukturreport auf Basis des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2023 folgendes: Aufgrund unzureichend ausgebauter Infrastruktur liegt 2024 in Österreich ein Produktivitätspotenzial von 95,64 Mrd. € brach. „Kumuliert beträgt der auf diese Weise entstandene Wertschöpfungsverlust seit dem Jahr 2020 hypothetisch 378,42 Mrd. Euro – ein beträchtlicher volkswirtschaftlicher Schaden. Weltweit haben Länder systematisch, wie in früheren Infrastrukturreports immer gefordert, in vielfältige Infrastrukturbereiche investiert und ernten nun die Früchte ihrer Investitionen, während in Europa und leider auch in Österreich getrieben durch die Umwelt- und Sozialpolitik der Schwerpunkt auf neuen Regulierungen wie z. B. der Lieferkettengesetzgebung liegt“, erklärt Sebastian Kummer, Institutsvorstand an der Wirtschaftsuniversität Wien.
„Mit unserer jährlichen Modellrechnung verfolgen wir das Ziel, für die Wertschöpfungspotenziale durch Infrastruktur zu sensibilisieren. Der kumulierte Wertschöpfungsverlust von 378,42 Milliarden Euro seit 2020 aufgrund unzureichend ausgebauter Infrastruktur entspricht 79,1 Prozent des aktuellen Bruttoinlandsprodukts. Die Prämisse muss nun sein: Infrastrukturinvestitionen lohnen sich für den gesamten Standort. Da darf nicht gespart werden. Eine höhere Wertschöpfung der Unternehmen durch höhere Produktivität bedeutet entsprechend mehr Steuereinnahmen. Hätte Österreich in den vergangenen Jahren die Produktivitätsvorteile einer optimierten Infrastruktur nutzen können, wäre der Druck auf den öffentlichen Haushalt deutlich geringer und wir wären international wettbewerbsfähiger sowie als Standort attraktiver“, meint Ungar-Klein.
Der Produktivitätseffekt ausgebauter digitaler Anbindungen beläuft sich aktuell auf 19,2% oder umgerechnet 91,81 Mrd. € zusätzliche Wertschöpfung pro Jahr. „Stellt man diese zusätzliche jährliche Produktivitätssteigerung in Relation zu einer Einmalinvestition in Höhe von zehn Milliarden Euro, die laut unserer Schätzung für den flächendeckenden Ausbau der Breitband- und 5G-Infrastruktur anfallen würde, wird deutlich, dass Investitionen in die Infrastruktur der stärkste Hebel der Standortpolitik für mehr Produktivität und in weiterer Folge mehr Wettbewerbsfähigkeit sind: Ein investierter Euro bringt neun Euro Wertschöpfung“, erklärt Ungar-Klein.
Vorbild Schweiz
Während in zahlreichen europäischen Staaten strategische Ansätze auf einzelne Infrastrukturbereiche beschränkt sind, gibt es ein Vorbild im Sinne einer umfassenden Infrastrukturpolitik: die Schweiz. Das zentrale Ziel der Schweizer Strategie: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz als Wirtschaftsraum bewahren. Dass sich die Schweizer Bemühungen um einen wettbewerbsfähigen Standort auszahlen, unterstreicht das internationale Wettbewerbsfähigkeitsranking der Lausanner Wirtschaftshochschule IMD. Ein Ländervergleich zeigt, dass die Schweiz seit 2020 stets zu den Top drei gehörte und im Jahr 2021 sogar den Spitzenplatz im weltweiten Ranking belegte. Österreich hingegen ist allein seit dem Jahr 2020 um zehn Ränge zurückgefallen und liegt 2024 auf Rang 26 unter 67 Ländern. Während die Schweiz im Vergleich zur vorherrschenden Rezessionslage in Österreich ein Wirtschaftswachstum verzeichnet, profitiert sie zudem von der Investitionsbereitschaft ausländischer Investoren: Laut aktueller Zahlen des IMD-Rankings wird in der Schweiz fünfmal mehr ausländisches Kapital investiert als in Österreich.
Hemmnisse für eine österreichische Standort- und Infrastrukturpolitik auf Basis einer umfassenden, strategischen Grundlage sieht Ungar-Klein einerseits in der Zersplitterung der Infrastrukturagenden und andererseits in der personellen Diskontinuität in der Politik: „Seit 1945 hatte Österreich 26 Minister für Infrastrukturagenden, die Schweiz dagegen nur 13.“
Herausforderungen für Österreichs Manager
Geht es nach Österreichs Managern, sind die wichtigsten drei standort- und wettbewerbsrelevanten Herausforderungen für Österreichs Wirtschaftspolitik im nächsten Jahr der Fachkräftemangel (42%), die Energiepreise (36%) sowie die Teuerung allgemein (29%). Der Gestaltungsauftrag der Wirtschaft und Industrie an die nächste Bundesregierung ist damit klar formuliert. Allein der Fachkräftemangel in der Zukunftsbranche IT hat erhebliche Auswirkungen auf den gesamten Wirtschaftsstandort: „Das Fehlen von 28.000 IT-Expertinnen und -Experten verursacht einen jährlichen Wertschöpfungsverlust von rund 4,9 Mrd. Euro und stellt ein veritables Wachstumsproblem für ganz Österreich dar. Allein die Branche Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT (UBIT) setzt im Jahr zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts um – das sind 45 Mrd. Euro. Daher müssen wir als Gegenmaßnahme etwa angehende Pensionistinnen und Pensionisten durch finanzielle Anreize aktiv im Job halten, das bringt uns allen Vorteilen“, merkt Alfred Harl, Obmann des Fachverbands UBIT der WKO an.
Existenzbedrohte Wirtschaft
„Die jüngsten Signale aus Wirtschaft und Industrie deuten längst nicht mehr nur auf eine Unzufriedenheit hin. Angesichts der Rahmenbedingungen am Standort Österreich sehen sich heimische Unternehmen zunehmend in ihrer Existenz bedroht“, so Ungar-Klein. Dass immer mehr Unternehmen eine Abwanderung aus Österreich in Erwägung ziehen, um ihre eigene Existenz zu retten, belegen aktuelle Zahlen des Österreichischen Infrastrukturreports 2025. Demnach hat mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen aufgrund der aktuellen Situation bereits überlegt, aus Österreich abzuwandern: 17% mit dem gesamten Betrieb und 39% mit Teilen des Betriebs. Im Kontext der Versorgungssicherheit hat insbesondere die Abwanderung produzierender Unternehmen bzw. die Verlagerung von Teilen ihrer Wertschöpfungskette in den Raum außerhalb der Europäischen Union bzw. Europas weitreichende Folgen für die Versorgungssicherheit von Standorten und resultiert in riskanten Abhängigkeiten von Drittländern.
Als Gründe für die Abwanderung heimischer Betriebe nennen die für den Österreichischen Infrastrukturreport 2025 befragten Manager die hohe Steuern- und Abgabenlast (57%), den Arbeitskräftemangel (41%), die hohen Energiepreise (34%) und die Teuerung allgemein (33%) sowie die Überbürokratisierung (30%).
Standort- und Infrastrukturstrategie 2040
Angesichts der aktuellen Entwicklungen am Standort Österreich haben Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung ihre Forderungen an eine österreichische Standort- und Infrastrukturstrategie 2040 definiert. Unter anderem wurden folgende zehn Kernpunkte formuliert: Steuern- und Abgabenquote senken, Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte sichern, Entbürokratisierung vorantreiben, gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation setzen, garantierte Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen, investitionsfreundliche Rahmenbedingungen für Innovationen, Auf- bzw. Ausbau einer krisensicheren Infrastruktur, mehr Leistungsbereitschaft und Arbeitsmoral, Investitionen in Bildung und Ausbildung sowie Reduktion der hohen Rohstoffabhängigkeit von Drittländern.
„Eine Standort- und Infrastrukturstrategie 2040 für Österreich soll in jedem Fall alle Infrastrukturbereiche – von Energie über Verkehr bis hin zu den digitalen Infrastrukturen – umfassen. Zudem müssen Lösungsansätze gegen die aktuellen wettbewerbsfähigkeitshemmenden Rahmenbedingungen – wie etwa hohe Steuerlast, Fachkräftemangel oder Überbürokratisierung – geboten werden“, meint Ungar-Klein abschließend.